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«Wachsende Kompromiss-Bereitschaft der Medien»

Wechselnde Besitzer, Defizite und Interessenkonflikte: Davon ist nicht nur die BaZ betroffen. Keystone

Die befürchtete Einflussnahme durch das Beratermandat von Christoph Blocher und die Übernahme der Basler Zeitung durch Moritz Suter haben hohe Wellen geschlagen. Es stellt sich die Frage: Kann heute publizistische Unabhängigkeit noch garantiert werden?

Der 67-jährige Crossair-Gründer Moritz Suter wird als Retter der Basler Zeitung (BaZ) gefeiert. Als Retter, der die Zeitung nach den Turbulenzen um das Beratermandat der Robinvest AG von Christoph Blocher wieder in ruhigere Gewässer steuert und das Vertrauen bei den Lesern und Journalisten wiederherstellen soll.

Trotz aller Zuversicht bei Bevölkerung und Redaktion bleibt jedoch vieles unklar: Ob Moritz Suter Partner bei der Übernahme finanziell unter die Arme gegriffen haben und wenn ja wer, wurde nicht kommuniziert. Auch darüber, wie die editoriale Linie der Zeitung unter Chefredaktor Markus Somm in Zukunft tatsächlich aussehen wird, kann nur spekuliert werden.

Die Debatte um die BaZ und um die befürchtete Einflussnahme von SVP-Stratege Christoph Blocher in den letzten Wochen zeigt, wie emotional verbunden die Bevölkerung mit ihren Traditionszeitungen immer noch ist – trotz der sinkenden Leserzahlen und der abnehmenden Bereitschaft, für Medieninhalte zu bezahlen.

Dem Basler Unternehmer und Investor Moritz Suter liege viel daran, «die publizistische Unabhängigkeit des für die Region wichtigen Blattes zu garantieren», heisst es denn auch in der Medienmitteilung der Basler Zeitung Medien (BZM).

«Alarmierende Vermischung»

Doch können die Schweizer Printmedien angesichts der wechselnden Besitzer – das Engagement von Tito Tettamanti und Martin Wagner bei der Basler Zeitung dauerte gerade mal 10 Monate -, der Fusionen, der Defizite, der verordneten CEOs und des Rentabilitätsdrucks heute die publizistische Unabhängigkeit überhaupt noch garantieren?

«Die publizistische Unabhängigkeit ist immer dort am besten aufgehoben, wo die Geschäfte gut laufen. Wenn sie schlecht laufen, wie das heute bei den meisten Zeitungsverlagen im Printmedienbereich der Fall ist, wächst die Bereitschaft zu Kompromissen», sagt der freie Journalist und Publizist Karl Lüönd gegenüber swissinfo.ch. Zurzeit sei «eine alarmierende Vermischung von redaktionellen und kommerziellen Inhalten in Form von Advertorials, Publireportagen und von Dritten gefertigten Beilagen zu beobachten».

Zeitungsverlage würden heute zudem nach Betätigungsfeldern suchen, mit denen sie ihre Wertschöpfungskette verlängern und ihre «publizistische Macht für ihre eigenen kommerziellen Ziele einsetzen» könnten.

So habe etwa die deutsche Wochenzeitung Die Zeit auch schon Wein verkauft, so «nach dem Motto «Wenn die Weinhändler nicht mehr inserieren, dann übernehmen wir eben deren Geschäft».

Als weiteres Beispiel nennt Lüönd den Ringier-Verlag, dessen CEO kürzlich selbst gesagt habe, Ringier sei kein Informations- sondern ein Unterhaltungskonzern. Ringier besitzt neben Event-Agenturen auch einen Konzertveranstalter und einen Sportvermarkter.

Wirtschaftsprodukt versus Qualitätsmedium?

Rainer Stadler, Medienjournalist bei der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), sieht in diesem «Geschäftsmodell», in dem Medien in nicht journalistischen Bereichen Geld machen, indes durchaus «einen Vorteil», wie er am Freitag am «Forum Staat und Medien» an der Universität Freiburg sagte. So könne das Unternehmen Gewinne machen, um damit die redaktionellen Inhalte zu finanzieren.

Auf die Gefahr einer Vermischung von redaktionellen und kommerziellen Inhalten angesprochen, sagt Stadler: «Ich sehe darin weniger eine politische als eine ökonomische Gefahr. Konkurrenten könnten dadurch an die Wand gefahren werden».

Der wirtschaftliche Druck für die Journalisten ist jedenfalls spürbar. Dies geht aus dem Journalistenbarometer 2010 hervor, für das rund 2200 Journalisten in Deutschland, Österreich, Slowenien und der Schweiz befragt wurden. Es spricht eine deutliche Sprache: Knapp die Hälfte aller Befragten ist «voll und ganz» überzeugt, dass die journalistische Qualität unter wirtschaftlichem Druck grundsätzlich leide. Nur 5 von 100 Befragten sehen hier wenig bis keinen Zusammenhang.

Ungleiche Spiesse

Lüönd macht auch eine andere Entwicklung Sorgen: «Die Medienredaktionen werden abgebaut, ausgedünnt und brutal niedergespart. Auf der anderen Seite rüstet die ganze Kommunikations- und Deutungsindustrie wie Public und Investor Relations in ungeahnter Weise auf.»

Heute würden sich nicht nur börsenkotierte Unternehmen und private Firmen, sondern auch Verbände, Institutionen, Hilfswerke und Behörden «eigene Informationsapparate anschnallen».

«Je ressourcenschwächer die Medienredaktionen werden, die diesen ganzen Input kritisch bewerten, filtern und weitergeben sollten, desto grösser wird die Bereitschaft, die Convenience-Produkte aus den PR-Küchen mehr oder weniger ungeprüft zu übernehmen», so Lüönd.

Laut Untersuchungen würden heute zwischen 60% bis 80 % des redaktionellen Inhalts von Interessengruppen beeinflusst und gesteuert, wenn nicht sogar kontrolliert. «Das ist das Gefährliche und das ist das, was die Branche zu wenig realisiert.»

Lüönd spricht auch von einem Braindrain, von renommierten Journalisten, die zunehmend in PR-Agenturen oder in andere Funktionen abwandern. Einer davon ist der langjährige Wirtschaftschef und stellvertretende NZZ-Chefredaktor, Gerhard Schwarz. Schwarz hat das Blatt nach rund 30 Jahren verlassen und ist nun Direktor der Schweizerischen Denkfabrik Avenir Suisse. Ihm fehlten die Perspektiven für einen beseelten Journalismus, hat er einmal gesagt.

«Ohne genügend Ressourcen wird die berühmte vierte Macht zahnlos und ist nicht mehr funktionsfähig», so Lüönds Fazit zur aktuellen Entwicklung in der Medienbranche.

Die auflagenstärkste Zeitung der Schweiz bleibt nach wie vor «20 Minuten», obschon sie einen Auflagenrückgang von 7,9 Prozent verzeichnete. Mit 494’368 Exemplaren liegt sie weiterhin unangefochten an der Spitze. Dies geht aus Ende September veröffentlichten WEMF-Zahlen hervor.

Empfindliche Einbussen musste auch das Westschweizer Pendant «20 minutes» hinnehmen. Die Auflage sank um 9,9 Prozent auf 207’112 Exemplare. Seit «Le Matin Bleu» Ende September 2009 eingestellt wurde, hat «20 minutes» in der Romandie keine Gratis-Konkurrentin mehr.

Auch die Auflagen der meisten bezahlten Tageszeitungen gehen weiter zurück. Ausnahme ist der «Blick»: Die auflagenstärkste Schweizer Zeitung aus dem Hause Ringier konnte ihre Auflage gar geringfügig um 0,2 Prozent auf 214’880 Exemplare erhöhen.

Einen massiven Rückgang musste die zu Tamedia gehörende «Berner Zeitung» hinnehmen: Ihre Auflage ging um 9,2 Prozent auf 181’705 Exemplare zurück. Auch die zweite, in Bern erscheinende Tamedia- Publikation «Der Bund» ging um 2,9 Prozent auf 51’183 Exemplare zurück.

Ebenfalls weiter an Boden verlor das Tamedia-Flaggschiff «Tages- Anzeiger». Im vergangenen Jahr verkaufte das in Zürich erscheinende Blatt 203’636 Exemplare (-2,7 Prozent). Ähnlich erging es der «Neuen Zürcher Zeitung». Sie büsste 2,0 Prozent ein und wies damit eine Auflage von 136’894 aus.

Zurück gingen auch die Auflagen der «Mittelland Zeitung» (-2,7 Prozent auf 187’111), der «Neuen Luzerner Zeitung» (-2,4 auf 124’242), der «Südostschweiz» (-0,7 Prozent auf 124’760), der «Zürcher Landzeitung» (-4,9 Prozent auf 95’255), des «St.Galler Tagblatts» (-1,5 auf 94’020) und der «Basler Zeitung» (-5,0 auf 83’773).

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