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Die Schweiz ist «regelrecht vom Schiessen begeistert»

zwei Schützen im Schiesskeller
Thomas Kern/swissinfo.ch

Die Behauptung, die Schweizer seien ein Volk von Schützen, wäre übertrieben. Doch der Schiesssport ist in der Eidgenossenschaft sehr stark verankert, nicht nur auf dem Land. Besuch bei zwei Clubs in Genf, im Vorfeld der Abstimmung über eine Verschärfung des Waffengesetzes.

Am 19. Mai stimmt das Schweizer Stimmvolk über eine Gesetzesrevision ab, welche die europäische Waffenrichtlinie in Schweizer Recht umsetzen will. Im Zusammenhang mit dem Dubliner Abkommen über die Sicherheit regelt sie den Umgang mit halbautomatischen Waffen strenger. Die vom Parlament verabschiedete Revision wird von der Interessengemeinschaft Schiessen SchweizExterner Link durch ein Referendum bekämpft.

Der Eingang ist nicht leicht zu finden. Der grösste unterirdische Schiessstand der Schweiz befindet sich in einem modernen Gebäude. Daran prangen auffällig die Schilder eines Fitnesscenters und eines Fahrradgeschäfts, während jenes des «Swiss Gun Center»Externer Link an der gemeinsamen Tür eher schlicht gehalten ist.

Kaum haben wir das Gebäude betreten, stossen wir auf die Grundregel des «Swiss Gun Center», die in einem Wort zusammengefasst wird: Sicherheit! Ohne Identifizierung gibt es keinen Zutritt, und kein einziger Quadratzentimeter der 2000 Quadratmeter grossen Anlage entgeht der permanenten Videoüberwachung. Die Türen zum Schiessstand sind gepanzert, lassen sich nur mit einer codierten Karte öffnen und schliessen sich automatisch.

Michel Bonhomme
Michel Bonhomme, Besitzer und Betreiber des Swiss Gun Center in Genf. Thomas Kern/swissinfo.ch

«Wir wollen kein Polizeiregime errichten, sondern einfach Unfälle vermeiden und dafür sorgen, dass hier alle sicher sind. Mit Waffen ist nicht zu spassen», sagt der Besitzer Michel Bonhomme, der uns herumführt.

Eine Art 5-Sterne-Spa für Schützen

Wer hier schiessen will, muss Mitglied sein. Und wer Mitglied werden will, muss die gesetzlich vorgeschriebenen Dokumente vorlegen, die Regeln lesen und unterschreiben und ein halbstündiges Coaching absolvieren, um herauszufinden, ob das Neumitglied alleine schiessen kann.

«Wer das nicht kann, muss einen Kurs besuchen, der helfen soll, die Lücken zu schliessen», sagt Bonhomme. Denn wer nicht ausreichend ausgebildet sei, gefährde sich selber.

Neben der Möglichkeit, alleine oder mit anderen zusammen in verschiedenen Schiessständen zu üben, bietet das Zentrum auch diverse Kurse an. Dazu gehören zum Beispiel so genannte «Entdeckerkurse» für Interessierte. Zudem gibt es einen Dojo-Raum für Kurse für waffenlose Festnahmetechniken und einen Fitnessraum mit Coaching.

In der Klassifizierung der Schweizer Sportverbände durch Swiss Olympic lagen die Schützenvereine 2016 (jüngste Daten) auf dem zweiten Platz bei der Anzahl der Vereine (2943) und auf dem fünften Platz bei der Anzahl der Mitglieder (131’325).

Verkauf, Vermietung, Überholung und Wartung von Waffen werden im Zentrum ebenfalls angeboten, zu dem auch eine Waffenkammer und eine Boutique mit verschiedenen Accessoires gehören.

Schliesslich vermietet das Zentrum auch Waffenschränke mit codierten Schlüsseln zur Aufbewahrung von Waffen, so dass die Schützen diese nicht immer mit sich herumtragen müssen. Laut Bonhomme haben sich zwischen 70 und 80% der Mitglieder für diese Option entschieden.

Das «Swiss Gun Center» wurde am 8 Januar 2019 eröffnet. Es brauchte zehn Jahre Planungszeit. Die Anlage ist absolut schalldicht, gebaut aus modernsten Materialen und ausgestattet mit den neuesten technologischen Systemen, mit gegen Querschläger gesicherten Wänden, Böden und Decken.

Was hat das alles gekostet? «Mehrere Millionen» Franken, sagt der Besitzer, der den genauen Betrag nicht offenlegen will. Er ist überzeugt, dass sich die Investition gelohnt hat, weil die Leute «regelrecht vom Schiessen begeistert» seien. «Es gibt eine starke Nachfrage nach Infrastrukturen wie dieser, doch das Angebot fehlt.»

Urbane und weibliche Zukunft

Bei der Nachfrage nach Schiesszentren spricht Bonhomme von den städtischen Agglomerationen, also von jenen Orten, wo die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung lebt. «Heute wollen die Leute das Schiessen üben, ohne lange anreisen zu müssen. Die Menschen kommen hierher, um in der Pause oder nach der Arbeit Sport zu treiben, genau wie jene, die in ein Fitnesscenter gehen oder einer anderen Sportart nachgehen.»

Das «Swiss Gun Center» befindet sich im Genfer Quartier der internationalen Organisationen, fünf Minuten entfernt von der nächsten Tramhaltestelle. Es zieht eine heterogene Kundschaft aller Altersgruppen an, von Sicherheitsexperten über trainierende Sportschützen bis zu Bürgern, die das Schiessen als Hobby pflegen.

«Wir stehen noch am Anfang, aber wir haben immer mehr Mitglieder. Jeden Monat kommen rund hundert dazu», sagt Bonhomme. Besonders bei den Frauen verzeichne er ein grosses Wachstumspotenzial. Sie scheinen oft Mundpropaganda zu machen. «Gegenwärtig machen sie fast 40% unserer Mitglieder aus.»

André Maury
André Maury, Präsident des Genfer Schiessvereins «Exercices de l’Arquebuse et de la Navigation». swissinfo.ch

Schiessen sei bei Frauen im Trend, sagt André Maury, der Präsident von «Exercices de l’Arquebuse et de la Navigation»Externer Link (EAN) in Genf, einer der ältesten Schützengesellschaften der Schweiz. Ihre Wurzeln gehen auf das Mittelalter zurück. Die Zunahme des Frauenanteils sei allgemein zu beobachten. Und: «Frauen sind nicht nur auf dem Vormarsch, sie treffen auch besser», sagt Maury.

Mehr als 500 Jahre Geschichte

Wir treffen ihn nach dem Besuch des «Swiss Gun Center» im Hôtel de l’Arquebuse, dem Hauptsitz der Gesellschaft. Die EAN-Residenz wurde 1900 im Zentrum der Stadt eingeweiht, wo sich bis 1895 der Schiessplatz befand. Damals wurde der neue Platz St. Georges in Petit-Lancy am Rand von Genf eröffnet.

Das Leitmotiv der beiden Vereine ist die Verbundenheit mit den Schweizer Traditionen des Schiessens und die Freiheit jedes Bürgers, eine Waffe zu besitzen. Doch in ihrem Charakter sind sie ganz verschieden.

Die Genfer EAN blickt auf eine patriotisch geprägte Geschichte zurück. Ihre Existenz ist durch offizielle Dokumente seit 1474 belegt. Und noch heute ist sie von einem Geist der Brüderlichkeit geprägt. An den Schiessstand von St. Georges gehe man nicht nur zum Schiessen, sondern auch, um Kontakte zu pflegen, sagt Maury.

Das Hôtel de l’Arquebuse ist nicht nur der Hauptsitz, wo der Stiftungsrat tagt und die Versammlungen stattfinden. Das Haus ist auch ein Treffpunkt und ein Ort für Freizeitaktivitäten mit der Familie. Ein Beweis dieser Geselligkeit ist die Arquebuse Brass Band.

Hôtel de l Arquebuse, historische Aufnahme ohne Verkehr
Heute sind die Strassen rund um das Hôtel de l’Arquebuse in Genf belebter. Aber im Inneren führen Gemälde und Sammlungen von Waffen und Trophäen Besuchende zurück in die Vergangenheit dieser alten Schützengesellschaft. notreHistoire.ch

Motivation, nicht Geld

Die Anmeldegebühr wird einmalig entrichtet: Mit 300 Franken wird man gegenwärtig Mitglied. Diese symbolische Summe darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der BewerbungsprozessExterner Link eine Reihe von Auswahlkriterien umfasst.

Dazu gehören ein Motivationsschreiben und die Verpflichtung, Kurse über die Sicherheit von kurzen und langen Waffen zu besuchen, um beweisen zu können, dass man autonom schiessen kann. Zudem müssen sich zwei Paten verbürgen, die bereits EAN-Mitglieder sind, und die wiederum bestimmte Kriterien erfüllen müssen.

Trotzdem sei man «einer der grössten Schützenvereine der Schweiz», sagt der Präsident. Gegenwärtig zählt der Verein rund 2500 Mitglieder, von denen etwa 750 über eine Schiesslizenz verfügen, was bedeutet, dass sie an Wettkämpfen teilnehmen können.

Entgegen dem Trend bei vielen kleineren Vereinen, die sich in den letzten Jahren mit einem kontinuierlichen Rückgang der Mitgliederzahl konfrontiert sahen, sind jene der Schützengesellschaft EAN gestiegen. «Wir haben jedes Jahr zwischen 50 und 60 neue Mitglieder», sagt Maury.

Der EAN gehören gegenwärtig auch etwa 60 junge Schützinnen und Schützen an (zwischen 15 und 21 Jahren). Zwar brauchen die Jugendlichen keine Paten, aber auch für sie ist die Auswahl streng. «Jedes Jahr lehnen wir etwa 250 junge Kandidierende ab», sagt der Präsident. Und «wenn sich die Jugendlichen nicht diszipliniert verhalten, werden sie ausgeschlossen».

Um dem stetigen Zustrom neuer Mitglieder zu begegnen, erweitert die EAN nun den Schiessplatz St. Georges. «Andernfalls könnte unser Schiessstand bald an seine Grenzen stossen.»

Wie Bonhomme ist auch Maury überzeugt, dass die Leidenschaft für das Sportschiessen in der Schweiz lebendiger denn je ist. Und wie im «Swiss Gun Center» läuft auch bei «Exercices de l’Arquebuse et de la Navigation» die Kampagne gegen die Revision des Waffengesetzes, über die das Schweizer Volk am 19. Mai abstimmen wird. Diese Abstimmung findet nur deshalb statt, weil die Schützen-Community erfolgreich das Referendum gegen die Revision eingereicht hat.

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(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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