Was tun gegen Gewalt im Sexgewerbe?
Die Tätigkeit der Sexarbeiterin sollte zu einem Beruf aufgewertet werden, ist das Fazit einer Studie zur Verhinderung von Gewalt im Sexgewerbe. Dazu brauche es griffige Regelungen, sagt die Verfasserin.
«Man kann das Sexgewerbe durchaus mit anderen Gewerben vergleichen. In anderen Gewerben werden Arbeitsverträge abgeschlossen. Es wird klar vereinbart, welche Aufgaben übernommen werden, zu welchem Preis und in welcher Frist. Im Sexgewerbe ist das heute meistens noch nicht der Fall», sagt Eva Büschi, Professorin an der Hochschule für Soziale Arbeit der FHNW in Olten, gegenüber swissinfo.ch.
Die Betreibenden von Sexetablissements, sowohl Frauen als auch Männer, befüchteten, sich des Straftatbestands der Förderung der Prostitution schuldig zu machen.
Gewalt ist im Sexbusiness alltäglich, wie die Studie zeigt. Sie beleuchtet das Thema Gewalt im Sexgewerbe aus der Perspektive der Geschäftsführenden. Für die Geschäftsführenden ist nicht die Gewalt das hauptsächliche Problem, sondern die gesellschaftliche Stigmatisierung.
«Sie erwähnen zahlreiche Arten und Formen von Gewalt und differenzieren zwischen Gewalt unter Freiern oder Geschäftsführenden an Sexarbeitenden und Gewalt unter den Sexarbeitenden selber», schreibt Büschi. Die Gewalt werde oft relativiert und banalisiert sowie durch einen engen Gewaltbegriff ausgeblendet.
Kein Instrument gegen Menschenhandel
«Die Studie befasst sich mit der Gewalt an legal arbeitenden Sexarbeiterinnen in Studios, Salons und Kontakt-Bars», sagt Büschi, «und die Empfehlungen beziehen sich ausschliesslich auf diese.» Es gehe nicht darum, Menschenhandel oder die Prostitution Minderjähriger zu entkriminalisieren. Die Befunde liessen sich auch nicht einfach so auf den Strassenstrich übertragen.
«Gesellschaftlich wird Sexarbeit zwar tabuisiert oder diffamiert, und trotzdem ist das Sexgewerbe ein riesiges Business, das in der Schweiz geschätzte 3.5 Milliarden Franken Umsatz generiert.» Die Geschichte zeige, dass das Sexgewerbe auch in Phasen der Repression geblüht habe.
Büschi spricht sich deshalb für einen pragmatischen Ansatz aus: «Es gibt diesen Wirtschaftszweig, und es geht darum, die Arbeitsbedingungen für diese Leute, die dort arbeiten, so gut wie möglich zu gestalten.»
Verschiedene Kantone seien zur Zeit daran, die Regelungen im Sexgewerbe zu überarbeiten. Eine gesamtschweizerische Gesetzgebung sei aber ihrer Meinung nach gar nicht nötig, sagt Büschi. «Es gibt Beispiele, wie die Arbeitsbedingungen im Sexgewerbe relativ einfach geregelt werden können.»
Gewalt und Arbeitsbedingungen
Gute Arbeitsbedingungen seien ein Kernfaktor, um gewalttätiges Verhalten von Freiern zu verhindern. Sie erleichterten klare Abmachungen zwischen Freier und Sexarbeiterin von Beginn weg. «Die Sexarbeiterin muss den Rahmen ganz klar definieren können, sie soll den Lead behalten, vor und während der Dienstleistung.»
In den meisten Etablissements sind heute Kameras angebracht, damit schon vor dem Einlass in den Salon festgestellt werden kann, ob ein Freier alkoholisiert ist oder ob es mehrere Freier sind.
Das Beispiel Nidau
In Nidau im Kanton Bern hat der Regierungsstatthalter Bedingungen aufgestellt, die erfüllt sein müssen, damit die Betreiber von Sexetablissements eine Betriebsbewilligung erhalten. Sie müssen sich verpflichten, transparent zu sein, dazu zu stehen, dass Sexarbeit geleistet wird, und die Frauen dürfen nicht als Touristinnen deklariert werden.
Die Sexarbeiterinnen müssen sich legal in der Schweiz aufhalten, und die zuständige Beratungsstelle muss uneingeschränkten Zugang zu den Sexarbeitenden haben. Weiter müssen die Betreiber Merkblätter in den Sprachen der Frauen abgeben, die sie über Rechte und Pflichten informieren, auch darüber, dass sie ihr Einkommen in der Schweiz versteuern müssen.
Die Betreiber dürfen auch keine überrissenen Preise für Zimmer oder Nebenkosten verlangen. Alle diese Punkte werden unangemeldet durch die Polizei kontrolliert.
Die Kontrollen haben in Nidau dazu geführt, dass das Etablissement geschlossen werden musste. «Das zeigt doch gerade, dass die Regelungen funktionieren», sagt Büschi.
Warum nicht bei den Freiern ansetzen?
Meistens geht die Gewalt im Sexgewerbe von Freiern aus. Wieso setzt die Gewaltprävention nicht bei diesen an? «Man hat festgestellt, dass die Freier nicht in dem Sinn eine einheitliche Gruppe bilden, sondern sehr heterogen sind», sagt Büschi. «Es gibt Freier jeder Alters- und Einkommensklasse, deshalb ist es komplex, mit der Gewaltprävention dort anzusetzen, daher wurde leider bisher keine entsprechende Kampagne initiiert.»
Bei der Aidsprävention habe man jedoch mit Erfolg bei den Freiern angesetzt, und es gebe auch bei der Gewaltprävention Ansätze, welche die Freier einbezögen. «Ich weiss von einer Beratungsstelle, die Hinweise von Freiern bekommt, wenn diese den Eindruck haben, dass Frauen schlecht behandelt, ausgebeutet oder unterdrückt werden.»
«Verberuflichung»
Eine «Verberuflichung» der Sexarbeit, wie Büschi sie vorschlägt, würde die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter entstigmatisieren und eine klare Trennung zwischen legalen und illegalen Anbietenden bringen.
Der spezifische Druck, der heute von Freiern wie auch von Geschäftsführenden auf Sexarbeiteiterinnen ausgeübt werden kann, könnte vermindert werden, und vielen Problemen – wie beispielsweise ansteckenden Krankheiten – würde offener begegnet.
«Je grösser der Druck auf die Sexarbeiterinnen ist, desto grösser ist die Gefahr, dass sie beispielsweise einen angetrunkenen Freier akzeptieren oder dass sie bereit sind, die Dienstleistung ohne Kondom zu erbringen.»
Es sei nach wie vor eine Tatsache, dass viele Freier Leistungen ohne Kondom wünschten. «Alle interviewten Frauen beteuerten zwar, ausschliesslich sexuelle Dienstleistungen mit Kondom anzubieten.» Die Forschung wisse aber, dass Ausnahmen gemacht werden. «Die Dunkelziffer muss sehr gross sein», sagt Büschi.
Der Ansatz der Studie «Gewalt im Sexgewerbe» ist eher ungewöhnlich: Die Autorin Eva Büschi befragt 13 Geschäftsführende von einschlägigen Etablissements.
Sie konzentriert sich auf die Frage der Arbeitsorganisation in den Settings, ihr berufliches Selbstverständnis sowie auf weitere von ihnen thematisierte Probleme.
Die Haltung der Geschäftsführenden ist durch eine Relativierung der Gewaltproblematik gekennzeichnet.
Das Ergebnis der Studie lässt sich so zusammenfassen: Es wird deutlich, dass die Anerkennung von Sexarbeit als Erwerbsarbeit und die Professionalisierung des Gewerbes zentrale Aspekte sind, um die Entstigmatisierung zu fördern.
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