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«Es ist hart, einem Schweizer beim Klagen zuzuhören»

Seit acht Jahren lebt die Profi-Mountainbikerin Ariane Lüthi in Südafrika. Als Frau musste die 35-Jährige dort mehr kämpfen, als sie es von der Schweiz gewohnt war. Die Berner Oberländerin mit Universitätsabschluss in Sport-, Medienwissenschaften und Geschichte ist der Meinung, viele Daheimgebliebene würden die gesellschaftlichen Errungenschaften in der Schweiz zu wenig schätzen.

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Team-Fotoshooting 2018. (Foto: Craig Kolesky)

swissinfo.ch: Wann und warum haben Sie die Schweiz verlassen?

Ariane Lüthi: Ich bin Ende 2010 nach Südafrika ausgewandert. Zwei Monate davor hatte ich dort an einem Mountainbike-Etappenrennen teilgenommen und meinen Ex-Mann kennengelernt. Er war Profi und Manager eines Mountainbike-Teams und konnte mir einen Profivertrag mit seinem neuen Team aushandeln. Ich bin also der Liebe wegen und der Möglichkeit, meine Passion als Profession auszuüben, nach Südafrika ausgewandert.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten, unter anderem zum Gastland, sind ausschliesslich jene der porträtierten Person und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

swissinfo.ch: War es eine Reise ohne Rückkehr, oder haben Sie vor, einmal wieder in die Schweiz zurückzukehren?

A.L.: Damals, als ich die Schweiz verliess und bald darauf geheiratet habe, dachte ich, dass ich wohl in Südafrika bleiben würde. Mittlerweile bin ich geschieden und erwäge eher wieder, meine Papiere in die Schweiz zu verlegen.

Da ich mit dem Mountainbike-Sport sehr viel auf Reisen bin, verweile ich aber sowieso nie lange am gleichen Ort und bin durchs Jahr hindurch fast gleich viel in der Schweiz wie in Südafrika.

Bilder von Auslandschweizern
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swissinfo.ch: Was für einen Bezug haben Sie zur Schweiz?

A.L.: Ich habe immer noch einen sehr starken Bezug zur Schweiz, da meine Familie dort lebt und ich viele Freunde in der Schweiz habe, mit denen ich regelmässig in Kontakt bin.

Weil ich mich natürlich in Südafrika integrieren wollte, habe ich mich doch sehr stark mit den Unterschieden der beiden Länder auseinandergesetzt und oft zu erklären versucht, inwiefern ich aufgrund meiner Herkunft anders bin.

Oft, wenn ich mich über etwas geärgert habe, war meine erste Reaktion, «Aaah, typisch Südafrika, in der Schweiz wäre das sicher nicht so…». Aber mit ein bisschen mehr Selbstreflexion musste ich eingestehen, dass beispielsweise das unterschiedliche Verständnis von Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit genauso mit dem kulturellen Hintergrund erklärt werden kann, wie meine obige Reaktion.

Zwei Mountainbikerinnen im Wald
Ariane Lüthi an der Mountainbike-Marathon-WM 2018 in Rumänien, wo sie Sechste wurde. Armin M. Küstenbrück / EGO-Promotion

swissinfo.ch: Was ist für Sie typisch schweizerisch?

Wir Schweizer haben oft ein Gefühl der Superiorität gegenüber Entwicklungs- oder in diesem Fall Schwellenländern. Aber nur weil der generelle Wohlstand in der Schweiz grösser ist als in Südafrika, heisst das noch lange nicht, dass wir Schweizer alles besser machen.

Die Schweiz ist immer noch meine Heimat und ein Ort, an dem ich mich oft aufhalte, deshalb habe ich nach wie vor ein starkes Interesse an den Geschehnissen und der Politik in der Schweiz.

Frau mit Velo-Rennanzug
Porträt aus dem Team-Fotoshooting 2018 Craig Kolesky

swissinfo.ch: Welcher Arbeit gehen Sie nach? Wie läuft es?

A.L.: Ich wurde durch meinen südafrikanischen Ex-Mann zum Mountainbike-Profi und fahre für das südafrikanische Team SpurExterner Link. Ich durfte einige schöne Erfolge in meiner Karriere feiern, unter anderem fünf Siege am legendären Cape Epic Etappenrennen [eines der härtesten Mountainbike-Mehretappenrennen der Welt, A Red.].

Reich in monetärer Hinsicht werde ich wohl nie, aber ich liebe meine Arbeit, und mein Leben ist reich an schönen und sehr intensiven Erinnerungen, was mich schliesslich glücklicher macht.

swissinfo.ch: Wo leben Sie gegenwärtig, wie ist das Leben, die Küche dort?

A.L.: Ich miete ein Studio in StellenboschExterner Link, wo ich mich zwischen September und April vorwiegend aufhalte. Es ist ein kleines Städtchen in der Nähe von Kapstadt, das für die vielen schönen Weingüter und deren Wein bekannt ist.

Stellenbosch ist auch ein sehr beliebter Trainingsort vieler internationaler Weltklassesportler aus Triathlon, Leichtathletik, Schwimmen und natürlich dem Mountainbike-Sport. Da nicht nur die Cape Epic sondern neu auch ein Weltcuprennen dort stattfindet, zieht es viele Mountainbike-Profis dorthin.

Frauengruppe auf Mountainbikes
Dritte Etappe der «Absa Cape Epic» 2018. Am nächsten Tag wurde Lüthis Partnerin leider krank. Ewald Sadie

Von Januar bis März ist Stellenbosch deshalb nicht nur proppenvoll mit Studenten, sondern zusätzlich auch mit Spitzensportlern. Das heisse und trockene Wetter, die vielen Trails, der relaxte Lebensstil und das gute Essen haben Stellenbosch zur populären Trainingsdestination gemacht.

Die Küche ist eigentlich europäisch, da die weissen Südafrikaner auch europäischer Herkunft sind – vor allem aus England und Holland. Weil Kapstadt aber eine «Haltestelle» auf dem Handelsweg von Asien nach Europa war, hat die Küche auch einen asiatischen Einfluss. Das Bobotie ist ein gutes Beispiel dafür, ein mit Curry gewürztes Hackfleischgericht, das mit Chutney verfeinert und gesüsst wird.

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swissinfo.ch: Was ist in Südafrika attraktiver als in der Schweiz?

A.L.: Das Wetter ist definitiv attraktiver. Für mich als Mountainbikerin ist es von grossem Vorteil, in trockenem und warmem Wetter trainieren zu können, um die nötigen Distanzen auf dem Bike zu erreichen, ohne eine Erkältung einzufangen.

Der grösste Unterschied zur Schweiz ist wohl die noch grössere kulturelle Diversität: Südafrika ist nicht umsonst als Regenbogennation bekannt.

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Am Strand von Somerset West, mit 20 km Entfernung der nächste Strand von Stellenbosch. Im Hintergrund die Cape Peninsula und Cape Point. (Foto: Joanna Dobinson)

swissinfo.ch: Wie denken Sie aus der Ferne über die Schweiz?

A.L.: Den Schweizern geht es extrem gut. Doch weil es so wenig Arme in der Schweiz gibt, wird das, was man hat, zu wenig geschätzt. Wenn man gesehen hat, mit wie wenig andere Leute noch zufrieden sein können, dann ist es hart, einem Schweizer beim Klagen zuzuhören.

In Anbetracht des grossen Wohlstands finde ich, dass die Schweiz mehr tun sollte, um das grosse Leiden in der Welt zu lindern. Die Apartheid in Südafrika wurde überwunden, doch ist es noch ein weiter Weg zu einer gerechten Welt, in der sich eine gewisse Gruppe Menschen nicht mehr einer anderen überlegen fühlt. Ist es nicht so, dass es uns in der Schweiz zu einem grossen Teil nur so gut geht, weil andere in der Ferne noch immer wie Sklaven behandelt werden?

swissinfo.ch: Fühlen Sie sich manchmal fremd oder sind Sie gut integriert?

A.L.: Die Südafrikaner sind sehr aufgeschlossen und sehen mich als eine von ihnen. Aber es gibt natürlich immer Momente, in denen ich realisiere, dass ich ursprünglich von einem anderen Fleck komme. Sei es, wenn ich einen «Insiderwitz» nicht ganz verstehe oder mit meiner weniger prüden Art etwas anecke.

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In den Ferien im Hotel Lechlife in Reute, Österreich, 2018. Kurze Erfrischung im Blindsee. (Foto: Julie Magnussen)

swissinfo.ch: Welche kulturellen Unterschiede bereiten Ihnen am meisten Mühe?

A.L.: Am meisten Mühe hatte ich wohl mit der etwas häufigeren Unzuverlässigkeit der Südafrikaner. Ein Wort ist nicht immer ein Wort, und das war für mich oft besonders enttäuschend, wenn es um Sponsorenverhandlungen ging. Ich habe aber über die Jahre dazugelernt und werde nun von durchaus zuverlässigen und integren Sponsoren unterstützt, man kann also nicht alle in einen Korb werfen.

Was mir auch etwas Mühe macht, ist der erhöhte Druck, den ich als Frau verspüre, einem gewissen Schönheitsideal zu entsprechen. Diesbezüglich sind die Südafrikaner vielleicht etwas oberflächlicher als die Schweizer, die zu meinem Bekanntenkreis gehören. Wobei es bestimmt auch oberflächliche Leute in der Schweiz gibt!

Auch hatte ich in Südafrika eher das Gefühl, als Frau für Respekt kämpfen zu müssen. Die Geschlechterrollen sind vor allem unter den Afrikaanern, den weissen Südafrikanern aus Niederländischer Abstammung, noch oft konservativ verteilt. Da ich mit einem Afrikaaner verheiratet war, hat mir das etwas zu schaffen gemacht. Ich vermisste die Gesellschaft von «taffen» Frauen, wie ich sie aus der Schweiz kenne.

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Nach dem Sieg am Attakwas Extreme UCI Marathon, Januar 2018: «Mein sechster Sieg an diesem Rennen. Nachdem ich zwei Jahre stark mit meiner Depression zu kämpfen hatte, war dies einer der schönsten Siege meiner Karriere, da ich fühlte, dass ich endlich wieder auf meinem früheren Niveau fahren konnte», kommentiert Ariane Lüthi dieses Bild. (Foto: Zoon Cronje)

swissinfo.ch: Was freut Sie in Ihrem Alltag in der Fremde am meisten?

A.L.: Die aufgestellte und lockere Art der Schwarzen, welche sehr schlecht bezahlte Arbeiten ausüben, wie zum Beispiel jene, die an Strassenbaustellen zur Warnung des Verkehrs den ganzen Tag lang eine Fahne schwingen müssen, aber trotzdem immer freundlich Hallo sagen und – wie auch schon erlebt – dabei sogar tanzen.

swissinfo.ch: Nehmen Sie an Schweizer Wahlen und Abstimmungen teil?

A.L.: Ich würde eigentlich sehr gerne an den Abstimmungen teilnehmen. Meine Unterlagen erhalte ich jedoch meistens erst nach der Abstimmung, da die Post etwas langsam ist. Ein E-Voting würde ich deshalb sehr begrüssen!

swissinfo.ch: Was vermissen Sie von der Schweiz am meisten?

A.L.: Da wir gerade dabei sind – ich vermisse definitiv ein etwas schnelleres und zuverlässigeres Postsystem, damit ich eben abstimmen könnte. Besseres Hahnenwasser und Mischarmaturen sind etwas Praktisches, womit ich von der Schweiz her verwöhnt bin. Dann sind es vor allem aber meine Schweizer Freunde, die Familie, das Reden in Berndeutsch und auch die schönen Alpen, die ich im Süden vermisse.

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Selfie mit den «Trail Angels», einer Gruppe von Frauen in Südafrika, die sich regelmässig für eine Mountainbike-Ausfahrt durch die Natur treffen.

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