Gewürzduft lockte ihn weg von den Paragraphen
Als Backpacker liess sich der Jurist Raphael Flury von Ostafrika und dessen Naturprodukten begeistern. Jetzt leitet der 28-jährige Auslandschweizer ein biozertifiziertes Gewürzproduktions- und Handelsunternehmen auf der Gewürzinsel Sansibar, die zu Tansania gehört.
swissinfo.ch: Warum haben Sie die Schweiz verlassen?
Raphael Flury: Als junger Jurist hatte ich einen interessanten und fordernden Alltag in der Schweiz. Ich war zufrieden mit meinem beruflichen und privaten Leben.
Während des Studiums hatte ich ein Austausch-Semester im internationalen Lausanne absolviert und als Backpacker Asien, Ostafrika und Zentralamerika bereist. Diese internationalen Erfahrungen prägten mich sehr. Meine letzte grössere Reise hatte mich durch Tansania geführt, wo ich zwischen meinem Bachelor- und Masterstudium interimistisch das Tagesgeschäft einer Kaffeefarm leiten durfte.
Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten, unter anderem zum Gastland und dessen Politik, sind ausschliesslich jene der porträtierten Person und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.
Dank dieser positiven Erfahrung in der ostafrikanischen Privatwirtschaft und meinem inneren Drang, in möglichst jungen Jahren einen unkonventionellen Schritt für ein interessantes und trotzdem wirtschaftsnahes Leben zu wagen, brauchten meine heutigen Direktoren keine grosse Überzeugungskraft zu leisten, mir die Übernahme ihrer Tansania-GeschäfteExterner Link schmackhaft zu machen. Die Schönheit und die warme Kultur Tansanias waren eine angenehme Begleiterscheinung, jedoch kein ausschlaggebendes Argument.
swissinfo.ch: Sansibar ist als «Gewürzinsel» bekannt. Sie produzieren professionell Gewürze. Wie kam es dazu?
R.F.: In meinen Monaten auf der Kaffeefarm entdeckte ich mein Interesse für natürliche Rohstoffe sowie «emotionale Produkte». Kaffee und Gewürze sind wunderbare Güter, welche Menschen Freude bereiten.
Es ist sehr erfüllend, mit Naturprodukten wie Zimt, Pfeffer, Vanille und Nelken zu arbeiten sowie auf Augenhöhe mit den Kleinbauern zu lernen, wie diese Produkte produziert und verarbeitet werden. Haben Sie gewusst, dass die Ceylon-Zimt-Stangen aus der der Rinde des Zimtbaumes herausgeschält und während drei bis vier Tagen handgerollt sowie sonnengetrocknet werden?
swissinfo.ch:Wann wanderten Sie definitiv nach Tansania aus?
R.F.: Ich habe mich per Ende 2016 an meinem Schweizer Wohnsitz abgemeldet.
swissinfo.ch: Wie waren die ersten Monate im Ausland?
R.F.: Durch meine Arbeitserfahrung in Ostafrika war ich relativ gut auf meinen Einstieg in Tansania vorbereitet. Die Übernahme der Unternehmensleitung, der Quereinstieg in die Gewürzindustrie sowie die Reorganisation und die Anpassung des Privatlebens an die örtlichen Gegebenheiten waren trotzdem sehr intensiv. Die Sonntagsausflüge an die perfekten Sandstrände wirkten im Vergleich zum turbulenten Alltag beinahe surreal.
swissinfo.ch: Haben Sie vor, einmal wieder in die Schweiz zurückzukehren?
R.F.: Ich bin sehr dankbar, dass ich in der Schweiz geboren wurde. Die Rückkehr in ein grossartiges Land wie die Schweiz grundsätzlich auszuschliessen, fände ich falsch. Hat man jedoch den Schritt in ein internationales Arbeitsumfeld und Leben erfolgreich hinter sich gebracht, eröffnen sich viele weitere interessante Optionen rund um den Globus.
swissinfo.ch: Wo auf der Insel leben Sie gegenwärtig, wie ist das Leben, die Küche dort?
R.F.: Mein Wohnsitz ist in Sansibar Stone TownExterner Link, der geschichtsträchtigen Altstadt Sansibars. Das Leben in Stone Town erinnert mich an meine Schweizer Dorf-Kindheit. Man kennt und grüsst sich, hat Zeit für einen freundlichen Schwatz auf der Strasse und hilft sich gegenseitig, wenn jemand Unterstützung braucht.
Ich wurde sehr herzlich von den zu 99% muslimischen Einwohnern aufgenommen. Ihre Gastfreundschaft sowie ihre Balance zwischen Tradition und der Offenheit gegenüber Neuem, ist lobenswert.
Da Sansibar über Jahrhunderte eine zentrale Stellung auf den wichtigsten Schiffshandelsrouten innehatte, ist die Insel ein Schmelztiegel der Kulturen. Neben den ostafrikanischen findet man auch zahlreiche orientalische Einflüsse. Kulinarisch ist die Insel entsprechend ein Highlight.
swissinfo.ch: Was ist der grösste Unterschied zur Schweiz?
R.F.: Viele Märkte in Tansania sind noch unbesetzt. Wenn man etwas mit schweizerischer Sorgfalt anpackt und sein Ziel kontinuierlich verfolgt, kann man sich grundsätzlich eine Existenz aufbauen.
In dieser Freiheit liegt jedoch auch eine grosse Gefahr: Wer keine genügend grosse Frustrationstoleranz und Ausdauer mitbringt, wird sich verlaufen oder sich die Zähne an der tansanischen Gelassenheit ausbeissen. Tansanier sind wohl die Meister der ad hoc Improvisation. Grundsätzlich gilt «expect the unexpected» und dass letzten Endes doch alles irgendwie funktioniert.
Geografisch: Das Land ist riesig und erstreckt sich durch diverse Klimazonen. Entsprechend attraktiv sind der Lebensraum und die Outdoor-Aktivitäten.
swissinfo.ch: Wie denken Sie aus der Ferne über die Schweiz?
R.F.: Der Geburtsort ist eine der wenigen wegweisenden Lebensentscheidungen, auf die man keinen Einfluss nehmen kann. Wir sollten deshalb dankbar sein, in einem stabilen, sicheren, friedlichen und gut organisierten Land aufwachsen zu dürfen.
Im Ausland sieht man jedoch auch viele alternative Lebensmodelle, die wahrscheinlich dem einen oder anderen Schweizer zu mehr Zufriedenheit verhelfen könnten. Die Schweiz ist ein gut geöltes Uhrwerk, jedoch nur solange alle ungefähr am selben Strang ziehen.
swissinfo.ch: Interessieren Sie sich für die Politik in Ihrem Wohnland?
R.F.: Natürlich sind die lokalen sowie internationalen politischen Vorgänge relevant für mich und die Unternehmung. Politisch unterlag Tansania in den letzten zwei Jahren starken Veränderungen, was direkte Auswirkungen auf die aktuelle Wirtschaftslage hat.
Seit der Wahl der neuen Regierung gibt es eine grundsätzliche wirtschaftliche Verunsicherung im Land wie auch in der Expat-Community. Diverse internationale Unternehmen haben ihre lokalen Tochterfirmen vorübergehend geschlossen. Man beobachtet die Entwicklungen und wartet zu. Tansania ist jedoch weiterhin ein grundsätzlich stabiles und für Touristen sicheres Land.
swissinfo.ch: Nehmen Sie an Schweizer Wahlen und Abstimmungen teil?
R.F.: Ich habe in der Schweiz aus Überzeugung an jeder Wahl oder Abstimmung teilgenommen, was mir als Auslandschweizer leider nicht immer gelingt. Entsprechend bedauere ich, dass das E-Voting in meinem Heimatkanton vor ein paar Jahren aufgrund einer festgestellten Sicherheitslücke abgebrochen werden musste.
Es ist folglich zu begrüssen, dass der Bund das E-Voting schrittweise von der Versuchsphase in den ordentlichen Betrieb führen möchte. Die damit verbundenen kritischen Diskussionen auf nationaler Ebene, bezüglich der Sicherheit und der Wahrung des Stimmgeheimnisses, sind wichtig und notwendig, da wir unsere Demokratie dem neuen Risiko der Cyber-Kriminalität und Einflussnahme durch Drittstaaten aussetzen.
Die angekündigte Volksinitiative mit dem Ziel, das E-Voting aus Sicherheitsgründen per se zu verbieten, empfinde ich jedoch als zu voreilig.
swissinfo.ch: Was vermissen Sie von der Schweiz am meisten?
R.F.: Es ist lobenswert, dass es in der Schweiz mehrheitlich selbstverständlich ist, dass man bei seiner täglichen Arbeit volles Commitment zeigt und gemeinsam versucht, seinen Arbeitgeber sowie indirekt die ganze Schweizer Wirtschaft nach vorne zu bringen.
Gute Dienstleister sowie die effiziente Beschaffungsmöglichkeit qualitativ überzeugender Güter sind im Ausland oft Mangelware. Nicht zuletzt vermisse ich das Bewusstsein für den Umweltschutz, die persönliche Gesundheit sowie die Verkehrssicherheit.
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