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Pilze, eine grenzenlose Leidenschaft

Theres und Hannes Krummenacher mit drei Grosskindern
Theres und Hannes Krummenacher mit ihren Neffen am Farmers Market in Nelson. @Luca Beti

Vor 21 Jahren haben Theres und Hannes Krummenacher die Schweiz verlassen und sind nach Neuseeland ausgewandert. Das Paar hatte kein konkretes Projekt im Kopf, aber etwas gemeinsam: die Leidenschaft für Pilze. Heute führen die Krummenachers ein renommiertes Familienunternehmen, das sich auf die Zucht und Vermarktung von Pilzen spezialisiert hat.

«Pilze sind unsere grosse Leidenschaft», sagen Theres und Hannes Krummenacher. Und warum sollte man ihnen das nicht glauben? Seit etwa 15 Jahren investieren sie Zeit und Geld, um auf ihrem Anwesen in Upper MoutereExterner Link in der Region Nelson im Norden der Südinsel von Neuseeland solche anzubauen.

Die Leidenschaft für Pilze haben die beiden aus der Schweiz mitgebracht. «Im Herbst gab es bei uns zu Hause immer Pilze», erinnert sich Hannes mit einem Lächeln. «In der Freizeit gingen wir immer mit dem Korb unter dem Arm auf Pilzsuche. Mein Vater war ein Pilzexperte und Mitglied einer lokalen mykologischen Vereinigung.»

Gegangen, um zu bleiben

Die Krummenachers verliessen die Schweiz vor 21 Jahren, gemeinsam mit ihren Kindern Curdin, Cecile, Chatrina und Anja. Sie hatten kein konkretes Projekt, sondern einzig den Wunsch, die Schweiz zu verlassen und sich in der Region Nelson niederzulassen.

«Es war der Ort, der uns am besten gefallen hatte, als wir Jahre zuvor Neuseeland besucht hatten», sagt Theres. «Und wir haben es nie bereut. Es ist ein wirklich toller Ort.» So toll,dass Hannes nie wieder in die Schweiz zurückkehrte, und Theres nur ein einziges Mal.

Schweizer in Neuseeland

7004 Schweizerinnen und Schweizer lebten laut Bundesamt für Statistik Ende 2018 in Neuseeland, gegenüber 4497 im Jahr 1993. In 25 Jahren ist diese Zahl demnach um 55% angestiegen. Mehr als 5000 haben die Doppelbürgerschaft.

«An einem bestimmten Punkt fragten wir uns, ob das ganze Leben in der Schweiz stattfinden muss, ob nicht die Zeit für eine grosse Veränderung gekommen sei», erinnert sich Hannes. «Nach der Rückkehr von einer langen Auslandreise war die Schweiz ein wenig zu eng für uns», fährt Theres fort. «Wir brauchten aber etwa zehn Jahre, bis wir für diesen grossen Schritt bereit waren.»

Das war 1998. Hannes war damals 39, Theres 35 Jahre alt. Der Älteste, Curdin, war 15, die Jüngste, Anja, sechs. In der Schweiz arbeitete Hannes als Elektriker, Theres war Hebamme. Doch was sollten sie in Neuseeland arbeiten? Das stand damals noch in den Sternen.

Die Krummenachers fanden ein Haus in Richmond, einer Kleinstadt in der Nähe von Nelson. Hannes fand Arbeit als Elektriker. Zwei Jahre später kauften sie ein 52 Hektar grosses Anwesen in Upper Moutere.

«Die früheren Besitzer hatten dort Hirsche gezüchtet», erklärt Hannes. «Einzelne Kiefern wuchsen auf dem Terrain, das ansonsten von Stechginster überwuchert war.» Das Anwesen wurde zu jenem Lebensprojekt, nach dem sie im «Land der langen weissen Wolke» gesucht hatten.

Trüffel, Steinpilze und Edel-Reizker

Heute ist es schwer vorstellbar, wie das Anwesen anfangs aussah. Von ihrem Haus aus, das sie eigenhändig gebaut haben, geniessen die Krummenachers einen herrlichen Blick auf junge Birken, Lärchen, Douglasien, Kiefern, Haselnuss-Sträucher, Eichen, Oliven- und Kastanienbäume.

«Wir haben auf einer Fläche von etwa 20’000 Quadratmetern über 5000 Bäume angepflanzt. Dort wachsen unsere Pilze», sagt Hannes. «Eine Riesenarbeit, die uns das ganze Jahr über beschäftigt. Im Frühjahr und Sommer müssen wir die grössten Bäume zurückschneiden. Sie geben zu viel Schatten. Zudem liefern sie Brennholz zum Trocknen der Pilze und zum Heizen des Hauses.»

Blick auf ein 52 Hektar grosses Anwesen
Blick auf das 52 Hektar grosse Anwesen der Krummenachers in Upper Moutere mit seinen über 5000 Jungbäuumen, zwischen denen sie verschiedene Pilzarten angebaut haben. @Luca Beti
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Mykorrhizierung

Diese Technik wird in der Landwirtschaft und im Gemüseanbau eingesetzt. Sie ist eine Symbiose, genannt Mykorrhiza, zwischen einem Pilz und dem Wurzelsystem einer Pflanze. Der Pilz entnimmt dem Baum die für seine Entwicklung notwendigen Substanzen (Zucker) aus den Wurzeln, während die Pflanze ihn mit Wasser und Mineralien versorgt. Die bekannteste Symbiose ist jene zwischen Trüffel und Eiche.

«Nachdem wir das Anwesen gekauft hatten, fragten wir uns, was wir mit dieser grossen Fläche anstellen sollten. Schafe oder Hirsche zu züchten, war nicht unser Ding. Pilze anzubauen, hingegen schon», erzählt Theres.

«Unsere Idee war es, Trüffel und Steinpilze anzubauen. Also kauften wir einige Pflanzen, die mit diesen Pilzarten geimpft waren», sagt Hannes. «Der Experte, der sie uns verkaufte, riet uns jedoch, auch einige mit dem Edel-Reizker (Lactarius deliciosus) geimpfte Pflanzen zu kaufen.»

Zwei Jahre später hatten sie ihren eigenen Stand auf den lokalen Märkten von Motueka und Nelson, wo sie den Edel-Reizker anboten. Doch der Anfang war schwierig: «Die Leute liefen an unserem Stand vorbei, ohne anzuhalten», erinnert sich Theres. «Die Neuseeländerinnen und Neuseeländer waren sehr skeptisch gegenüber Pilzen. Sie kauften nur Pilze, die in Supermärkten verkauft wurden.»

Dank ihren getrockneten Steinpilzen gelang es den Krummenachers aber, diese Zurückhaltung nach und nach aufzubrechen. Schliesslich aber waren es die Massenmedien – nationale und internationale Zeitungen, Radio und Fernsehen –, die ihr unternehmerisches Abenteuer ein für alle Mal in Gang brachten.

«Ein renommierter lokaler Koch deutscher Herkunft wurde unser Kunde und bot Menüs auf Basis des Edel-Reizkers an», so Hannes. Die Journalisten begannen sich für das Schweizer Paar zu interessieren, das als erstes in Neuseeland den Lactarius deliciosus vermarktete.

«So gesagt, tönt es einfach. Aber es brauchte Jahre harter Arbeit und viele Familiengespräche», erinnert sich Theres. «Wie oft fragten wir uns, ob es sich wirklich gelohnt hat, so viel Energie und Geld in ein Unternehmen mit unsicherer Zukunft zu investieren.»

Heute können sie erleichtert aufatmen. Ja, es hat sich gelohnt. Nun können sie von ihrem Pilzverkauf leben. Vor sieben Jahren hat Hannes seinen Job und das garantierte monatliche Einkommen aufgegeben, um sich vollständig dem Familiengeschäft zu widmen.

14 Jahre Wartezeit

Natürlich ist der Herbst ihre Saison. Zwischen Mitte März und Anfang Juni (Herbst auf der Südhalbkugel) gehen die beiden Auslandschweizer alle zwei Tage, von Zeit zu Zeit von ihren Kindern unterstützt, auf ihrem Anwesen auf Pilzsuche. Es sind gezielte Sammelrunden.

«Wir wissen genau, welche Zone wir durchforsten müssen, damit wir nicht unnötig Zeit verschwenden», sagt Hannes. «Der Trick ist, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, um sie dann zu ernten, wenn sie komplett ausgewachsen sind. Jene, die zum ersten Mal aufgetaucht sind, lassen wir zurück, um die Verbreitung der Myzel zu fördern.»

An guten Tagen sammeln die Krummenachers bis zu 50 Kilogramm: Butterpilz (Suillus luteus), Körnchen-Röhrling (Suillus granulatus), Gemeiner Birkenpilz (Leccinum scabrum), Gold-Röhrling (Suillus grevillei) und natürlich jene Art, die ihnen am Anfang zum Glück verholfen hat, den Edel-Reizker (Lactarius deliciosus).

Vier Menschen und eine Pilzsuppe
Die Pilzsuppe der Krummenachers, die ihnen 2016 den ersten Preis bei den «Farmers Markets New Zealand Awards» einbrachte. @Mike Lowe

Pro Saison ernten sie im Schnitt 1300 kg Pilze. «Das reicht nicht aus, um die Nachfrage unserer Kundschaft aus ganz Neuseeland zu befriedigen», sagt Theres. Über ihre Website Neudorf MushroomsExterner Link verkaufen sie verschiedene luftdichte Boxen mit Mischungen aus getrockneten Pilzen, Risotto, Pilz-Teigwaren und Pilzsuppe. Letztere brachte ihnen 2016 einen nationalen Preis ein.

Und was wurde aus den Trüffeln, fragen wir schliesslich das Auslandschweizer-Paar. «Wir mussten 14 Jahre lang warten, um die ersten weissen und Perigord-Trüffel zu ernten», sagt Theres. «Gerade, als wir keine Hoffnung mehr hatten, fanden wir sie unter den Eichen und Haselnuss-Sträuchern. Sie in den Händen zu halten und ihren Duft zu riechen, war für uns ein unbeschreibliches Gefühl. Sie zahlten uns für all unsere Bemühungen zurück, unsere Leidenschaft zu kultivieren: Pilze.»

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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