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Wegen drei Kilo Kokain: Schweizerin droht lange Haft in Kolumbien

ältere Frau im Interview
Elisabeth Baumgartner im März beim Gespräch mit den Journalist:innen von RTS in ihrer Einzimmerwohnung in Bogotà, wo sie unter Hausarrest lebt. RTS

Es ist eine Geschichte wie aus einem Film: Eine 60-jährige Schweizerin steht in Bogotá unter Hausarrest. Sie wurde im Herbst 2021 am Flughafen der Hauptstadt Kolumbiens mit mehr als drei Kilogramm Kokain im Gepäck verhaftet. Sie behauptet, Opfer eines Betrugs zu sein, wurde jedoch von der kolumbianischen Justiz verurteilt. Das Westschweizer Fernsehen RTS traf sie vor Ort.

Elisabeth und Peter Baumgartner sind ein Rentnerehepaar, das sich durch nichts von anderen unterscheidet. Sie leben nicht im Überfluss, sondern geniessen einen angemessenen Ruhestand. Sie leben in Gams, einem kleinen, von Bergen umgebenen Dorf im Kanton St. Gallen.

Peter, ein ehemaliger Schornsteinfeger, hat eine Achillesferse: Er ist naiv und neigt dazu, im Internet nach Schnäppchen zu jagen, wie er der Neuen Zürcher Zeitung erzählt.

Als er im September 2021 eine E-Mail erhält, die ihm eine mysteriöse Erbschaft von mehreren Millionen Franken und eine Reise nach Kolumbien verspricht, tappt er in die Falle.

«Sie haben eine kostenlose Reise nach Bogotá gewonnen», versprach die Mail. «Alle Kosten waren bezahlt. Und zu der Zeit war unser 30. Hochzeitstag. Und ich dachte mir: Super, dann können wir ja nach Bogotá fahren», erklärt Peter Baumgartner freimütig.

älterer Mann in rot-schwarz kariertem Hemd
Peter Baumgartner zuhause in Gams RTS


Seine Frau Elisabeth war anfangs nicht überzeugt, aber ihr Mann bestand darauf und sie gab schliesslich nach. «Er hat so sehr darauf bestanden, dass ich ihm am Ende geantwortet habe: ‹Okay, ich komme mit dir›. Wenn man 30 Jahre verheiratet ist, gibt man nicht gleich auf», sagte sie im Interview, das RTS Mitte März in Bogotá mit ihr führte.

Die Reise nach Bogotá

Die Zweifel schwinden, als die Flugtickets eintreffen. Am 17. September 2021 fliegt das Paar nach Bogotá. Von ihrer Kontaktperson erhalten sie ausserdem ein Taschengeld in Höhe von 1000 US-Dollar. «Die Woche dort war super», erzählt Peter. «Alles war wunderbar. Bis der Agent kam.»

Nach ein paar Tagen treffen sie ihren Kontaktmann, der sie in ein Restaurant einlädt. Dort erklärt er ihnen, dass es ein kleines Problem mit der Erbschaft gebe. Das Geld ist noch da, aber sie müssten nach Europa zurückkehren, um es abzuholen. Auch das Rückflugticket wird selbstverständlich geschenkt.

Der Mann hat nur eine Bedingung: Das Paar muss ein Geschenk mit ins Gepäck nehmen. «Für einen Freund», erklärt er. Elisabeth fragte ihn: «Aber ist das alles legal? Der Mann antwortete: «Das ist zu 100% legal», erzählt Peter Baumgartner. «Ich habe mir das angeschaut, es war eine Art Plastikröhre, 30 cm hoch, mit sechs kleinen Rollen darin. Und zwei kleine Bilderbücher.»

Trotz Elisabeths Zweifeln packt das Paar das Paket in ihren Koffer und fährt zum Flughafen.

Die Verhaftung

Die Kontrollen verlaufen reibungslos und das Paar setzt sich in das Flugzeug, die Motoren laufen und alles ist bereit zum Abflug.

Elisabeth erinnert sich an den Moment, in dem sich alles änderte: «Ich sass bequem, hatte meine Schuhe ausgezogen, die Kopfhörer waren schon aufgesetzt, der Fernseher war schon eingestellt. Dann kam die Stewardess auf mich zu, nannte meinen Namen und fragte mich, ob ich das wirklich sei? Und als ich das bestätigte, sagte sie: «Kommen Sie mit mir.»

Ausserhalb des Flugzeugs legten zwei Beamte sie in Handschellen und führten sie in die Räumlichkeiten der Flughafenpolizei.

«Sie öffneten den Koffer und holten die Papierrollen und die beiden Bücher heraus. Sie haben die Rollen ein bisschen geöffnet und ich sehe, wie weisses Pulver zum Vorschein kommt. Und ich denke, ‹mein Gott, das ist Heroin!'»

Die Polizei entdeckt tatsächlich mehr als drei Kilogramm reines Kokain. «Das kam mir alles so komisch vor. Ich hatte nie daran gedacht, dass da Kokain drin sein könnte. Ich wusste nicht einmal, wie es aussah», erinnert sich die Rentnerin, die sofort festgenommen wird.

Für ihren Mann hingegen interessieren sich die Zollbeamten nicht, da das gemeinsame Gepäck des Paares auf seinen Namen aufgegeben wurde. Sie ist fassungslos: «Bis heute ist das für mich immer noch unverständlich. Ich kann es mir immer noch nicht erklären.»

Im Gefängnis

Elisabeth wird im Frauengefängnis von Bogotá, der Strafanstalt «El Buen Pastor», inhaftiert. Dort leben 1800 Insassinnen, die meisten von ihnen Kolumbianerinnen, auf engstem Raum zusammen.

«Es ist so gross… Es gab so viel Druck, es war unbeschreiblich. Sie haben mich einfach dort eingesperrt. Es gibt kein warmes Wasser, nur kaltes Wasser. Es gibt keine fest installierte Dusche, nur einen Schlauch, der aus der Wand kommt. Es gibt keine Steckdosen, sie sind alle herausgerissen».

Innenhof eines Gefängnisses
Im Frauengefängnis «El Buen Pastor» sass Elisabeth Baumgartner während drei Wochen. Weil sie kein Spanisch spricht, war sie unter den 1800 Insassinnen völlig isoliert. RTS

Eine Erfahrung, die umso traumatischer ist, als sie kein Wort Spanisch spricht: «Ich war drei Wochen dort. Und ich habe so um die sieben Kilo abgenommen. Die Isolation war komplett.»

Mit Hilfe der Schweizer Botschaft erhält sie das Recht, in einem Stadtteil der kolumbianischen Hauptstadt unter Hausarrest zu leben. Heute lebt sie in einer Einzimmerwohnung, die sie mit ihrer AHV-Rente bezahlt. Es sind ihre Nachbarn, die ihr das Geld zum Lebensunterhalt geben.

Von ihrem Mann will Elisabeth Baumgartner nichts mehr wissen: «Für mich ist er tot, denn er ist ein Teil meines Lebens, der mir geraubt wurde. Ich habe keine Wut mehr, alles ist einfach tot. Er ist derjenige, der mich in diese Situation gebracht hat und er steht dazu. Er sagt auch, dass es seine Schuld ist. Aber er ist nicht in Kolumbien. Er ist ein freier Mann!»

Der Prozess

Am 16. März um 8 Uhr früh beginnt Elisabeths Gerichtsverhandlung. Sie wird in den Justizpalast in Bogotá vorgeladen. Sie kommt in Begleitung des Schweizer Vizekonsuls in Kolumbien und ihres Anwalts. Eineinhalb Jahre nach ihrer Verhaftung ist sie zum ersten Mal wieder in der Stadt. «Es ist einfach seltsam, es schafft ein sehr starkes Gefühl der Unsicherheit», sagt sie.

Angesichts des Prozesses, bei dem für sie viel auf dem Spiel steht, hat Elisabeth keine andere Wahl. Ihr Anwalt hat sie gewarnt: Wenn sie sich nicht schuldig bekennt, muss sie mindestens 12 Jahre ins Gefängnis. Er rät ihr, einen Deal mit der kolumbianischen Justiz abzuschliessen und dafür eine geringere Strafe zu erhalten. Widerwillig stimmt sie zu, bekennt sich schuldig und erhält schliesslich eine Haftstrafe von fünf Jahren und vier Monaten sowie eine Geldstrafe von 140’000 US-Dollar.

Die andere Frage ist, ob sie diese Strafe weiterhin unter Hausarrest verbüssen können wird oder ob sie ins Gefängnis zurückkehren muss. Letzteres wäre für sie der reinste Horror. «Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich habe sehr grosse Angst. Ich werde das nicht noch einmal überleben.»

Währenddessen in Gams

Peter lebt nun ohne Elisabeth, aber er ist frei. Als er in die Schweiz zurückkehrt, muss er einige Kritik einstecken: «Am Anfang haben die Leute zu mir gesagt: ‹Du bist ein Spinner'», sagt er lachend. «Ich habe geantwortet, dass ich das schon weiss.»

Auf die Frage, ob er sich schuldig fühle, antwortete er: «Ja. Ich kann nicht Nein sagen. Ich bin derjenige, der uns in den Schlamassel gebracht hat, ich habe alles organisiert.»

Elisabeth muss sich in Geduld üben – allein in einer riesigen Stadt und über 9000 Kilometer weg von der Schweiz. Wenn sie ihre Strafe absitzen muss, wird sie weitere vier Jahre warten müssen, bevor sie Bogotà und Kolumbien verlassen kann.

Geschichten wie jene von Elisabeth Baumgartner überraschen die Menschen in Kolumbien nicht. Das Land ist der grösste Kokainproduzent der Welt. Rund 1400 Tonnen wurden im Jahr 2021 exportiert. Der Grossteil davon macht die Reise auf Frachtschiffen und ein kleiner Teil durch Drogenkuriere.

Es gibt freiwillige Drogenkuriere, die wissen, dass sie gegen Bezahlung Drogen transportieren. Und es gibt jene, welche die Drogen «ohne ihr Wissen» transportieren, wie Diego Quintero Martinez, Referent in der UNO-Drogenabteilung in Bogotá, erklärt.

Rentabel trotz Verhaftungen

«Jeden Tag können Sie diese Geschichten sehen, eine dramatischer als die andere. In den meisten Fällen wusste die Person, was sie transportierte. In anderen Fällen nicht. Sie nutzen die Verletzlichkeit mancher Menschen aus, sie nutzen ihre körperlichen Merkmale aus, sei es das Alter, sei es eine Behinderung.»

Für Menschenhändler ist es eine gute Investition, Drogenkurier:innen eine Reise zu bezahlen. «Ein Kilo aus dem Labor kostet 1500 Dollar», sagt Diego Quintero Martinez. «Dasselbe Kilo ist 100’000 Dollar wert, wenn es in Europa ankommt, und dann wird das Produkt noch einmal gestreckt, oft mehrmals. Rechnen Sie das mal durch. Das ist ein sehr gutes Geschäft. Sie könnten die Kurier:innen sogar in der Business Class fliegen lassen.»

Derzeit sitzt ein 60-jähriger Österreicher, der auf denselben Betrug wie Elisabeth Baumgartner hereingefallen war, in einem kolumbianischen Gefängnis. Laut der Botschaft ist Elisabeth Baumgartner die einzige Schweizerin, die wegen dieser Art von Betrug festgenommen wurde.

Über die Schmuggler ist wenig bekannt. Journalist:innen der Sendung «Mise au point» von RTS konnte per E-Mail Kontakt zu den Personen aufnehmen, welche die Reise von Peter und Elisabeth organisiert hatten. Der Mann, der uns geantwortet hat, sagt, er heisse Arnold und sei der Sohn desjenigen, der die Reise angeblich organisiert hat. Dieser, ein gewisser Emmanuel, sei inzwischen verstorben. Der Mann behauptete, dass seine Familie aus Bangui in der Zentralafrikanischen Republik stamme, dass sein Vater Anwalt gewesen sei und dass er mit dieser Geschichte nichts zu tun habe. In diesem Fall führen andere Spuren nach Benin oder Togo.

Nach der Verhaftung von Elisabeth hatte Peter Baumgartner beschlossen, «Emmanuel» zu kontaktieren und ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Der Mann hatte sich entschuldigt. Voller Fürsorge hatte er Peter angeboten, seine Frau freizubekommen, wenn er ihr 10’000 Euro schicken würde. Peter versicherte, dass er dieses Mal nicht auf einen Betrug hereingefallen sei.

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