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Welle der Solidarität für die Erdbebenopfer in Syrien und der Türkei

Suche nach Verschütteten in den Trümmern
Rettungskräfte und Betroffene suchen am 8. Februar 2023 an der Stelle eines eingestürzten Gebäudes im Bezirk Elbistan in der Türkei nach Überlebenden. Keystone / Sedat Suna

Nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien intensiviert die Schweiz ihre Hilfe. Die Glückskette und die SRG-Einheiten rufen zu Spenden auf.

Am Montag hat in der Türkei und in Syrien die Erde gebebt. Zwei Erdbeben der Stärke 7,8 und 7,5 auf der neunstufigen Richterskala haben Hunderte von Gebäuden zerstört und Tausende Menschen verletzt oder getötet. Viele liegen noch unter Trümmern. Nach vorläufigen Angaben konnten bereits mehr als 11’000 Menschen nur noch tot geborgen werden.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation könnten rund 23 Millionen Menschen mehr oder weniger direkt von den Beben betroffen sein. Allein in der Türkei verliert rund eine Viertelmillion Menschen vorübergehend ihr Dach über Kopf.

Neben der Suche nach Überlebenden und der medizinischen Hilfe für Verletzte ist ihre Unterbringung eines der dringendsten Bedürfnisse. «Der Winter ist hart», sagt Emmanuel Massart, Einsatzkoordinator von Médecins Sans Frontières im Nahen Osten.

Schweizer Rettungskräfte vor Ort

Am Dienstagmorgen sind 80 Spezialist:innen der Rettungskette Schweiz in Hatay, im Süden der Türkei, eingetroffen. Sie unterstützen vor Ort die Rettungs- und Suchaktivitäten.

Die Schweiz hat auch schweres Gerät in die Region gebracht wie Baumaschinen, Betonsägen und Presslufthämmer. Derzeit gebe es noch gute Chancen, verschüttete Personen zu retten, sagt Alessio Marazza, Oberst im Generalstab der Schweizer Armee. «Wenn es kalt ist, dehydrieren die Menschen weniger schnell und überleben länger unter den Trümmern als im Sommer.»

Zusätzlich zu den 80 Rettungskräften sind 29 Angehörige der Schweizer Armee in der Türkei im Einsatz. Auch der Schweizer Verein für Such- und Rettungshunde Redog ist mit mehreren Einsatzteams im türkischen Katastrophengebiet präsent. Zehn Personen und sechs Hunde durchsuchen die Trümmer.

Luftaufnahme der Zerstörung in der Stadt Hatay
Eine Luftaufnahme vom 7. Februar zeigt das Ausmass der Schäden im Zentrum der Stadt Hatay in der Südtürkei. Iha

Hilfe aus der Diaspora

Die Tragödie hat in der gesamten syrischen und türkischen Diaspora in der Schweiz eine Schockwelle ausgelöst. Die Gemeinden haben ihre Mitglieder mobilisiert und versuchen, den Betroffenen zu helfen. Es werden mehr und mehr Spenden- und Solidaritätsaktionen durchgeführt.

Die Glückskette, der humanitäre Arm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, hat einen Spendenaufruf gestartet, um den Opfern der Erdbeben in Syrien und der Türkei zu helfen. Die Spenden werden auf diesem Konto gesammeltExterner Link.

Die Glückskette steht in Kontakt mit ihren Partnerorganisationen, die in der Nähe der Katastrophengebiete in Syrien tätig sind. Was die Türkei betrifft, so ist derzeit vor allem die internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung im Einsatz.

«Derzeit konzentrieren sich alle Anstrengungen auf die Suche nach Verschütteten und Vermissten sowie auf die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Wasser und Unterkünften für die völlig mittellosen Überlebenden. Wir appellieren an die Solidarität in der Schweiz, uns bei der Bewältigung dieser Katastrophe zu helfen», sagte Miren Bengoa, Direktorin der Glückskette.

In Biel beispielsweise rief die Präsidentin des Roten Halbmonds von Kurdistan Schweiz (HSK-CH), Özlem Arik, zur Hilfe auf und sammelte sofort Gelder für die kurdischen Opfer.

Sie ist besonders besorgt, dass die kurdische Bevölkerung bei der von Ankara gewährten Hilfe diskriminiert werden könnte. «Es gibt bereits Erfahrungen, die zeigen, dass der türkische Staat und staatliche NGOs sich auf die nicht-kurdische Seite fokussieren. Aber die Kurdinnen und Kurden brauchen Hilfe, und sie sind ein bisschen allein», sagte sie am Dienstag gegenüber RTS.

Andernorts sammeln die Gemeinden Hilfsgüter wie Lebensmittel und Hygieneartikel. Für Syrien ist die Situation komplizierter. Es ist fast unmöglich, Geld oder Material direkt aus der Schweiz ins krisengeschüttelte Land zu schicken.

Ein explosiver Cocktail

Die Erdbeben haben eine der geologisch heikelsten Regionen der Welt getroffen, und sie betreffen gleichzeitig eine der politisch turbulentesten Weltgegenden. Die Bereitstellung von Hilfe ist erschwert.

Die Tragödie betrifft auch zwei Länder, die sich in einer sehr unterschiedlichen Situation befinden. Denn im Gegensatz zur Türkei herrscht in Syrien Krieg.

QR Code zum Spenden
Diesen QR-Code der Glückskette können Sie scannen, um für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien zu spenden. swissinfo.ch

Didier Billion, stellvertretender Direktor der Denkfabrik IRIS und Spezialist für den Nahen Osten und die Türkei, erklärte gegenüber dem Westschweizer Sender RTS, dass «die Organisation des Zustroms von Hilfsgütern und ihre Rationierung in den nächsten Tagen und Wochen die grosse Frage sein wird».

Er verweist dabei auf die Bedeutung von Bab al-Hawa, dem einzigen Grenzübergang zwischen der Türkei und Syrien, der durch eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats garantiert wird.

Allerdings wurde die Strasse, die zu dem Übergang führt, beschädigt. Das beeinträchtigt die Hilfslieferungen vorübergehend, wie ein Sprecher der Vereinten Nationen am Dienstag mitteilte.

Nach Ansicht von Billion sollten mehr Grenzübergänge eingerichtet werden und sogar ein Weg durch den Süden, also durch Damaskus, in Betracht gezogen werden. «Dann stellt sich jedoch das Problem der Haltung der syrischen Regierung», zu befürchten sei eine «akute Paranoia» der Regierung von Baschar al-Assad.

Auf türkischer Seite herrscht in einem sehr polarisierten und explosiven politischen Kontext «im Moment die nationale Einheit vor», so Billion. «Aber das politische Leben hat seine Gesetze und die Situation ist sehr polarisiert, vor dem Hintergrund des Vorwahlkampfs besteht die Gefahr, dass es zu einer Form der Instrumentalisierung kommt.»

Laut dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) kommt das Erdbeben in Syrien zu einer bereits sehr prekären Situation im Land hinzu und erfordert auch mittelfristig eine Reaktion.

Das humanitäre Büro in Damaskus sowie die Schweizer Vertretungen in der Region sind dabei, die Bedürfnisse zu ermitteln und zu klären, wie am besten reagiert werden könne.

Eingestürztes Gebäude in Malatya, Türkei
Schnee bedeckt ein eingestürztes Gebäude in Malatya, Türkei, am 7. Februar 2023. Ap

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Marc Leutenegger

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