Weltausstellung als Zeichen gegen den Hunger
Unter dem Motto "Den Planeten ernähren" nimmt sich die Weltausstellung 2015 in Mailand einem Thema von globaler Bedeutung an. Immer noch leiden 800 Millionen Menschen auf der Welt an Unterernährung. Für die UNO bietet die Weltausstellung eine gute Gelegenheit, dem internationalen Kampf gegen Hunger neue Impulse zu verleihen.
Die UNO hatte sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Zwischen 1990 und 2015 sollte die Zahl der hungerleidenden Personen auf der Welt um die Hälfte reduziert werden. Dies legten die UNO-Mitgliedstaaten in den so genannten Millenniums-Zielen fest. Doch schon jetzt ist klar: Dieses Ziel lässt sich bis nächstes Jahr nicht erreichen.
Gemäss der UNO-Welternährungs-Organisation FAO hat nach wie vor jede achte Person nicht genügend zu essen. Manche Beobachter gehen davon aus, dass trotz jahrzehntelanger internationaler Hilfe der Kampf gegen den Hunger im Prinzip verloren ist.
«Der Kampf ist nicht verloren und wird niemals verloren sein, denn wir können nicht das Schicksal von Millionen von Menschen vergessen», entgegnet Elisabeth Byrs, Sprecherin des UNO-Welternährungs-Programms (WFP) in der Schweiz. «Zudem muss man bedenken, dass gerade in den letzten Jahren grosse Fortschritte erzielt wurden: Die Zahl unterernährter Menschen ist von einer Milliarde im Jahr 1990 auf 842 Millionen im Jahr 2012 gesunken, während die Weltbevölkerung im gleichen Zeitraum von 5 auf 7 Milliarden Menschen gewachsen ist.»
«Bis ins Jahr 2015 werden wir es wohl schaffen, die Zahl der Hungernden zu halbieren – zumindest in den 80 Ländern, die von der Ernährungskrise am stärksten betroffen sind. Wir können diesen Kampf gewinnen, doch es bedarf enormer internationaler Anstrengungen», meint Elisabeth Byrs.
Die beiden Organisationen WFP und FAO haben ihren Sitz in Italien. Und sie hoffen sehr auf die Kraft der Expo Mailand 2015, um für ihre Anliegen zu mobilisieren. Die UNO selbst war die erste Organisation, die ihre Teilnahme an der Weltausstellung von Mailand zugesagt hatte.
Die Weltausstellung in Mailand (Expo Milano) findet vom 1. Mai bis 31. Oktober 2015 statt.
Das Thema der Expo 2015 lautet: «Den Planeten ernähren. Energie für das Leben.» Ernährungsfragen für die Menschheit und der Respekt für die Umwelt stehen im Vordergrund dieser Weltausstellung.
Die Teilnehmerländer sind eingeladen, ihre spezifischen Kompetenzen in den Bereichen Landwirtschaft, Nahrungsmittel-Industrie, Handel und wissenschaftliche Forschung zu präsentieren, um eine gesunde, ausreichende und nachhaltige Ernährung für die Menschheit zu garantieren.
Die Organisatoren erwarten während der sechs Monate rund 20 Millionen Besucherinnen und Besucher: 75%, aus Italien, 25% aus dem Ausland, davon 40% aus der Schweiz.
Kriege und Naturkatastrophen
Auch wenn viele Fortschritte erzielt wurden, bleiben doch gewaltige Hindernisse zu überwinden. Vor allem kriegerische Auseinandersetzungen. Weltweit gibt es rund ein Dutzend «hunger hotspots», das heisst Krisenherde, in denen langjährige Konflikte die landwirtschaftliche Produktion und damit die gesamte Nahrungsmittel-Versorgung aus dem Lot gebracht haben, so etwa Afghanistan, Somalia, Südsudan und die Zentralafrikanische Republik.
«Im Südsudan gibt es zum Beispiel 10 Millionen Tiere, die von Weiden und Wasserquellen abgeschnitten sind. Die unsichere Lage und Gewalt führen dazu, dass die Landbevölkerung flieht und ihr Ackerland aufgibt. Viele Bauern kommen nicht einmal dazu, das Saatgut einzupflanzen. Sie sind gezwungen, die Saat selbst zu essen“, gibt Elisabeth Byrs zu bedenken.
Das Welternährungs-Programm der Vereinten Nationen verteilt in den Krisenregionen rund 4 Millionen Tonnen Lebensmittel an 90 Millionen Personen. Mindestens genauso dramatisch ist seit einigen Jahren der Anstieg der Naturkatastrophen, der gemäss Experten eine Folge des Klimawandels ist.
«Einige Regionen der Welt leider immer mehr unter Dürre, andere unter Überschwemmungen. Immer häufiger müssen wir elastisch reagieren, um der lokalen Bevölkerung zu helfen, wenn ein aussergewöhnliches Klimaereignis verarbeitet werden muss. Wir müssen ein Netzwerk aufbauen, damit diese Bevölkerungen nicht Hunger leiden muss, wenn einmal eine Ernte ausfällt. Das kann durch die verbesserte Haltbarkeit von Lebensmitteln, aber auch durch neue Bewässerungsmethoden oder Produktionssteigerung passieren», fügt die WFP-Sprecherin hinzu.
Mehr
Weltausstellungen gestern und heute
Zugang zu Ressourcen und Märkten
Kriegerische Konflikte und Naturkatastrophen erklären allerdings nur in 10 Prozent der Fälle die Ursachen für die Ernährungskrise. Der Hunger hängt in vielen Ländern mit einer Verteilung der Ressourcen zusammen.
Dabei trifft Hunger paradoxerweise vor allem die ländliche Bevölkerung: 70 Prozent der unterernährten Personen sind Kleinbauern und 10 Prozent Viehzüchter.
«Aufgrund unserer Erfahrungen haben wir festgestellt, dass der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Ressourcen eines der grössten Probleme der Bauern weltweit ist. Es fehlt an Land und Wasser sowie an Arbeitsgeräten», betont Frank Eyhorn, Experte für Ernährungssicherheit und Landwirtschaft bei der entwicklungspolitischen Organisation Helvetas.
«In vielen Ländern ist die Verteilung der Böden sehr ungerecht. Es gibt sogar Millionen von landlosen Bauern. Der Zugang von Kleinbauern zu den Ressourcen stösst sich häufig mit den Interessen der Grossgrundbesetzer und dem Massenanbau.» Diese Problematik habe sich sogar noch verschärft, da ausländische Investoren in armen Ländern zusehends Land kauften.
«Ein weiteres grosses Problem ist der Zugang zu den Märkten. Die Ernährungssicherheit von vielen Kleinbauern hängt davon ab, ob sie einen Teil ihrer Ernten verkaufen und gleichzeitig Vorräte für schwierige Zeiten anlegen können. Doch sie leiden unter den niedrigen Marktpreisen und der Konkurrenz von stark subventionierten Agrarprodukten aus Industrieländern. In Afrika kann beispielsweise der einheimische, von Kleinbauern geerntete Reis nicht mit den Importreis konkurrieren, da dieser von staatlichen Landwirtschaftssubventionen profitiert», so Eyhorn.
Die Organisation Helvetas, die weltweit in 33 Ländern tätig ist, setzt sich unter anderem dafür ein, dass Kleinbauern ihre Produkte lokal oder über Fair-Trade-Kanäle international vermarkten können.
Gemäss Erhebungen der Vereinten Nationalen leiden weltweit 842 Millionen unter Hunger (Stand 2012). Seit 1990 konnte der Anteil an unterernährten Personen um 17% verringert werden.
Die Ernährungskrise betrifft 552 Millionen Menschen in Asien, 227 Millionen in Afrika, 47 Millionen in Lateinamerika und 16 Millionen in den Industriestaaten.
Hunger stellt für die Gesundheit weltweit das grösste Risiko dar. Unterernährung ist direkt oder indirekt für 7 bis 8 Millionen Tote pro Jahr verantwortlich. Dazu kommt, dass Unterernährung, aber auch Mangel an vitamin- und mineralreicher Ernährung zu Mangelerscheinungen führt. Als Folge sterben weitere Millionen von Menschen.
Nahrungsmittelabfälle
Gemäss Eyhorn reichen auch die im vergangenen Dezember abgeschlossenen neuen Verträge der Welthandels-Organisation nicht aus, um den ärmsten Ländern eine Nahrungsmittel-Souveränität zu garantieren. Sie werden weiterhin die Folgen der Landwirtschaftspolitik der Industriestaaten spüren.
Ein weiteres gravierendes Problem, von dem die internationale Gemeinschaft betroffen ist, sind die Nahrungsmittelabfälle. «Gemäss einer FAO-Studie wird jedes Jahr rund ein Drittel der weltweiten Lebensmittel-Produktion weggeworfen oder sie verkommt. Das entspricht 1,3 Milliarden Tonnen pro Jahr», sagt Elisabeth Byrs.
«Mehr als die Hälfte geht in Entwicklungsländern verloren, vor allem während der Erntezeit und der Lagerungsphase. Der Rest geht auf die Industriestaaten zurück, wo vor allem währen der Verkaufs- und Konsumphase viele Lebensmittel weggeworfen werden. Es bleibt gerade in diesem Bereich viel Arbeit zu tun. Denn hier liesse sich viel machen, um das Problem des Welthungers zu lösen.»
Für die Sprecherin des UNO-Welternährungs-Programms stellt die Expo 2015 in Mailand gerade in dieser Hinsicht eine grosse Chance dar, um die Öffentlichkeit für die unterschiedlichen Aspekte der Welternährungsfrage zu sensibilisieren.
Elisabeth Byrs: «Die Wirtschaftskrise der letzten Jahre hat zu einer Reduktion der finanziellen Ressourcen geführt, die für den Kampf gegen Welthunger eingesetzt werden. Es braucht jetzt einen neuen Anlauf, um eine möglichst umfangreiche Beteiligung der Staaten an den Ernährungsprogrammen zu erreichen und so zu einer besseren Verteilung der Lebensmittel auf der Welt beizutragen.»
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch