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Weltausstellung kann endlich die Neugierde stillen

Ein Maskottchen des Schweizer Pavillions zwischen Nicolas Bideau, Direktor von Präsenz Schweiz (links), und dem Schweizer Konsul in Mailand, Massimo Baggi. Keystone

Nach etlichen Skandalen, Verzögerungen und Diskussionen öffnet die Weltausstellung von Mailand ihre Tore. Die Expo Milano 2015 will als grösstes internationales Treffen zu Ernährungsfragen in die Geschichte eingehen. Der Schweizer Pavillon appelliert an das Verantwortungsbewusstsein der Konsumenten.

Die Weltausstellung in MailandExterner Link beginnt. Allerdings mit Einschränkungen. Die offizielle Eröffnung findet zwar wie geplant am 1.Mai statt, aber einige Bauten werden erst in den Wochen danach fertig gestellt. Gewisse Infrastrukturen wurden aus zeitlichen Gründen sogar ganz ad acta gelegt.

Expo Milano 2015

In Mailand findet vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2015 die Weltausstellung statt. Über 20 Millionen Besucherinnen und Besucher werden erwartet: 75 Prozent aus Italien und 25 Prozent aus dem Ausland, davon 40 % aus der Schweiz. Rund 10 Millionen Tickets wurden bereits abgesetzt.

Das Motto der Expo Milano 2015 «Den Planeten ernähren, Energie für das Leben» dient dazu, Themen rund um die Ernährung der Menschheit anzuschneiden. Rund 800 Millionen Menschen weltweit leiden unter Hunger oder unter den Folgen von schlechter oder zu üppiger Ernährung.

Die Teilnehmerländer sind eingeladen, ihre Kompetenzen in der Landwirtschaft, Nahrungsmittelproduktion und wissenschaftlichen Forschung darzulegen. Nachhaltige Konzepte sollen vorgestellt werden, um der Menschheit eine gesunde und quantitativ ausreichende Nahrung zu garantieren.

145 Länder, 3 internationale Organisationen und 13 Organisationen der Zivilgesellschaft wollen Antworten auf die grossen Fragen geben, welche die Veranstalter gestellt haben: Wie kann eine gesunde und ausreichende Ernährung für die Menschheit garantiert werden? Eine Menschheit, die schneller wächst als die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Wie kann dieses Ziel erreicht werden, ohne den Planeten zu zerstören, der die Lebensgrundlage für die Ernährung darstellt?

Ein gutes Beispiel, wie eine Entwicklung nicht sein sollte, bietet just die postindustrielle Agglomeration von Mailand, welche das Expo-Ausstellungsgelände umgibt. Längst sind hier Wiesen und Reisfelder verschwunden. Zuerst wurden sie durch Raffinerien und Fabriken ersetzt. Inzwischen stehen viele Lagerhallten, Büros und Hotels leer. Es sind unbenutzte Industrielandschaften entstanden. Einige Grundstücke sind kontaminiert.

Eine Oase in chaotischer Umgebung

Inmitten dieser unwirtlichen Gegend ist das Ausstellungsgelände für die Expo 2015 entstanden, in einem Dreieck zwischen zwei Autobahnen und einer Gefängnisanlage. Die Expo erscheint an diesem Ort wie eine grüne und kreative Oase, an der die Teilnehmenden Ideen austauschen können, um eine bessere Zukunft zu gestalten. Ziel ist es, ein Gleichgewicht zwischen Lebensmittelproduktion, effektivem Bedarf an Nahrungsmitteln und dem Einsatz von Ressourcen zu erreichen.

Auch das linear angelegte Expo-Gelände kontrastiert mit der chaotisch besiedelten Umgebung. Die Organisatoren haben sich vom Castrum inspirieren lassen, einer römischen Siedlungsform in Kreuzform. Entlang des Decumanus, einer 1,5 Kilometer langen überdachten Hauptstrasse, reihen sich die Pavillons von rund 60 Ländern auf, die ihre jeweiligen Ausstellungsflächen selbst entworfen haben.

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Diese Hauptachse wird vom Kardo gekreuzt, einer 350 Meter langen Traversalen, an der sich die unterschiedlichen Regionen Italiens eingenistet haben. Darüber hinaus gibt es noch neun Gemeinschaftspavillons, die den Expo-Themen und einzelnen Lebensmitteln gewidmet sind, beispielsweise Reis, Kakao, Schokolade, Kaffee, Gewürze, Obst und Gemüse.

«Slow education»

In allen diesen Ausstellungsflächen werden sich die Teilnehmerländer einen kulinarischen Wettbewerb liefern, um Besucher anzulocken. 20 Millionen Besucherinnen und Besucher werden in den sechs Expo-Monaten erwartet. Vor allem dienen die Pavillons aber natürlich dazu, eigene Ideen zum Expo-Motto «Die Welt ernähren, Energie für das Leben» vorzustellen. Dabei gibt es zusätzlich fünf Themencluster: Die Beziehungen Mensch/ Nahrung in der Geschichte, Gaumenfreuden als Erkenntnisquelle, das Paradox zwischen Nahrungsmittelknappheit und Überfluss, die Zukunft der Ernährung sowie das Verantwortungsbewusstsein von  Produzenten und Konsumenten.

Genau in den letztgenannten thematischen Strang reiht sich der Schweizer PavillonExterner Link «Confooderatio Helvetica» ein. Vier Türme – gefüllt mit Salz, Kaffee, Apfelringen und Wasser – sollen die Besucher für ein verantwortungsvolles Konsumverhalten sensibilisieren.  Die Besucherinnen und Besucher können beliebig viele Produkte mitnehmen oder konsumieren. Doch sie werden darauf hingewiesen, dass es keinen Nachschub geben wird. Mit ihrem Konsumverhalten und ihrem eigenen Verantwortungsbewusstsein bestimmen die Besucher, wie viel wie lange für die anderen übrig bleibt.

Der Schweizer Pavillon, mit seinen 15 Meter hohen Türmen, erwartet während der Expo bis zu 3 Millionen Besucher. Michele Novaga

«Wir bieten eine Art Slow education an. Die Besucher reflektieren Konsum und Verschwendung im Bewusstsein, dass heute ein Drittel der Lebensmittel im Abfall landet. Diese Türme übermitteln eine klare Botschaft der individuellen Verantwortung und Solidarität, die nötig sind, um eine nachhaltige Entwicklung nicht nur in der Schweiz zu garantieren, sondern auch in Ländern, die wesentlich gravierendere Probleme mit Ernährungsfragen haben», meint Nicolas Bideau, Direktor von Präsenz Schweiz, einer Abteilung des Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), welche für die Teilnahme der Schweiz an der Weltausstellung verantwortlich zeichnet.

Zwischen Innovation und Tradition

Präsenz Schweiz musste die ursprüngliche Idee aufgeben, in den Türmen Schokolade, Käse und andere Schweizer Spezialitäten zu verteilen. Denn diese Produkte hätten die Hitze im sommerlich-heissen Mailand kaum überstanden. Doch für Nicolas Bideau symbolisieren die jetzt gewählten Nahrungsmittel sehr gut Schweizer Werte, «indem Tradition und Innovation vermischt werden».

Die Äpfel sollen die Biodiversität und die Rolle der Landwirtschaft zum Schutz der Landschaft in Erinnerung rufen. Mit dem Salz werden dem breiten Publikum Initiativen zur Reduktion des Salzkonsums und zur Förderung der Gesundheit der Bevölkerung vorgestellt. Die Hauptbotschaften des Turms zum Thema Wasser beziehen sich auf die Ressource Wasser als wertvolles Gut.

Nach heftiger Kritik von Politikern und Nicht-Regierungsorganisationen haben die Verantwortlichen des Schweizer Pavillons den Platz reduziert, der ursprünglich für den Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé vorgesehen war. Statt Nestlé-Wasserflaschen aus Plastik wird nun Leitungswasser aus dem lokalen Grundwasser angeboten. Nestlé trägt aber weiterhin die Verantwortung für den Kaffee-Turm.

«Wir wollen die Vielfalt der Schweiz im Bereich der Nahrungsmittel zeigen. Und diese Vielfalt zeigt sich nicht nur in bei der biologischen Landwirtschaft, sondern auch in der Nahrungsmittelindustrie», betont Nicolas Bideau. «Die Schweiz ist ein Land ohne Rohstoffe. Die Schweiz ist dazu verurteilt, innovative Ideen zu entwickeln. Kaffee spiegelt sehr schön diesen Innovationsgeist. Der Export an Schweizer Kaffee übertrifft inzwischen sogar denjenigen an Schokolade oder Käse», hält Bideau fest.

Ein rationaler Beitrag

Architektonisch glänzt der Schweizer Pavillon nicht gerade für seine Originalität. Von aussen erscheinen die Türme wie ein Expo-Verwaltungsgebäude. Und im Inneren sind die Lebensmittel in Schachteln fein säuberlich aufgereiht. Für Fantasie ist hier kaum Platz. Der Pavillon erscheint in seiner Gesamtheit als äusserst rationale Angelegenheit.

2 Mio. Dosen Salz, 2,5 Mio. Pakete Instant-Kaffee, 420’000 Säcke Äpfel und 350’000 Gläser werden den Besuchern des Schweizer Pavillons angeboten. Michele Novaga

«Das ist die Schweiz. Wir sind rational und können nicht so einfach unseren Stil ändern. Aber wir arbeiten noch an einigen Projekten, um unserem Auftritt einen Hauch von Irrationalität und etwas mehr Wärme zu verleihen», sagt Bideau. «Die Schönheit des Pavillons liegt in der Tatsache, dass es ein kreativer und pädagogischer Ort ist, der dem Publikum offen steht und Platz für viele Initiativen bietet.» Auf der Plattform sind mehr als 300 Events in den kommenden sechs Monaten vorgesehen, etwa thematische Tage, Ausstellungen der Partnerorganisationen, Vorträge, Diskussionen, Konzerte oder Gastronomie-Events.

Im Erdgeschoss des Pavillons ist zudem eine interaktive Ausstellung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) zum Programm Plantwise zu sehen, welches das Ziel verfolgt, Ernteverluste zu reduzieren und die Ernährungssicherheit armer ländlicher Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Zudem gibt es thematische Ausstellungen der Städte Basel, Zürich und Genf sowie der Gotthard-Kantone (Tessin, Graubünden, Wallis, Uri).

Der Schweizer Pavillon

Die Teilnahme der Schweiz an der Expo Milano 2015 steht unter der Ägide von Präsenz Schweiz des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Präsenz Schweiz ist für das Image der Schweiz im Ausland zuständig.

Die eidgenössischen Räte haben 2012 der Teilnahme der Schweiz an der Expo 2015 einstimmig zugestimmt und den entsprechenden Kredit in der Höhe von 23,1 Millionen Franken genehmigt, wovon 9 Millionen von öffentlichen und privaten Sponsoren finanziert werden müssen – Kantone, Städte und Unternehmungen.

Vier Türme sind das Herzstück des Schweizer Pavillons. Die Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, auf einer spielerischen Reise durch die Türme die Schweiz, ihre vielfältigen Produkte und ihre Werte zu entdecken, die den Erfolg des Schweizer Modells ausmachen.

Der Schweizer Pavillon beherbergt ausserdem das House of Switzerland, mit einem Restaurant, einem Take-away, einem Informationsstand der schweizerischen Landwirtschaft, der Partner Lounge, und dem Auditorium, in dem Veranstaltungen und Konferenzen stattfinden.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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