Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Weniger Spenden: Corona bringt Solidarität zum Bröckeln

Bedürftige Menschen warten auf die Verteilung von Lebensmitteltüten
Bedürftige Menschen warten im November 2020 in Lausanne auf die Verteilung von Lebensmittel-Tüten. Keystone / Jean-christophe Bott

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist es für einen Teil der Bevölkerung schwieriger geworden, zu spenden. Das Solidaritätsbarometer Schweiz zeigt auch, dass Spenden eher in die eigene Region als ins Ausland gehen.

Seit fast zwei Jahren beeinträchtigt das Coronavirus die Wirtschaft und das tägliche Leben und verschärft Ungleichheiten und Konflikte. In dieser Hinsicht ist es ein «Stresstest» für den sozialen Zusammenhalt. Und je länger die Krise andauert, desto mehr wird die Solidarität mit jenen, denen es schlecht geht, auf die Probe gestellt.

In der Schweiz, wie in vielen anderen Ländern auch, war während der ersten Welle eine aussergewöhnlich hohe Hilfsbereitschaft zu beobachten, die dann aber wieder abflachte. Dennoch ist die Solidarität nicht verschwunden, aber die Pandemie hat sie unter Druck gesetzt.

Dies geht aus einer am Freitag veröffentlichten Umfrage über die Wahrnehmung der Solidarität in der Schweiz hervor. Die Umfrage wurde von der Glückskette in Auftrag gegeben, der Partnerstiftung der SRG, zu der auch SWI swissinfo.ch gehört.

Die Umfrage wurde zwischen dem 15. und 30. September 2021 online durchgeführt, über die Webportale der SRG und das Online-Panel des Instituts Sotomo.

Es konnten die Daten von über 3100 in der Schweiz wohnhaften Erwachsenen ausgewertet werden.

Die Zusammensetzung der Stichprobe ist nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung, sondern wurde nach den Kriterien Geschlecht, Alter, Bildungsniveau, politische Positionierung und Sprache statistisch gewichtet.

Die maximale Abweichung von den ermittelten Werten (Konfidenzintervall) liegt bei +/-1,3 Prozentpunkten.

Auswirkungen auf Einkommen und Spenden

Die Umfrage zeigt, wie die Gesundheitskrise das Spendenverhalten verändert hat. Insgesamt ist die Zahl der Menschen, die bereit sind, finanzielle Unterstützung für bestimmte Zwecke zu leisten, etwas zurückgegangen. Mehr als ein Viertel der Befragten gab an, weniger zu spenden als vor der Pandemie, während 20% angaben, mehr zu spenden.

Externer Inhalt

Die Gesundheitskrise wirkte sich auf die finanzielle Situation vieler Menschen aus. Die Umfrage zeigt deutlich, dass die Ungleichheiten in der Gesellschaft zunehmen. 17% der Befragten gaben an, über weniger Geld zu verfügen als vor der Pandemie. Dabei handelt es sich vor allem um Personen, die schon vorher zu den untersten Einkommensgruppen gehörten.

Dies wirkt sich logischerweise auch auf die Spendenbereitschaft aus: Für fast die Hälfte der Personen, die ihre Spenden reduziert haben, ist ein geringeres Einkommen der Grund – dies ist der Hauptgrund, der in der Auswertung der Umfrage genannt wird.

10% der Befragten haben hingegen einen grösseren finanziellen Spielraum gewonnen, häufig stammen sie aus den bereits wohlhabenderen Bevölkerungsgruppen. Viele von ihnen gaben an, mehr zu spenden als zuvor.

Auf die Frage nach ihren Beweggründen gaben fast sechs von zehn Befragten an, dass sie sich durch die Krise «privilegiert» fühlten. Ein Drittel waren der Meinung, dass ihnen durch die Pandemie «die Not anderer bewusst geworden» sei.

Externer Inhalt

Solidarität steht im Zusammenhang mit Impfstatus

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage sind der Ansicht, dass die Solidarität auf gesellschaftlicher Ebene wegen der Pandemie gelitten hat. Die Medienberichterstattung über die Kontroversen um die Impfung und die Gesundheitseinschränkungen spielen bei dieser Wahrnehmung sicherlich eine Rolle, heisst es in dem Bericht.

«Diese Ergebnisse sind zum einen besonders auffällig in der Deutschschweiz, wo 43% der Befragten der Meinung sind, dass die Solidarität nachgelassen hat, zum anderen bei jungen Menschen, die zu 41% im Verlauf der Monate eine Abnahme der Solidarität empfanden», heisst es weiter.

In diesem Zusammenhang wird die Verantwortung derjenigen hervorgehoben, die nicht gegen Covid-19 geimpft sind: Fast die Hälfte der Befragten betrachtete die Verweigerung einer Impfung als eindeutigen Beweis für einen Mangel an Solidarität.

Trotz des Gefühls, dass die kollektive Solidarität verloren gegangen ist, berichtet die Mehrheit der Befragten von einer grösseren gegenseitigen Unterstützung im persönlichen Umfeld. Fast ein Drittel der Personen, die zu Beginn der Pandemie Verwandten oder Nachbarn geholfen hatten, sagten, dass sie dies auch heute noch tun.

Mehr
Newsletters SWI swissinfo.ch

Mehr

Newsletter

Melden Sie sich für unsere Newsletter an und Sie erhalten die Top-Geschichten von swissinfo.ch direkt in Ihre Mailbox.

Mehr Newsletter

Solidarität hängt von Entfernung ab

Generell geht aus dem Barometer hervor, dass sich die Menschen in Bezug auf Hilfeleistungen auf sich und ihr näheres Umfeld beschränken. Dies zeigt sich auch in einer «klaren Priorität für das, was geografisch und damit indirekt auch kulturell nahe liegt», heisst es in der Umfrage.

Ein Beispiel: Wenn die Befragten eine grössere Geldsumme auf verschiedene Notsituationen verteilen müssten, würden sie mehr als 40% davon in ihrer Region, ein Drittel an einem anderen Ort in der Schweiz und 27% im Ausland einsetzen.

«Während die Schweiz weit weniger Notsituationen erlebt als andere Länder, zeigt dies, dass die Bereitschaft zur Solidarität stark von der räumlichen Entfernung abhängt (…). Je näher [die Notsituationen] sind, desto grösser sind Empathie und Verantwortungsgefühl», stellt das Umfrageinstitut fest.

Diese Präferenz für geografische Nähe ist in allen Bevölkerungsgruppen und Sprachregionen zu beobachten. Sie ist aber besonders ausgeprägt bei Personen mit einer rechtskonservativen politischen Einstellung. Im Gegensatz dazu favorisieren Personen aus dem linken politischen Spektrum die Themen Umwelt, Menschenrechte und Flüchtlinge.

Externer Inhalt

Jubiläumssammlung für Kinder

Die 1946 in Lausanne gegründete Glückskette feiert dieses Jahr ihr 75-jähriges Bestehen. Anlässlich dieses Jubiläums organisiert sie vom 12. bis 17. Dezember eine Solidaritätswoche für Kinder in Not, bei der SWI swissinfo.ch Partnerin ist.

Die gesammelten Spenden gehen zur Hälfte an Projekte in der Schweiz (Schutz vor häuslicher Gewalt, soziale Integration von zerrütteten Jugendlichen), während die andere Hälfte zur Finanzierung von Projekten im Ausland verwendet wird.

Spenden können online direkt auf der Website der GlücksketteExterner Link oder auf deren Postkonto 10-15000-6 getätigt werden; Vermerk: «Kinder in Not».

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft