Wetzipedia: «Eine moderne Ortschronik»
Die Stadt Wetzikon im Zürcher Oberland hat eine Online-Enzyklopädie aufgeschaltet, in der die Geschichte Wetzikons dokumentiert werden soll. Dabei wurde nicht nur die Software, sondern auch das Prinzip von "Wikipedia" übernommen: alle können mitschreiben.
«Wird die Geschichte nur von einer Person dokumentiert, wird sie einseitig oder es schleichen sich Fehler ein», sagt Irene Tobler, die seit fünf Jahren im Ortsarchiv von Wetzikon arbeitet. Deshalb sei es von Anfang an klar gewesen, dass die Enzyklopädie ein Gemeinschaftswerk sein soll.
Zwei Jahre Planung waren für «www.wetzipedia.ch» nötig, bis die Seite letzte Woche aufgeschaltet werden konnte. «Das Ziel ist es, objektive und interessante Artikel über Personen, Häuser und Quartiere, historische oder andere bedeutende Ereignisse zu sammeln», sagt Tobler.
Die Informationen sind kostenlos und für alle jederzeit und von überall per Internet zugänglich. «Das ist eine Art einer neuen Chronik, die ganz lebendig gestaltet werden kann, sofern sich die Bevölkerung aktiv daran mitbeteiligt», betont Tobler.
Die Seite ist seit mehreren Tagen aufgeschaltet. Bis jetzt hat aber noch niemand aus der Bevölkerung einen Artikel geschrieben. Gemäss den Angaben «Letzte Änderungen» auf Wetzipedia stammen alle Beiträge vom Benutzer «Archiv Ortsgeschichte».
Die Vergangenheit digitalisieren
«Im Moment ist es so, dass die Datenbank des Ortsarchivs die Wetzipedia laufend mit Informationen füllt», erklärt Irene Tobler. Denn die Idee für die Online-Enzyklopädie hat ihren Ursprung im Ortsarchiv.
Untergebracht in zwei Räumen und einem Büro, werden in Kartonschachteln Fotografien, Zeitungsartikel, Dokumente, Broschüren, Ansichtskarten sowie Ton- und Bildmaterial aufbewahrt, die alle einen Bezug zu Wetzikon haben.
«Als ich hier angefangen habe, konnte ich bestimmte Informationen nicht finden. Suchte jemand etwas aus den 1930er-Jahren über ein Quartier, hatte ich zwischen all den Schachteln keinen Überblick», erzählt die Fachfrau.
Deshalb begann sie, das Archiv systematisch in einer Datenbank zu erfassen und zu digitalisieren. Daraus sei dann die Idee zum «Online-Ortsarchiv» entstanden.
«Wir wollten unsere Informationen ins Internet stellen, damit alle Menschen Zugriff haben», sagt Tobler. «Wir haben die Idee weiterverfolgt, und jetzt sind wir online.»
Die Gegenwart archivieren
Auch wenn sich vorerst praktisch alle abrufbaren Informationen in der Online-Enzyklopädie auf die Vergangenheit beziehen, ist die Gegenwart ebenso bedeutend.
«Wir sammeln heute noch Zeitungsartikel, die thematisch geordnet in Hefte eingeklebt werden», erklärt Tobler. «Dieses Jahr ist in fünf Jahren bereits wieder Geschichte. Deshalb sind wir daran, die Gegenwart zu archivieren», sagt sie.
Früher wurden Ereignisse in Chroniken erfasst. Die im Ortsarchiv aufbewahrten, von 1891 bis 1976 geführten Chroniken der Stadt Wetzikon, sind alle bereits im Netz abrufbar.
Von der Online-Enzyklopädie, die allen offen steht und an der jedermann und jedefrau mitschreiben kann, erhofft sich Tobler, «dass auch aktuelle Ereignisse chronologisch niedergeschrieben werden».
Persönliches von öffentlichem Interesse trennen
«In den Artikeln für die Enzyklopädie sind persönliche Erinnerungen durchaus erwünscht», sagt die Archivarin. «Es kommen viele ältere Menschen ins Archiv und erzählen von früher.» Solche Gespräche sind bereits aufgenommen und sollen ebenfalls ins Netz gestellt werden.
Auf der Seite können neben Artikeln auch Fotografien oder Videos hochgeladen werden. «Es ist jedoch nicht die Meinung, dass Videos des Enkelkindes oder private Fotoalben aufgeschaltet werden», sagt sie.
«Die Inhalte müssen von öffentlichem Interesse sein. Denn unsere Seite ist nicht das gleiche wie etwa «Facebook», das aus Eigeninteresse gepflegt wird», so Tobler. «Wetzipedia ist eine moderne Ortschronik, bei der es um öffentliches Interesse geht.»
Ungewisse Zukunft
Die Online-Enzyklopädie der Stadt Wetzikon ist zwar aufgeschaltet, doch bleibt das Ortsarchiv nach wie vor bestehen, weil es sich durch die neuen Technologien und Möglichkeiten nicht vollständig ersetzen lässt.
«Bei den heutigen Technologien wissen wir nicht, wie sie sich weiter entwickeln werden», sagt Tobler. «Das Archiv vor Ort ist für die Langzeit-Archivierung gedacht, Wetzipedia nicht.» Deshalb werden Fotografien oder Zeitungsartikel nach wie vor «physisch» eingeklebt und verstaut.
Wie sich die Seite weiter entwickeln und ob es das erhoffte Gemeinschaftswerk mit der Bevölkerung werde, wisse sie nicht, so die Fachfrau.
«Es kann sein, dass es sich positiv entwickelt», meint Tobler. «Es kann aber auch sein, dass die Öffentlichkeit gar kein Interesse daran hat. Es ist ein Projekt, das völlig in der Luft liegt.»
Sandra Grizelj, swissinfo.ch
Die Online-Enzyklopädie «Wetzipedia» hat ihren Namen von der grossen Schwester «Wikipedia».
«Wetzi» steht abkürzend für Wetzikon.
«Wiki» ist hawaiisch und bedeutet schnell.
«Pedia» wurde von der englischen Schreibweise für Enzyklopädie (encyclopedia) entlehnt.
Wie Wikipedia, ist auch Wetzipedia frei und kostenlos abrufbar. Unter Angabe der Quelle und der Autoren darf sie jede Person kopieren und verwenden.
Alle sind berechtigt, Artikel zu schreiben und in die Enzyklopädien zu stellen. Die Administratoren behalten sich das Recht vor, diskriminierende oder ehrverletzende Artikel zu entfernen.
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