Wie Schweizer Startups unseren Speiseplan verändern wollen
Junge Firmen versuchen, die Schweizer Milchwirtschaft etwas abzubremsen. Sie sind der Meinung, wir sollten unsere Kühlschränke mit etwas anderen Esswaren füllen. Und die Regierung stimmt ihnen zu.
Der Andrang ist gross, wenn im Technopark Zürich die Mittagszeit beginnt. Restaurant-Manager Philip Gloor rennt praktisch von einem Ende der Küche zum anderen. An einem normalen Wochentag verpflegen er und sein Team 600 Personen.
Doch mindestens in einem Bereich kann Gloor es sich leisten, zu entspannen: Er zieht einen Stuhl zu seinem Computer und öffnet einen Bericht über den Klima-Fussabdruck jeder Zutat, die in seinem Restaurant im letzten Monat auf die Teller fand.
Der Bericht ist Teil eines neuen Programms zur Verminderung von Emissionen, das seine Muttergesellschaft, die Compass Group (Schweiz) gestartet hat. Die Abrechnung zeigt, dass Gloor andere Restaurants der Gruppe ausgestochen hat – seine Emissionen liegen 30% unter jenen der anderen.
Compass will seine Treibhausgas-Emissionen um 20% senken, und Gloor und die anderen Manager der Gruppe werden dabei von der Zürcher Startup-Firma EaternityExterner Link unterstützt. Das Jungunternehmen von drei Leuten in ihren 20ern beansprucht für sich, das weltweit erste klimafreundliche Menüplan-Programm für Restaurants entwickelt zu haben.
Compass führt dieses nun in 44 ihrer Kantinen im ganzen LandExterner Link ein. Damit hat ein nicht unerheblicher Teil der Arbeitenden in der Schweiz nun die Wahl, sich für klimafreundliche Gerichte zu entscheiden.
Jeden Tag wird eines der Menüs in Gloors Restaurant mit einem grünen Schild gekennzeichnet. Und dieses ist normalerweise der Beststeller. Heute sind es Truthahn-Farfalle. Das grüne Menü ist etwas teurer, da der Truthahn aus heimischer Produktion stammt. Doch «falls die Leute etwas [für die Umwelt] tun wollen, sind sie gewillt, ein wenig mehr zu bezahlen», sagt Gloor.
Längerfristig sollen alle der etwa 200 Restaurants der Compass Group an Bord steigen, sagt deren CEO Frank Keller. Die Firma plane, «in Bezug auf CO2 schlechte Lebensmittel zu vermindern. Das heisst, wir müssen über unseren Fleischkonsum nachdenken. So können wir uns etwa vorstellen, einen ‹fleischlosen Montag› einzuführen».
Das Gipfeli
Manuel Klarmann, der CEO von Eaternity, hat viele Statistiken zur Hand, um zu zeigen, wie effizient ein solches Programm sein kann. Die wichtigste, und jene, die seine Firma auf Kurs brachte, war die Schätzung, dass 30% aller Treibhausgas-Emissionen mit Nahrungsmitteln zu tun haben. Compass war erster grosser Eaternity-Kunde, und die ersten Monatsberichte der schlechtesten und besten Mahlzeiten betreffend CO2-Ausstoss wurden nun an die Restaurants verschickt.
Für den Technopark waren die schlimmsten Missetäter die 160 Kilogramm gefrorener Gipfeli (Hörnchen), die einer Tonne CO2 entsprechen und in Sitzungszimmern mit dem Morgenkaffee serviert werden. Der wahre Schuldige dabei: der hohe Anteil an Butter, der von Methan ausstossenden Kühen stammt.
Neben dem Ziel, weniger Milchprodukte und Fleisch zu konsumieren, ist für Eaternity ein weiteres, dass die Menschen mehr saisonale und lokale Produkte essen und auf Gewächshaus-Nahrungsmittel verzichten. Sie wären glücklich, wenn die Leute pro Woche drei klimafreundliche Mahlzeiten essen würden.
«Die Nahrung macht einen Drittel der Treibhausgase aus, die wir ausstossen», sagt Klarmann. «In diesem Restaurant können wir sehen, wie rasch wir diese Emissionen reduzieren können. Wir brauchen eine Lösung für den zu hohen Ausstoss im Lebensmittelbereich. Und jetzt haben wir erstmals eine solche dafür.»
Eine Lücke füllen
VeganautExterner Link ist ein weiteres Jungunternehmen, das ein unerschlossenes Terrain im Versuch findet, vegane Optionen zugänglicher zu machen. Seine Online-Plattform erlaubt es Nutzern, auf einer Karte in einer Art Wettbewerb den nächsten veganen Laden oder das nächste Restaurant anzugeben. «Die heute zugängliche Technologie ist super für solche Dinge, und um zu zeigen, dass auch andere am gleichen Problem arbeiten», sagt Sebastian Leugger, der die Firma gemeinsam mit seinem Bruder gegründet hat.
«Ich denke, für jede Bewegung ist es wichtig, dass sie Leute hat, die Neues ausprobieren und nicht nur darüber reden. Im Fall des Veganismus ist es wichtig, Alternativen zu produzieren. Nicht nur die Einstellung muss sich ändern, sondern auch die Produktion unserer Lebensmittel, bis hinein in die Landwirtschaft.»
Den Landwirt verändern
Käse ist das wichtigste Exportprodukt der Schweizer Landwirtschaft. Jeder Schweizer trinkt täglich im Durchschnitt 2 Deziliter Milch und isst 60 Gramm Käse und zwei Joghurts. Damit befindet sich die Schweiz unter den Top Milchverbrauchern der Welt.
Bernard Lehmann, Direktor des Bundesamts für LandwirtschaftExterner Link, ist nicht komplett anderer Meinung. Der ehemalige Landwirt sagt, in den letzten Dekaden sei das Ziel gewesen, mehr Milch und Fleisch zu produzieren, «ohne eine Idee davon, was dabei mit der Umwelt geschieht». Heute arbeite sein Bundesamt daran, diese Auswirkungen zu reduzieren.
«Methan ist ein starkes Treibhausgas», sagt er. «Schliesslich und endlich wird der Schweizer Konsument, wie auch der europäische und der nordamerikanische, weniger Fleisch essen müssen.»
Er gibt zu, dass es die Landwirte damit nicht leicht haben würden, doch sie «werden sich anpassen müssen. Wir werden mehr andere Dinge essen, also wird die Fleischindustrie ihr Geschäft etwas reduzieren müssen». Doch sie könnten dabei helfen, Stellen in anderen Industriezweigen wie etwa beim Gemüseanbau zu schaffen. Wenn man dabei aus wirtschaftlichen Gründen zu «vorsichtig» vorgehe, könnte eine Veränderung in eine positive neue Richtung verhindert werden, gibt Lehmann zu bedenken.
In der Milchwirtschaft drängt die Schweiz die Milchbauern dazu, weniger Grasland zur Fütterung von Vieh zu verwenden. Ackerland sollte besser für Bedürfnisse der Menschen genutzt werden. Dazu wurde letztes Jahr eine StrategieExterner Link eingeführt, um dies für Landwirte attraktiver zu machen. «Trinkt etwas Milch, aber Milch mit geringeren Auswirkungen auf die Umwelt», sagt Lehmann.
Innovation nötig
Doch das Bundesamt sieht noch einen weiteren Klimasünder: die Nahrungsmittel-Verschwendung. Bis zu 30% aller Lebensmittel, die gekauft werden, verfallen ungenutzt. Etwas von diesem so genannten Food Waste wird zu Biomasse oder Kompost rezykliert. Der Rest wird verbrannt.
Die Rolle der Behörden sei die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft durch die Erhöhung des Bewusstseins bei Landwirten und Öffentlichkeit für den Ressourcenmangel. Daneben seien aber Jungunternehmen nötig, sagt Lehmann weiter.
Und davon gibt es nun bereits einige. «Die jungen Leute sind sich der heutigen und künftigen Umweltprobleme viel mehr bewusst, wie auch des Ressourcenmangels. Wir haben eine grosse Bewegung, weil junge Studierende heute anders denken, als ich mit meinen 60 Jahren.» Startups könnten das Konsumverhalten verändern und die Lebensmittelverarbeitung verbessern, sagt er.
Eine neue Firma, die genau das versucht, ist Zum Guten HeinrichExterner Link. Sie übernimmt überflüssiges lokales Gemüse und Früchte von Bauernbetrieben und verpackt diese zu Mahlzeiten für Zürcher Arbeitnehmende. Dazu werden sie mit einem Fahrrad durch die Stadt gefahren.
Schuld an der Verschwendung von Lebensmitteln sind sowohl die Öffentlichkeit wie auch Landwirtschafts-Standards. Fast die Hälfte aller weggeworfenen Lebensmittel stammt aus privaten Kühlschränken. Die andere Hälfte sind Nahrungsmittel mit der falschen Grösse oder zu hohem oder geringem Gewicht.
«Durch Food Waste entstehen eine Menge CO2-Emissionen, weil viel Energie in den Herstellungsprozess, den Transport und die Lagerung gesteckt wird», sagt Remo Bebié. «Gleichzeitig sind viel Wasser und Land nötig, um diese Lebensmittel zu produzieren.»
Bebié ist einer der vier Klima-, Wirtschafts- und Nahrungs-Spezialisten, die hinter dem Zürcher Projekt stehen, das an der Universität entstand. Heute arbeiten sie Vollzeit daran – ohne Lohn. Bereits merken die Jungunternehmer, dass sie mit der Menge an Esswaren überfordert sind, die ihnen Landwirte anbieten.
«Manchmal ruft einer an und sagt, er habe 200 Kilogramm Kürbisse, und ich habe keine Ahnung, was ich damit machen soll», sagt Bebié. «Oder ein Bauer erklärt, er habe eine ganze Kultur voller Birnbäume, aber keine Zeit, die Früchte abzulesen. Ob wir diese wollten?»
Sie zahlen etwas für die Lebensmittel, um zu zeigen, dass diese wertvoll sind. Nun haben sie sich mit einem Restaurant zusammengetan, das ihnen bei der Verarbeitung behilflich ist. Und per Crowdfunding sammeln sie gegenwärtig Geld für ein neues «Food-Bike»Externer Link.
«Es ist weit über ein Studentenprojekt hinausgewachsen. Nun wollen wir uns etablieren und auch in fünf Jahren noch da sein. Als Startup bist Du wirklich flexibel, Du kannst Neues ausprobieren, ohne die Gefahr, einen guten Ruf zu verlieren. Für bereits etablierte Betriebe wäre es schwierig, so etwas aufzuziehen», so Bebié.
«Bei diesem spezifischen Problem glaube ich nicht, dass die Regierung viel unternehmen kann. Die Veränderung muss von den Menschen aus kommen. Das kann man nicht mit einem Plan von oben herab lösen.»
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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