«Wir müssen Partei sein im Kampf gegen Rassismus»
Nach 16 Jahren tritt Georg Kreis als Präsident der Antirassismus-Kommission zurück. Das Klima in der Schweiz sei härter geworden, der grobe Umgang mit Anderen werde teils gar zur Tugend erhoben, sagt der Basler Historiker im Gespräch mit swissinfo.ch.
swissinfo.ch: Sie haben 16 Jahre lang die EKR präsidiert. Welches ist Ihr grösster Erfolg im Kampf gegen Rassismus?
Georg Kreis: Unser grösster Erfolg war und ist wohl, dass man die Rassismus-Probleme seit 1996 ernster nimmt. Dieser Ernst manifestiert sich zum Teil allerdings auf falsche Art, das heisst nur unter dem oberflächlichen Gesichtspunkt: was darf ich sagen, wie sehr darf ich zu weit gehen, ohne bestraft zu werden. Stattdessen sollte man sich daran orientieren, was gut für unser Zusammenleben ist und was man Mitmenschen zumuten darf und was nicht.
swissinfo.ch: Zu den Aufgaben der EKR gehört auch, das Klima im Land zu beobachten. Wie steht es denn um die Stimmung gegenüber der ausländischen Bevölkerung?
G.K.: Die Stimmung gegenüber den Fremden, den Anderen, ist eindeutig schlechter geworden. Diese Gegenüberstellung «ich und die anderen» oder «wir und die anderen» ist schärfer geworden. Es ist ganz klar, dass man mit der Abwertung der Anderen die eigene Aufwertung verfolgt.
swissinfo.ch: Wieso ist das Klima härter geworden?
G.K.: Ich bin sehr skeptisch gegenüber allen Erklärungen. Wir reden von Globalisierung, von Migrationsanstieg, von unsicherer Zukunft. Aber all diese Erklärungen stören mich, weil sie gleichzeitig immer eine rechtfertigende Komponente haben.
Eigentlich müssten wir als Erstes erklären, wieso der Nationalismus derart zugenommen hat, denn die Abwertung des tatsächlichen oder vermeintlich Anderen hat etwas mit diesem archaischen Stammesdenken zu tun, das Urstände feiert, und an dem man sich bis tief in die bürgerliche Mitte hinein orientiert. .
swissinfo.ch: Die gemeldeten Rassismus-Vorfälle, vor allem anti-schwarzer Rassismus und Muslimfeindlichkeit, haben gemäss dem letztem Bericht leicht zugenommen. Was haben Sie falsch gemacht?
G.K.: Ich will nicht ausschliessen, dass wir einiges falsch gemacht haben. Aber Präventionsbehörden bis hin zu den Repressionsbehörden können in ihrer Leistung nicht an solchen Zahlen gemessen werden. Wir wissen nicht, wie viele Fälle es ohne uns gäbe.
Hinzu kommt, dass der Rassismus im privaten Bereich nicht erfasst ist. Bei der rassistischen Diskriminierung, etwa bei der Lehrstellen-, Arbeits- oder auch bei der Wohnungssuche, haben wir immense Dunkelziffern.
swissinfo.ch: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem politischen Klima und rassistischem Verhalten in der Bevölkerung?
G.K.: Sicher gibt es Zusammenhänge. In unserem Zusammenleben sind die Betonung des Eigenen und der grobe Umgang mit Anderen salonfähiger geworden. Sie werden sogar zur Tugend erhoben.
Diese Entwicklung ist Teil des neoliberalen Wettbewerbs, der Stärkere überlebt, man soll ja nicht zimperlich sein. Und all dies kombiniert mit der so genannten Meinungsfreiheit.
Am meisten Sorge bereitet mir, die stärker gewordene pseudodemokratische Meinung, es sei doch Auffassungssache, was Rassismus sei. Sicher gibt es in Randzonen Abgrenzungsprobleme, aber dass man die ganze Problematik in den Bereich des freien, persönlichen Ermessens rückt, ist bedenklich.
Wir müssen Menschen nicht in ihrem Inneren bearbeiten. Wünschenswert wäre es zwar, dass jemand nicht Antisemit ist und Fahrende nicht für minderwertig hält. Wichtig ist indessen vor allem , dass er das nicht öffentlich manifestiert.
swissinfo.ch: Die Meinungsfreiheit hat also ihre Grenzen?
G.K.: Absolut. Den meisten leuchtet ein, dass die ureidgenössische Meinungsäusserungsfreiheit im Bereich der individuellen Ehrverletzung ihre Grenzen hat.
Schwieriger nachzuvollziehen ist offenbar, dass Kollektivbeleidigungen ähnlich zu werten sind, weil diese wiederum individuelle Konsequenzen für diejenigen haben, die bestimmten Gruppen angehören. Wenn man sagt, Afrikaner seien faul und hätten kein Arbeitsethos, kann sich dies auf Mitglieder dieser Gruppe negativ auswirken.
swissinfo.ch: Ist die rechts-konservative SVP mit ihren ausländerfeindlichen Abstimmungsplakaten etwa gegen Muslime mitverantwortlich für ein xenophobes Klima im Land?
G.K.: Natürlich ist sie mitverantwortlich, aber deswegen soll man ihr nicht zu viel Verantwortung zuschieben. Verantwortlich sind immer die Individuen selber. Ich kann nicht sagen, ich sei halt von den SVP-Plakaten ermuntert worden, aber es ist klar, dass von ihnen eine pauschale Ermunterung in dieser Richtung ausgeht, selbst wenn die Plakate selber nicht den Tatbestand des Rassismus erfüllen.
swissinfo.ch: Sie plädieren für ein grösseres Engagement der Bürgerinnen und Bürger in Situationen, wo Menschen diskriminiert oder rassistisch behandelt werden. Ist unsere Gesellschaft in Sachen Rassismus zu wenig sensibilisiert? Hat die EKR die Zivilgesellschaft zu wenig wachgerüttelt?
G.K.: Sicher, aber was bedeutet wachrütteln? Ich wäre froh, man käme zum Schluss, dass wir dafür nicht verantwortlich sind. Die Kommission muss hinweisen, muss warnen, aber ist letztlich keine Erziehungskommission.
Wir haben keine Allmachtbedürfnisse und wollen nicht für alles zuständig sein, sondern wünschen uns, dass die Zivilgesellschaft mehr übernimmt. In unserem Land gibt es genügend NGO, die mit minimalsten Mitteln Gutes leisten. Ich wünschte mir mehr individuelle Unterstützung dieser Organisationen.
swissinfo.ch: Die EKR hat in den letzten Jahren an Akzeptanz verloren, vor allem in den Augen der SVP, für die Sie persönlich eine Reizfigur sind, wegen Ihrer Stellungnahmen, Ihrer Parteilichkeit. Sollte die Kommission nicht unparteiisch sein?
G.K.: Nein, wir müssen Partei sein, die Frage ist nur, wovon. Wir müssen Partei sein im Kampf gegen Rassismus, im Einsatz für Menschenrechte. Da geht es nicht um Parteipolitik.
Das schliesst allerdings nicht aus, dass unsere Stellungnahmen auch parteipolitische Haltungen betreffen, das ist aber nicht, was wir anstreben oder suchen. Wir versuchen es gar zu vermeiden. In unserer letzten Kampagne ‹Fairplay im Wahlkampf› haben wir bewusst keine Parteien genannt. Und dann hiess es von Seiten der Medien: «Sagt doch gleich, dass ihr die SVP meint.»
Ich gehe davon aus, dass die SVP und andere, die man nicht einfach mit drei Buchstaben bezeichnen kann, mit uns gut leben können, denn wir sind ein ideales Feindbild. Tagsüber werden wir bekämpft, nachts beten sie dafür, dass wir ihnen erhalten bleiben.
In der Schweiz trat das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (RDK) am 29. Dezember 1994 in Kraft.
Um die Voraussetzung für den Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen zu schaffen, musste die Rassismus-Strafnorm (Art. 261bis StGB) eingeführt werden.
Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) nahm ihre Tätigkeit im Jahr 1995 auf.
Sie befasst sich mit Rassendiskriminierung, fördert eine bessere Verständigung zwischen Personen unterschiedlicher Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationaler oder ethnischer Her-kunft, Religion, bekämpft jegliche Form von direkter oder indirekter Rassendiskriminierung und schenkt einer wirksamen Prävention besondere Beachtung.
Nachfolgerin des auf Ende 2011 zurücktretenden EKR-Präsidenten Georg Kreis wird die frühere Genfer FDP-Nationalrätin, Martine Brunschwig Graf.
Georg Kreis, 68, ist in Basel aufgewachsen.
Er studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Basel, Paris und Cambridge.
Bis 2009 war er Professor für Neuere Allgemeine Geschichte an der Uni Basel.
Bis im Sommer 2011 leitete er das Europainstitut der Uni Basel.
Kreis war Mitglied der Bergier-Kommission, welche die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg untersuchte.
Er ist Mitglied der FDP.Die Liberalen.
Georg Kreis präsidiert bis Ende 2011 die Eidg. Kommission gegen Rassismus (EKR) seit deren Gründung im Jahr 1995.
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