Ueli Steck – ein grosser Schweizer
Der Schweizer Top-Alpinist verewigte sich mit Rekorden als Solo- und Speedkletterer. Darum ging es Ueli Steck aber nicht. Sein Leben war Ingenieurskunst am menschlichen Körper – und darin demonstrierte er Schweizer Präzision.
Ueli Steck, der auf einer Trainingstour am Nuptse tödlich verunglückt ist, stellte vieles dar, was wir Schweizer uns gern zuschreiben: Er war erfolgreich, fleissig und redete gleichzeitig seine Erfolge klein, weil er sie auch nicht für überaus gross hielt, nur für hart erarbeitet, allenfalls redlich verdient. Ueli Steck war ein bescheidener Mensch.
Im Alleingang
Der Verunglückte verkörperte zudem die Werte, die wir unserem Land zuschreiben. Er war präzis bis ins letzte Detail. Dazu war er weltoffen, agil und unglaublich reaktionsschnell. Vor allem aber war Ueli Steck ein Alleingänger. Allianzen und Seilschaften organisierte er sich projektgebunden. Er hatte viele Freunde und keinen echten Feind. So genoss er den Respekt der Mitbewerber und aller, die mit ihm oder für ihn arbeiteten.
Es überrascht nicht, dass sein Tod für Erschütterung sorgt im Land. Es gibt Tausende, die ihm begegnet sind in den Schweizer Alpen. Er joggte leichtfüssig an ihnen vorbei, wo sie sich schwer atmend Schritt für Schritt in die Höhe quälten. Beim Überholen grüsste Steck sie freundlich. Viele Schweizer besuchten auch seine Multivisions-Vorträge, die zu seinem Lebensunterhalt beitrugen. Steck war ein begnadeter Erzähler und in der Lage, sein Tun jederzeit intelligent zu reflektieren.
Fasziniert von der eigenen Leistung
Was Steck antrieb, war nicht die Jagd nach Höhenmetern oder Rekorden. Es war die Tüftelei an seinem Körper. Er beackerte dabei zwei Felder, Klettertechnik und Ausdauer, beides auf Weltklasse-Niveau. Vor allem in der Ausdauer fand sein Ehrgeiz eine Spielwiese, hier richtete er sein Augenmerk zunehmend auf die Ernährung. Er stellte von Kohlenhydrat- auf Fettverbrennung um, weil er sich davon mehr Effizienz versprach. Das war keine neue alpinistische Technik, weitete aber den Aktionsradius dieses Spitzensportlers bedeutend aus. Das entsprach ihm, denn am Ende faszinierte Steck die Leistungsfähigkeit menschlicher Muskeln wohl ebenso wie die Bergwelt selbst.
So stiess Steck zwangsläufig in Felder vor, die nicht mehr einfach nachvollziehbar waren. Manche sahen in den Speed-Besteigungen unnötige Hatz, unsympathischen Ehrgeiz, nicht selten auch Egozentrik. Und viele Hobby-Alpinisten orteten in Stecks Zugang zum Berg das Gegenteil dessen, was Schweizer Berge vermittelten: Respekt und ruhige Erhabenheit, die uns Menschen klein macht. Steck aber schrumpfte die Eiger-Nordwand auf 2 Stunden und 22 Minuten.
Der Mensch Steck mag zwar ein Getriebener gewesen sein, das war ihm wohl gar bewusst. Gerade deshalb baute er so auf Sicherheit – und diese sah er nicht in Kletterhaken und Seilkameraden, sondern im weiteren Schliff an seinen abnormen Fähigkeiten. Das machte ihn zu einem grossen Sportler und zum wegbereitenden Vorbild für eine nächste Generation an Top-Alpinisten, die sich nicht mehr mit dem Berg messen, sondern mit sich selbst.
Zwang zum Extremen
Was macht einer, der seinen Körper soweit gebracht hat, dass dieser fast jeden 4000er abhandelt wie andere Körper ein Jogging an einem Sonntagnachmittag? Steck musste die Grenzen verschieben, dazu gab es gar keine Alternativen. Die Logik verlangte es (und Top-Alpinisten leben vom Sponsoring). Seine neuen Herausforderungen sah er in der Ausdauer, weniger im Risiko, und zwangsläufig in den höchsten Höhen. Steck hat den Tod durchaus gefürchtet, gerade weil er ihm schon begegnet war.
Hätte je ein Mensch erwartet, dass dem Formel-1-Star Michael Schumacher ein im Tiefschnee verborgener Stein zum Verhängnis werden würde? Im Fall von Ueli Steck führte das Schicksal einen ähnlichen Schlag. Der Tod war in allem Tun von Ueli Steck zwar immer vorgesehen, aber nicht letzten Sonntag am Nuptse. Auf einer üblichen Vorbereitungstour tragisch gestorben ist dort ein grosser Alpinist. Ein grosser Schweizer.
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