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Zebrastreifen: Sicherheitsfaktor oder Todesfalle?

Rund die Hälfte der Fussgängerstreifen in der Schweiz sind verbesserungswürdig. Keystone

Wegen der vielen Fussgängerunfälle auf Zebrastreifen plant der Bund ab 2012 eine Sensibilisierungs-Kampagne – für Autofahrer und Fussgänger. Einig sind sich Experten in einem Punkt: Nicht die Quantität, sondern die Qualität der Zebrastreifen ist wichtig.

«Brienz BE: Erneut Fussgängerin auf Zebrastreifen tödlich verletzt»; «Höri ZH: 77-jähriger Fussgänger kommt beim Überqueren eines Zebrastreifens ums Leben»; Horw LU: 65-Jähriger auf Fussgängerstreifen angefahren und tödlich verletzt»; «Worb BE: 10-jähriger Schüler auf Fussgängerstreifen angefahren und wenig später im Spital verstorben»; «Luzern LU: Frau stirbt bei Unfall auf Zebrastreifen».

Das sind Agentur-Schlagzeilen der letzten Tage und Wochen. Gleichzeitig gab es Dutzende von weiteren Meldungen über Unfälle auf Zebrastreifen, bei denen Fussgänger getötet oder schwer verletzt wurden.

Trotz positivem Trend immer noch gravierende Situation

Von einer Häufung von Fussgängerunfällen auf Zebrastreifen mag Gianantonio Scaramuzza, Sicherheitsexperte der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU), dennoch nicht sprechen. «Ich frage mich ehrlich, ob es sich da nicht um eine Häufung von Medienberichten handelt», sagt er gegenüber swissinfo.ch.

«Wenn wir die Entwicklung der Unfallzahlen in den letzten 30 Jahren anschauen, stellen wir einen positiven Trend fest: Die schweren Unfälle auf Fussgängerstreifen haben um 75% abgenommen.»

Auf der anderen Seite müsse aber nach wie vor, speziell im Winter, mit durchschnittlich einem Todesopfer und neun Schwerverletzten pro Woche gerechnet werden – «eine immer noch gravierende Situation».

Zusammenspiel verschiedener Faktoren

Die Unfälle auf dem Zebrastreifen sind laut Scaramuzza ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. «Ein Fussgängerstreifen muss gewisse bauliche und betriebliche Kriterien erfüllen, damit er nicht zur Falle wird oder eine falsche Sicherheit vortäuscht. Der Fahrzeuglenker muss sich bewusst sein, dass am Fussgängerstreifen kein Vortritt herrscht. Der Fussgänger hat zwar gemäss Gesetz klar Vortritt, aber zu seiner eigenen Sicherheit müsste er notfalls vielleicht mal darauf verzichten.»

Was die Schuldverteilung betrifft, sei gemäss Unfalldaten-Analyse in mehr als 85% der Fälle der Lenker allein schuldig, so der BfU-Experte. «Der Fussgänger ist nur in 3% der Fälle allein schuldig.»

Auf menschliches Fehlverhalten führt auch Stephan Müller, Sprecher des Touring Clubs der Schweiz (TCS), die vielen Fussgängerunfälle auf Zebrastreifen zurück.

«Sowohl Automobilisten wie auch Fussgänger sind sich nicht immer der Gefahren bewusst, die auf einem Fussgängerstreifen lauern», sagt er gegenüber swissinfo.ch. Dann habe es in letzter Zeit leider auch Fälle von absolut unverantwortlichem Verhalten gegeben: «Betrunkene Fahrer, die ein Kind überfahren haben.»

Die jüngsten Unfälle auf Zebrastreifen sind für Christine Steinmann, Projektleiterin Verkehrssicherheit beim Verkehrsclub der Schweiz (VCS), auf einen jahreszeitlichen Verlauf zurückzuführen.

«In den dunklen Monaten geschehen leider viel mehr Fussgängerunfälle als in den Sommermonaten, dies vor allem, weil es früher finster wird», sagt sie gegenüber swissinfo.ch. «Die Leute sind am Feierabend bereits in der Dunkelheit unterwegs, da ist es sowieso am gefährlichsten.»

Genug ist genug

Weil die Serie von Unfällen auf Fussgängerstreifen in diesem Jahr nicht abreisst, plant der Bund ab 2012 eine Kampagne. Während drei Jahren sollen Autofahrer und Fussgänger sensibilisiert werden. Finanziert wird die 6 Millionen Franken schwere Offensive für Sicherheit der Fussgänger vom Fonds für Verkehrssicherheit (FVS).

Auch der VCS hat auf die zahlreichen Fussgängerunfälle reagiert: Anfang Dezember präsentierte der Verkehrsclub die Kampagne «Sicher zu Fuss» für ein sicheres Miteinander im Strassenverkehr. Und der TCS testete rund 100 Fussgängerstreifen und kam zum wenig erfreulichen Schluss, dass die Hälfte davon verbesserungswürdig sei.

TCS, VCS sowie der Fussgänger-Fachverband Fussverkehr Schweiz möchten sich an der Kampagne des Bundes beteiligen und haben sich dafür beworben. Der Entscheid, wer den Zuschlag erhält, soll im Frühjahr 2012 fallen.

Zebrastreifen: Qualität statt Quantität

In der Schweiz gibt es zwischen 40’000 und 50’000 Fussgängerstreifen. «Ein dichtes Netz», sagt Gianantonio Scaramuzza, doch viele davon würden nur Sicherheit vortäuschen. Rund die Hälfte der Streifen seien falsch angelegt, überflüssig oder unvollständig konzipiert. Entscheidend sei, ob ein Fussgängerstreifen die fünf wichtigsten Sicherheitskriterien erfülle.

«Mittelinsel: Eine Fussgängerschutzinsel in der Mitte der Strasse senkt das Unfallrisiko. Beleuchtung: Viele Zebrastreifen sind nicht oder falsch beleuchtet. Bei einer richtigen Beleuchtung muss ein Kontrast zwischen dem Fussgänger und dem Hintergrund bestehen. Sichtweite: Die Sicht des Autolenkers darf nicht durch Mauern, Zäune oder Gebüsche verdeckt oder durch eine Kurve eingeschränkt werden. Fahrstreifen: Die Anzahl Fahrstreifen, die der Fussgänger überqueren muss, bis er auf der anderen Strassenseite oder sich auf der Fussgängerschutzinsel befindet, darf nicht mehr als zwei sein. Fussgängermenge: Je häufiger Zebrastreifen von Fussgängern frequentiert werden, umso sicherer sind sie.»

Schweiz steht in Europa gut da

Laut dem BfU-Experten steht die Schweiz punkto Fussgängerunfälle in Europa gut da. «Aber es gibt Länder, die besser abschneiden, zum Beispiel Deutschland, Island, die Niederlande, Norwegen, Schweden.»

Länderspezifische Zahlen seien allerdings schwierig zu vergleichen. «Es geht um getötete Fussgänger pro Einwohnerzahl des Landes. Nicht berücksichtigt ist dabei, wie häufig Fussgänger unterwegs sind. Wenn in einem Land keine Fussgänger unterwegs sind, wird man dort auch keine Unfälle finden.»

In der Schweiz seien viele Fussgänger unterwegs, sagt Scaramuzza. «Wir stehen gut da, aber nicht an erster Stelle.»

Seit Ende August 2011 können die Fussgänger die Marktgasse in der Stadt Thun, Kanton Bern, zwischen Guisanplatz und Sternenplatz unter dem Motto «Syt so guet» frei überqueren. Zwei Fussgängerstreifen wurden aufgehoben. Interessant: Sowohl Autos als auch Fussgänger profitieren von der Mittelzone mit den blauen Wellenlinien.

Die Auswertung des Verkehrsflusses ergab, dass ein Auto für die 160 Meter lange Strecke durchschnittlich 40 Sekunden braucht, maximal 60 Sekunden. Vorher mit den Fussgängerstreifen waren es 47 Sekunden mit Verkehrsregelung und 55 Sekunden mit Fussgängerstreifen (maximal 2 Minuten).

Der Zeitgewinn der Autos geht nicht zu Lasten der Fussgänger. Im Durchschnitt betreten sie die Strasse nach 2 Sekunden, fast gleich schnell wie bei den früheren Fussgängerstreifen. Länger als 6 Sekunden wartet niemand.

Mit dem Programm «Via sicura» (sichere Strasse) will der Bundesrat mit rund 60 Massnahmen eine Verbesserung der Sicherheit auf den Strassen erreichen. Das Paket steht noch im Konsultations-Verfahren.

In der Botschaft des Bundesrates zu Via sicura werden u.a. folgende Massnahmen vorgeschlagen:

Präventive Massnahmen: z.B. Verbot des Fahrens unter Alkoholeinfluss für bestimmte Personengruppen, generelle Verpflichtung zum Fahren mit Licht am Tag, Mindestalter von 7 Jahren sowie Helmtragpflicht für Radfahrer bis 14 Jahre.

Massnahmen zur besseren Durchsetzung bestehender Regeln: z.B. Massnahmen zur Qualitätssicherung bei Fahreignungsabklärungen, Einführung der beweissicheren Atem-Alkoholprobe, Verbot von Warnungen vor Verkehrskontrollen, Befristung des Führerausweises.

Repressive Massnahmen bei schweren Delikten wie z.B. bei Rasern: Fahrzeug-Einziehung und -verwertung, obligatorische Fahreignungs-Abklärung beim Verdacht fehlender Fahreignung, Einbau von Datenaufzeichnungs-Geräten.

Infrastruktur-Massnahmen: z.B. Sanierung von Unfallschwerpunkten und Gefahrenstellen und Überprüfung der Strassenbauprojekte auf allfällige Verkehrssicherheits-Defizite.

Massnahmen zur Optimierung der Unfallstatistik: visuelle Darstellung der Unfälle auf der Landkarte zur Feststellung von Unfallschwerpunkten und Gefahrenstellen und verbesserte Auswertung der Unfalldaten.

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