Zürcher Justiz will den Frauenhandel bekämpfen
In Zürich ist der Prozess gegen vier angeklagte Zuhälter aus Ungarn im Gang. Die Zuhälter haben Prostituierte aus Ungarn und Rumänien nach Zürich geholt, am Sihlquai auf den Strassenstrich geschickt und regelmässig brutal misshandelt.
Für den Hauptangeklagten beantragt die Staatsanwältin eine Freiheitsstrafe von 16 Jahren sowie Verwahrung. Für die drei weiteren Zuhälter verlangt sie Freiheitsstrafen von 4,5 bis 11 Jahren. Die Verteidigung fordert wesentlich weniger strenge Strafen bis hin zu Freisprüchen.
Die Verhandlungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit, aber in Anwesenheit von Gerichts-Berichterstattern statt. Das Urteil wird voraussichtlich am 1. Dezember eröffnet.
Die vier angeklagten Zuhälter sind seit einem, beziehungsweise zwei Jahren in Untersuchungshaft. Alle sind in ihrer Heimat vorbestraft. Ebenfalls angeklagt ist eines der Opfer, das gemäss Anklage als «Aufpasserin» eines Zuhälters auch «Kontrollaufgaben auf dem Strassenstrich» übernommen hatte. Die Frau war 2008 vorübergehend in U-Haft.
Die Zuhälter haben Prostituierte aus Ungarn und Rumänien nach Zürich geholt, am Sihlquai auf den Strassenstrich geschickt und regelmässig brutal misshandelt.
Sie sind konfrontiert mit Anklagepunkten wie gewerbsmässiger Menschenhandel, Körperverletzung, Gefährdung des Lebens, Förderung der Prostitution, Drohung und Nötigung.
Opfer aus ärmlichen Verhältnissen
Zwei der Angeklagten sind auch wegen Abtreibung angeklagt. Sie sollen schwangere Prostituierte gegen den Bauch geboxt und getreten und dadurch Fehlgeburten herbeigeführt haben.
Es handelt sich um einen der grössten Prozesse gegen Zuhälterei in der Schweiz. Nicht weniger als sechzehn Opfer haben während den Untersuchungen ausgesagt. «In absehbarer Zukunft wird keine dieser Frauen mehr fähig sein, ein normales Leben zu führen. Es sind lebende Tote», sagte Staatsanwältin Silvia Steiner.
Die Opfer stammen aus sehr ärmlichen Verhältnissen und haben keine Ausbildung. Angelockt durch Versprechungen, die Hoffnung auf das schnelle Geldverdienen und die Möglichkeit, die Familie zu Hause unterstützen zu können, kamen einige der Opfer freiwillig in die Schweiz.
Schweiz attraktiv für Menschenhandel
«Die Einführung des freien Personenverkehrs mit den neuen EU-Ländern und die Aufhebung der Visums-Pflicht für Länder wie Rumänien, erleichtert den Zuhältern ihre Machenschaften», sagt Eva Zwahlen, Sprecherin des Bundesamtes für Polizei.
«Die Schweiz bleibt für den Menschenhandel ein sehr attraktives Land. Hier können grosse Profite realisiert werden, und das mit einem kleinen Strafverfolgungs-Risiko.»
Die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration der Stadt Zürich (FIZ) wird demnächst ein geschütztes Haus für die Opfer von Menschenhandel eröffnen. Eine Stelle für die Leitung wurde bereits ausgeschrieben. Das Beherrschen der ungarischen Sprache ist eine der geforderten Qualifikationen.
Mangelnde Sensibilität
Laut Doro Winkler vom FIZ genügen die geltenden Gesetze, um den Menschenhandel zu bekämpfen: «Das Gesetz beinhaltet eine gute Definition darüber, was unter Menschenhandel zu verstehen ist und sieht auch entsprechend schwere Sanktionen dagegen vor.»
Dennoch bemängelt die Expertin bei gewissen Gerichten einen Mangel an Sensibilität, um die Schwere der Verbrechen zu erkennen. «Wir hoffen, dass der Prozess in Zürich in dieser Hinsicht ein starkes Signal ausstrahlen wird.»
Ein wichtiges Element zur Verbesserung der Strafverfolgung und der Gerichtsbarkeit wird das neue Gesetz über den Zeugenschutz sein, das zur Zeit vorbereitet wird.
Sisyphus-Arbeit
Die meisten Opfer des Zürcher-Prozesses leben mittlerweile in einem Zeugenschutz-Programm in der Schweiz. Sie können aus Angst vor Repressalien nicht mehr nach Ungarn zurückkehren.
«Gegebenenfalls werden sie eine neue Identität erhalten, die ihnen den Aufbau einer neuen Existenz erlauben wird,» sagt Staatsanwältin Steiner.
Für die Strafverfolgungsbehörden ist der Kampf gegen die Zuhälterei eine Sisyphus-Arbeit: «Wenn man an einem Tag fünf Personen verhaftet, sind am nächsten Tag fünf andere da», schreibt die Anklägerin. Dieses Phänomen trete in allen grossen europäischen Städten auf..
Ariane Gigon, Zurich, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Andreas Keiser)
Rund 14000 Frauen gehen in der Schweiz der Prostitution nach.
Etwa 350’000 Männer in der Schweiz nehmen wenigstens einmal im Jahr die Dienste einer Prostituierten in Anspruch. Das heisst, fast jeder fünfte Mann zwischen 20 und 65 Jahren.
Diese Angabe beruht auf Hochrechnungen von kleinen Stichproben.
Landesweit geht man von einem jährlichen Gesamtumsatz der Prostitution von ungefähr 3.5 Milliarden Franken aus.
Prostitution ist in der Schweiz seit 1942 legal. Die Rahmenbedingungen dafür (Strichzonenpläne, Vorschriften über die erlaubte Art von Prostitution etc.) können allerdings je nach Kanton und Gemeinde sehr unterschiedlich sein.
Strafbar sind überall in der Schweiz die Förderung der Prostitution und die Ausnützung sexueller Handlungen.
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