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Wie findet man mehr Männer als Primarlehrer?

Thomas Walker amtet als "Schnupperlehrer" für die Kampagne "mehr Männer an die Primarschule". Zug University of Teacher Education

Männer, die einen Umstieg in den Primarlehrberuf in Betracht ziehen, können von einem Schnupperangebot profitieren, um mehr herauszufinden. Es ist Teil eines Projekts, das einen höheren Männeranteil an den Schweizer Primarschulen zum Ziel hat. Dieser liegt zurzeit bei rund 18%.

Es ist ein frostiger Tag im November. Im Stigeli-Schulhaus in Affoltern am AlbiExterner Links hören vier Schüler im Alter von neun bis zehn Jahren aufmerksam ihrem Lehrer Thomas Walker zu. Sie bereiten sich auf einen Besuch im nahegelegenen Kindergarten vor, wo die kleinen Kinder Geschichten erzählen werden, welche die Primarschüler aufschreiben müssen. Thema: der Zirkus.

«Welchen Tierarten könnten sie im Zirkus wohl begegnen?», fragt Walker. Hände schnellen in die Höhe. Walker passt auf, dass jeder sich äussern kann.

Im Klassenzimmer dabei ist auch der 21-jährige Reto Schlatt. Er absolviert einen Schnupperhalbtag in der Stigeli-Schule. Er begleitet den Lehrer nicht nur, sondern kann, wenn er das wünscht, auch ein wenig unterrichten. Im Anschluss können die Teilnehmer ihren Mentoren Fragen zum Primarlehrberuf stellen.

Das Modell ist Teil des Projekts «Umsteiger, einsteigen!Externer Link«, initiiert vom Verein Männer an die PrimarschuleExterner Link (MaP). Es wurde im Mai 2016 gestartet und soll Männer für den Primarlehrberuf animieren. Unterstützt wird es vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Mann und FrauExterner Link sowie von den Pädagogischen Hochschulen Zug und Zürich.

Schatt ist gelernter Maurer und hat zusätzlich die Berufsmatura abgeschlossen. Bis vor kurzem hat er mit behinderten Kindern gearbeitet.

«Die Freude, Wissen und Bildung zu vermitteln sowie mit Menschen zu arbeiten, ist das, was mich wirklich reizt», sagt er in einer 20-minütigen Pause zwischen zwei Lektionen gegenüber swissinfo.ch. «Das Bauwesen ist manchmal eher ein einsamer Arbeitsplatz.» Der junge Mann überlegt sich, ob er sich für die Lehrerausbildung anmelden soll. Zuerst aber muss er wissen, ob er die erforderlichen Fähigkeiten mitbringt.

Vom Snowboarden zum Lehren

Auch der Klassenlehrer fand erst spät zum Lehrerberuf. Zuvor arbeitete der 35-jährige Walker viele Jahre in einem Ski- und Snowboardladen und trainierte in der Freizeit Fussballjunioren, bevor er im letzten Jahr sein Studium an der Pädagogischen Hochschule Zug abschloss. Die Stelle an der Primarschule in diesem kleinen Ort im Kanton Zürich ist seine erste.

«Ich habe noch eine lange Arbeitskarriere vor mir, so musste ich mein Leben neu organisieren, denn für das Snowboard-Business wurde ich langsam zu alt», erklärte er. 

Thomas Walker (rechts) und Reto Schlatt (links) im Klassenzimmer an der Primarschule in Affoltern am Albis. swissinfo.ch

«Meine Schulzeit war nicht besonders lässig, deshalb wollte ich ein besserer Lehrer werden als jene, die ich hatte.»

Walker findet den Lehrberuf sehr erfüllend. «Es gibt definitiv viele gute Momente, aber auch solche, wo du den Kindern nicht helfen kannst oder sie nicht dorthin bringst, wo du möchtest. Das ist die Kehrseite dieses Berufs.»

Zudem müsse man gut mit Frauen zusammenarbeiten können, fügt er an. Schweizweit liegt der Männeranteil bei den Primarlehrern bei nur gerade 18,4% (2015), 1995 waren es noch 30%. Walker ist einer von drei Lehrern an seiner Schule – unter 30 Lehrerinnen.

Walker glaubt, dass Männer zuerst mehr Interesse an lukrativen Karrieren haben, was sich zu im Laufe der Zeit aber ändern könne. «Ich kenne zahlreiche Männer, die später auf Jobs im Sozialwesen umsattelten.»

An Schnuppertagen können Männer auch sehen, wie sich das Schulwesen verändert hat. Heute würden zum Beispiel mehr Technologien eingesetzt, so Walker.

Wie es wirklich ist

Die Möglichkeit, mit einem Mann über den Lehrberuf zu reden, sei einer der grössten Vorteile bei diesem Schnupperangebot, sagt Katarina Farkas, die an der Pädagogischen Hochschule Zug für das Projekt verantwortlich ist.

«Die Teilnehmer können so über Dinge reden, die sie mit uns vielleicht nicht diskutieren möchten, wie etwa Finanzen, wie viel Arbeit es ist, wie man sich organisiert usw.», sagt sie im Gespräch mit swissinfo.ch.

Die Zahl männlicher Lehrkräfte zu erhöhen, findet sie wichtig, betont aber, dass die Schülerinnen und Schüler wegen des höheren Anteils an Lehrerinnen in der Regel nicht leiden würden. «Wir glauben nicht, dass Männer die besseren Lehrer sind, sind aber der Meinung, dass gemischte Teams für die Schulen besser sind», meint Farkas.

Laut dem Verein «Männer an die Primarschule» spielt auch der Aspekt der Gleichheit eine Rolle, da männliche Lehrkräfte die Knaben dazu ermutigten, über den Lehrberuf nachzudenken. Und um «ein realistisches Männer-Bild zu entwickeln, müssen die Knaben ganz besonders echte Vorbilder haben, statt virtuelle».

Während der Lehrerberuf früher eine gute Perspektive war, gebe es heutzutage viele Möglichkeiten, sagt Farkas. Dass nur wenige Männer an Primarschulen unterrichteten, habe nicht zwingend mit dem Lohn zu tun. Lehrkräfte erhalten zum Beispiel rund ein Drittel mehr als Sozialarbeiter.

Es gibt Anzeichen, dass die Kampagne, die auch Zeitungsinserate und Kinowerbung beinhaltet, Früchte trägt. Farkas war überrascht, wie viele Männer – rund 60 bis November – einen Schnuppertag über ihre Institution absolvierten. Sie kommen aus unterschiedlichen Berufssparten: vom Banking über die Zimmerei bis hin zum Ingenieurwesen. Und für Sommer 2017 sind bereits ein paar Anmeldungen eingegangen.

Obwohl das Projekt zurzeit nur in der Deutschschweiz läuft, gibt es gemäss der Tribune de GenèveExterner Link auch in der Romandie ein Interesse an dieser Idee. Des Problems sei man sich bewusst, aber der Lohn sowie die Wahrnehmung, dass Unterrichten eher ein «weiblicher» Beruf sei, stelle ein Hindernis dar, heisst es dort.

Und zur Zukunft des Projekts lässt Farkas von der Pädagogischen Hochschule in Zug verlauten: «Wir führen das Schnupper-Programm für ein weiteres Jahr fort, inklusive der Kampagne bis Juni 2018.»

Stand weltweit

Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)Externer Link zum Anteil von Frauen in der Primarschule zeigen ein ähnliches Bild wie in der Schweiz, nämlich rund 82%.

Eine Auswahl von Ländern:

Frankreich 83,1%, Deutschland 86,8%, Vereinigtes Königreich 84,1%, USA 87,2%. In Italien sind es sogar 95,9%.

Mehr Männer unter den Primarlehrern gibt es in Skandinavien: In Schweden etwa liegt der Anteil der Frauen bei 77,2% und in Norwegen bei 74,8%.

Wie sieht es in Ihrem Land aus bezüglich Männer und Frauen an den Primarschulen? Schreiben Sie uns in den Kommentaren!

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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