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Zwischen Ohnmacht und Hoffnung

Verschmutzte Küste vor Louisiana: Die Schäden, die das Öl hier verursacht, sind noch schlimmer, als wenn das Öl im Meer selbst verbleibt. Keystone

Der langfristige Schaden der Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko werde wohl aus der Tiefe der Meere kommen, befürchtet Silvia Frey von OceanCare. Der Golfstrom werde kontaminierte Fische und Plankton auch nach Europa transportieren.

Werden Ökosysteme an Land zerstört, wird das für uns Menschen direkt sichtbar. Werden Küsten zerstört, können wir uns ein Bild davon machen.

Doch die grössten Ökosystem der Erde sind die Ozeane, und deren Zerstörung sehen wir kaum, obschon auch sie ständig voranschreitet.

Silvia Frey von OceanCare, einer Schweizer Organisation zum Schutz der Meeressäuger und ihres Lebensraums, versteht nicht, weshalb wir dem Ökosystem solche Risiken noch zumuten.

Am 8. Juni wird der Tag der Ozeane begangen – dieses Jahr wegen Louisiana wohl ein beachtetes Datum.

swissinfo.ch: Wie fühlt sich eine ökologisch engagierte Naturwissenschaftlerin aus einem Binnenland wie Sie angesichts der Naturkatastrophe im Golf von Mexiko?

Silvia Frey: Einerseits fühle ich mich ohnmächtig, andererseits gebe ich die Hoffnung nicht auf. Ohnmächtig, weil das Leck noch nicht gänzlich gestopft werden konnte und die Aussichten auf eine vollständige Eindämmung unsicher sind. Hoffnung habe ich, dass man mit allen möglichen Hilfsmitteln den Schaden irgendwie eingrenzen kann.

swissinfo.ch: Wie ordnen Sie die Katastrophe vor Louisiana ein? Es ist ja nicht die erste Ölpest.

S.F.: Diese Katastrophe ist ein Unikum insofern, als es das erste Mal ist, dass Öl so tief unter der Meeres-Oberfläche ausfliesst. Auch von der Menge des ausgeflossenen Öls her ist Louisiana einmalig – bisher. Darum ist die Beurteilung schwieriger als bisher.

swissinfo.ch: Welche Massnahmen schlagen Sie vor?

S.F.: Patentlösungen gibt es nicht. Das Öl gelangt in den Ozean, in ein dynamisches System. Da spielt so viel mit, wie das Wetter oder die Art des Öls. Neben dem Stopfen des Ausflusses wäre das Risiko zu minimieren, dass das Öl bis zur Küste gelangt. Dort würde es einen noch grösseren Schaden anrichten als im Wasser. Die Küsten zu säubern, wäre noch schwieriger.

swissinfo.ch: Wie sehen die Perspektiven aus? Wie sieht der Schaden kurz- und längerfristig aus, wie regional und global?

S.F.: Dies hängt alles davon ab, ob das Leck nun wirklich gestopft werden k oder ob noch weiterhin viel Öl ausfliessen wird. Das Öl auf der Oberfläche schädigt jene Tiere, die wir sehen, wie Vögel, Fische, Schildkröten, Delphine, Wale etc., und die zur Zeit in der Fortpflanzungsphase sind.

Werden die Eier oder die Fischbrut zerstört, stirbt quasi eine ganze Generation weg. Bei langlebigen Tieren wie den Schildkröten wird das ganz fatal, besonders, wenn die Art ohnehin schon bedroht ist. Ausgerechnet der ohnehin überfischte rote Thun laicht zur Zeit im Golf.

Das Öl jedoch in der Tiefe bis 1400 m, das sehen wir nicht. Die Zerstörungen dort unten werden wir wohl nie zu Gesicht bekommen.

Auch Fische oder Pottwale, die sterben, sinken ab und verschwinden aus unserem Gesichtsfeld. Es können sich sauerstofffreie Zonen bilden, was alle Tiere dort tötet. Ein Tiefseefisch kann nicht einfach so auftauchen. Dann fehlen plötzlich Tierarten in der Nahrungskette.

Solche Phänomene kennt man bisher noch gar nicht. Der langfristige Schaden wird wohl eher aus der Tiefe kommen. Man weiss auch nicht, was das für das grössere Ökoystem bedeuten würde.

swissinfo.ch: Europa ist von all dem weit weg. Das Binnenland Schweiz noch mehr. Wie trifft uns diese Verschmutzung, ausser dass uns das Sushi-Fleisch ausgeht?

S.F.: Thunfisch hätten wir bereits seit längerem nicht mehr essen dürfen! Wir werden wohl kontaminiert, also indirekt verseucht. Jene Tiere, die vom Öl nicht getötet werden, sind kontaminiert. Ein Effekt, der sich über die Nahrungskette hinweg verstärkt.

Und der Mensch steht am Ende dieser Kette. Über das, was wir aus dem Meer essen, nehmen wir diese Schadstoffe auch auf. Ähnlich wie bei Schwermetallen, wo dieser Effekt schon länger bekannt ist.

Die Rede ist auch vom Golfstrom, der als Nordatlantikstrom das warme Wasser vom Golf bis nach Nordeuropa fliessen lässt. Die Szenarien, dass damit auch das Öl hierher gelangt, lassen sich schwer einschätzen. Unwahrscheinlich sind sie nicht. Aber eher werden vorher grosse Teile der US-Ostküste verschmutzt.

Doch der Golfstrom bringt nicht nur die kontaminierten Fische, die wandern, bis zu uns, sondern auch die Eier und das Plankton. Oder, wenn alles abgestorben ist, gibt es nichts mehr für den Golfstrom mitzutragen. Dann fehlen zum Beispiel Nachzucht und Jungfische.

swissinfo.ch: Wieviel Risiken sind denn dem Meer noch zuzumuten?

S.F.: Ja, bei dieser Frage wird es dann sehr konkret. Wir hängen massiv vom Erdöl ab, nicht nur energetisch und verkehrstechnisch, sondern auch in Form von Produkten, Verpackungen und anderem. Die Golfkatastrophe zeigt uns, dass wir dafür immer mehr Risiken eingehen.

Weil unser Ölverbrauch derart hoch liegt, müssen wir bereits aufs risikoreiche Meer hinaus gehen, um Öl zu fördern. Die Frage lautet somit, weshalb wir das dem Ökosystem noch zumuten und nicht endlich ernsthaft auf alternative Energieformen umsteigen, welche risikoärmer und umweltfreundlicher wären.

Alexander Künzle, swissinfo.ch

Silvia Frey, geb. 1968, ist Dipl. sc. nat. ETH.

Nach der Berufslehre zur Kauffrau machte sie die Eidg. Matura auf dem zweiten Bildungsweg und studierte Umweltwissenschaften.

Ihre Leidenschaft gilt dem Wasser, ihr Interesse den Wechselwirkungen zwischen Lebewesen und Umwelt, besonders von Meeressäugern.

Sie nahm an verschiedenen Forschungs- und Tierschutzprojekten teil.

Sie ist seit 1994 OceanCare-Mitglied, und seit 2000 Leiterin OceanCare Walforschung.

OceanCare ist eine Schweizer Organisation, die sich dem Schutz der Meeressäuger und ihres Lebensraums verschrieben hat.

Im Bereich der Walforschung ist OceanCare seit 1997 aktiv und liefert Universitäten in Frankreich, Italien und der Schweiz Daten.

OceanCare hat 1995 die Schweizer Walschutz-Koalition und die Europäische Koalition für lärmfreie Ozean gegründet und ist Mitglied des VETO (Verband Tierschutzorganisationen Schweiz).

Die Artenvielfalt der Meere ist auch die Lebensversicherung der Menschen, schreibt Oceancare. Doch immer mehr Lebensräume sterben aus.

Das sensible Ökosystem der Ozeane gerate zunehmend aus dem Gleichgewicht.

Wegen Überfischung geht vielen Meerestieren die Nahrung aus, Quallen und Algen breiten sich dafür aus.

Giftstoffe, Atommüll und Plastikabfall verseuchen das Meerwasser und schwächen Meerestiere und deren Fähigkeit zur Fortpflanzung.

Auch der Lärm im Meer nimmt zu. Seismische Tests zur Ortung von Öl und Gas können Fische/Meeressäuger durch Schall töten oder die Orientierung verlieren lassen.

Pro Jahr werden rund 140 Mio. Tonnen Meerestiere aus den Ozeanen geholt – ein Viertel davon ist Beifang

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