«Die Uhrenindustrie braucht ein kreatives und geselliges Treffen»
Nach dem Rückzug der Swatch Group von der Baselworld, blickt die grösste Uhrenmesse der Welt in eine ungewisse Zukunft. Für den französischen Journalisten und Branchenkenner in Genf, Grégory Pons, ist allerdings klar: Die Schweizer Uhrenindustrie kann nicht auf einen solchen verbindenden Grossanlass verzichten.
Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Während der Sommerferien kündigte Nick Hayek an, dass seine Swatch GroupExterner Link an der BaselworldExterner Link 2019 nicht mehr dabei sein werde.
Zwischen dem grössten Uhrenmacher der Welt und der internationalen Branchen-Messe hängt der Haussegen schief. Die Zukunft der Baselworld ist gefährdet, waren doch bereits in diesem Jahr die Hälfte der Aussteller abgesprungen.
50 Millionen Franken jährlich
Swatch war während Jahren mit fast allen seiner 18 Marken an der Baselworld präsent und somit der wichtigste Aussteller – vor den Genfer Marken Rolex und Patek Philippe und der französischen Gruppe LVMH. Der Bieler Uhrenkonzern gab jährlich 50 Millionen Franken für Messeaktivitäten aus.
Dabei kann es sich der Mikrokosmos der Uhrenindustrie nicht leisten, auf eine grosse Messe von internationalem Gewicht zu verzichten, glaubt Grégory Pons. Er ist Chefredaktor von Business Montres & JoaillerieExterner Link, einem nach eigenen Angaben von Werbeeinnahmen aus der Branche unabhängigen Magazin.
swissinfo.ch: Wie ist der abrupte und unerwartete Entscheid von Nick Hayek zu verstehen?
Grégory Pons: Nick Hayek trifft strategische Entscheide meistens allein, oftmals sogar ohne Absprache mit den CEOs seiner eigenen Marken. Er verhandelt wie Donald Trump. Er will immer in der Position des Stärkeren sein und das Messer in der Hand haben. Er zögert nicht, sich mit seinem Gegenüber auch heftig zu streiten.
Es ist deshalb nicht undenkbar, dass die Swatch Group zurück nach Basel kehren wird, nachdem sie die Mietpreise der Stände neu verhandelt hat. Das Problem ist, dass Nick Hayek keinen Plan B hat für 2019. Und um einen alternativen Anlass zu organisieren, scheinen mir acht Monate etwas kurz zu sein.
swissinfo.ch: René Kamm, Chef der Messebetreiberin MCH-Group ist letzten Freitag zurückgetreten. Ist er allein verantwortlich für das Debakel?
G.P.: Ja. Er hat geschickt versucht, sich reinzuwaschen, in dem er im Frühling die Leiterin der Baselworld, Sylvie Ritter, fallen liess. Aber er ist es, der verantwortlich ist für den strategischen Schiffbruch von Baselworld. In den vergangenen Jahren hat MCH eine exzessiv auf Gewinn ausgerichtete Politik betrieben. So mussten die Marken beispielsweise für den Neubau der Baselworld 2013 aufkommen.
Viele Uhrenhäuser haben das Gefühl, erpresst zu werden, wenn sie nach Basel kommen. Dabei rufen alle seit Jahren nach einem etwas bescheideneren Salon: kürzer, billiger und weniger prahlerisch. MCH hat das Ausmass der Unzufriedenheit unterschätzt und das, obwohl bereits diesen Frühling nur noch halb so viele Aussteller kamen!
swissinfo.ch: Wird Baselworld nächstes Jahr stattfinden?
G.P.: Baselworld 2019 ist nicht in Gefahr. Denn mit Ausnahme der 18 Marken der Swatch Group hat kein weiteres erstrangiges Uhrenhaus seinen Rückzug angekündigt. Die Kandidaten-Liste des Basler Salons ist lang genug, um das Erdgeschoss der Hauptausstellungs-Halle zu füllen. Das Fernbleiben wird also nicht zu stark ins Auge fallen. Auf den Stockwerken hingegen, wird es viel unbelegten Platz geben.
swissinfo.ch: Und wie sieht es für die kommenden Jahre aus?
G.P.: Baselworld 2020 wird die heisseste Akte für die Uhrenindustrie seit der Quarzkrise. Sicher, es wird einen Uhrensalon geben in der Schweiz. Aber niemand weiss in welcher Form und wo er stattfinden wird. Genf beispielsweise, wo bereits der Uhrensalon SIHH stattfindet, plant den Aufbau eines Salons ähnlich der Baselworld. Die Messebetreiberin MCH-Group verfügt ihrerseits über geeignete Räume in Zürich.
swissinfo.ch: Welche Marken haben am meisten zu verlieren, wenn Baselworld geschwächt ist oder gar verschwindet?
«Baselworld 2020 wird die heisseste Akte für die Uhrenindustrie seit der Quarzkrise.» Grégory Pons, Journalist
G.P.: Durchschnittsmarken und kleine unabhängige Akteure der Branche. Im Unterschied zu grossen Häusern wie Rolex, Patek Philippe oder Chopard verfügen diese nicht über ein globalisiertes Verteilungsnetz und auch nicht über die Mittel, um eine grosse Show zu organisieren, die Einzelhändler anzieht. Dabei sind es genau diese weniger renommierten Marken, die dafür sorgen, dass die Schweizer Uhrenindustrie kreativ bleibt.
swissinfo.ch: Haben diese grossen Uhrensalons in der heutigen Zeit noch eine Daseinsberechtigung?
G.P.: In ihrer momentanen Form gehört die Baselworld endgültig der Vergangenheit an. Die Uhrenindustrie braucht keine grosse kommerzielle Messe, an der sich die Einzelhändler die Neuheiten ansehen und bestellen. Aufgrund der Vertriebsnetze, der dauernden Erneuerungen der Kollektionen, des Internet-Booms und des elektronischen Handels sind solche Anlässe veraltet.
Allerdings müssen sich die Vertreter der Uhrenindustrie regelmässig austauschen und «fühlen» können. Nichts wird den direkten Austausch ersetzen können, die Küsschen und das Schulterklopfen. Ausserdem ist eine grosse internationale Messe auf helvetischem Boden von grosser Bedeutung für die Schweizer Uhrenindustrie. Es ist eine einmalige Gelegenheit den Medien weltweit die Vielfältigkeit und die Kreativität dieser Industrie aufzuzeigen.
swissinfo.ch: Wie müsste ein Uhrensalon in Zukunft also aussehen?
G.P.: Ich stelle mir einen Anlass vor, an dem es kreativ, gesellig und persönlich zu und her geht. Eine Art Plattform für Gespräche und Begegnungen unter den Marken, den Medien und den Endkunden. Der Salon sollte die verschiedenen Akteure zusammenbringen und gegenüberstellen, nicht nur eine Ruhm-Show der Marken sein, die alle der gleichen Gruppe gehören. Es wäre möglich, einfach und nüchtern auszustellen, ohne das dutzende Millionen Franken für prahlerische Stände ausgegeben werden müssen, um die asiatischen Kunden zu beeindrucken.
Baselworld in Kürze
Baselworld ist die weltweit grösste Uhren- und Schmuckmesse. Sie findet einmal jährlich jeweils Ende März in Basel statt. An der 101. Ausgabe in diesem Jahr präsentierten 650 Aussteller ihre Modelle, 2017 waren es doppelt so viele. Gut 100’000 Besucher und Besucherinnen aus der ganzen Welt reisten an die Messe, darunter mehrere Hundert Journalisten und Journalistinnen.
Sie können den Autor dieses Artikels auf Twitter kontaktieren: @samueljabergExterner Link
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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