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So wurde ein Schweizer zum reichsten Venezianer

Das Molino Stucky Hilton Hotel, Venedig
Vom Mehl zu Federbetten: In der ehemaligen Mühle der Familie Stucky befindet sich heute das Molino Stucky Hilton Hotel. commons.wikimedia.org / Didier Descouens

Als Hans Stucky nach Venedig kam, besass er nicht viel. Doch sein Sohn Giovanni stellte mit seinem Vermögen bald alle in den Schatten.

Am 21. Mai 1910 spielten sich am Bahnhof Venezia Santa Lucia grauenhafte Szenen ab: Giovanni StuckyExterner Link, der reichste Mann Venedigs, wollte gerade seinen Zug nach Portoguaro besteigen, als es geschah.

Aus dem Nichts stürmte ein Mann auf ihn zu und durchtrennte ihm mit einer Rasierklinge Halsschlagader und Kehlkopf. Stucky starb noch an Ort und Stelle – und Venedig verlor seinen grossen Wohltäter.

Der Müller aus der Schweiz

Giovanni war der Sohn von Hans Stucky, der sich Anfang des 19. Jahrhunderts von Münsingen im Kanton Bern aus gen Süden aufmacht hatte. Nach 12-jähriger Wanderschaft liess er sich 1837 in Venedig nieder.

Arbeit fand er in der einzigen Mühle der Stadt, deren Leitung er bald übernahm. Doch dem ehrgeizigen Hans reichte das nicht. Er pachtete kurzerhand zwei Mühlen und machte sich selbstständig.

Was damals noch keiner ahnte: Es sollte der Grundstein für eine überaus erfolgreiche, aber auch überaus kurze Dynastie sein. Massgeblich am Aufstieg der Familie beteiligt war Hans› Sohn Giovanni.

Wichtige Neuerungen

Wie sein Vater vor ihm ging auch Giovanni auf Wanderschaft, um das Müllern von der Pike auf zu lernen. Anschliessend wandte er sein neues Wissen gewinnbringend an: Er pachtete sechs Mühlen und tauschte die alten Mühlsteine gegen moderne Walzen aus, die das Mehl weisser und feiner machten. Die Rohstoffe bezog er nicht mehr in der Region, sondern dort, wo sie am günstigen waren.

Zu den Mühlen gesellte sich bald auch eine Teigwarenfabrik mitsamt 100 Mitarbeitern. Im Jahr 1890 gab er dann den Auftrag, ein ehemaliges Kloster zu einer Fabrik auszubauen, eine Industriekathedrale, die noch höher sein sollte als der Dogenpalast.

Der Dogenpalast in Venedig
Ein Touristenzmagnet: Der Dogenpalast in Venedig. Keystone

Trotz Widerständen gegen das Vorhaben feierte der Molino StuckyExterner Link – Venedigs erstes Gebäude mit elektrischer Beleuchtung – am 13. April 1897 Eröffnung. Im selben Jahr wurde Giovanni zum reichsten Mann der Lagunenstadt erklärt.

Luxus für alle

Wie gross sein Vermögen war, ist nicht bekannt. Es dürfte immens gewesen sein, denn auf den Bau der Fabrik folgten der Kauf einer privaten Villa in Mogliano Veneto, den italienischen Hamptons, sowie der Erwerb des Palazzo GrassiExterner Link, des grössten und modernsten Palasts am Canale Grande. Zusätzlich erstand er noch 1700 Hektaren Land in Portoguaro, auf denen er Weizen anbauen liess.

Der Palazzo Grassi in Venedig
Der Palazzo Grassi war während einiger Zeit das Hauptwohnhaus der Familie Stucky. Keystone

Als Patron alter Schule schaute er aber auch gut zu seinen Arbeitern: Anlässlich des 25-jährigen Firmenjubiläums versprach er ihnen eine Rente auf Lebenszeit. Den Bauern, die seine Felder in Portoguaro bestellten, verschaffte er anständige Häuser und baute Strassen.

Die Wirren des 20. Jahrhunderts

Doch mit dem Mord an Giovanni im Jahr 1910 endete die Glückssträhne der Familie Stucky. Zwar übernahm dessen Sohn Giancarlo die Geschäfte, doch es ging nur noch bergab. Einerseits weil Giancarlo das kaufmännische Geschick seines Vaters fehlte und er den falschen Menschen vertraute, andererseits weil ihm der Erste Weltkrieg (1914-1918) und die Machtergreifung der Faschisten im Jahr 1922 einen Strich durch die Rechnung machten.

Die Situation der Stuckys spitzte sich weiter zu, als Benito Mussolinis Finanzminister Giuseppe Volpi die Aufwertung der Lira veranlasste. Dadurch bekam Giancarlo zunehmend Probleme, seine Produkte abzusetzen, und er musste die Stucky-Niederlassungen in Argentinien, den USA, Ägypten und England schliessen.

Als Mussolini auch noch zur Weizenschlacht aufrief – eine Propagandaaktion, mit der die inländische Produktion von Rohstoffen gefördert werden sollte –, war kaum noch etwas zu retten, denn das Geschäft der Stuckys basierte darauf, den Weizen für ihre Mühlen billig im Ausland zu beziehen.

Mussolini vor einer Gruppe Faschisten
Der italienische Diktator Benito Mussolini 1935 während eines Tests diverser chemischer Waffen. Keystone / Getty Images

Die Stuckys sind ruiniert

Giancarlos letzte Hoffnung für die während des Krieges erlittenen Schäden – drei seiner Anwesen, nicht aber die Fabrik, waren zerstört worden – war es, vom italienischen Staat entschädigt zu werden. Doch dazu kam es nicht, denn die Zahlungen waren Italienern vorbehalten. Er selbst war aber wie sein Vater und Grossvater immer Schweizer geblieben.

1936 war das Vermögen der Stuckys endgültig verloren. Um einem Bankrott zu entgehen, stimmte Giancarlo einer Cessio bonorum (Güterabtretung) nach dem römischen Recht zu, worauf sein gesamtes Hab und Gut an die Gläubiger ging. Er musste mit seiner Mutter in eine kleine Mietwohnung ziehen.

Natürlicher Tod oder Suizid?

Vier Jahre später verfasste Giancarlo sein Testament. Darin heisst es: «Nach dem Vorbild meines Vaters war Geld für mich immer Mittel zum Zweck. Ohne es zu wollen, habe ich mein Vermögen verloren. Ich bin der letzte Stucky aus Venedig und wünsche, dass dieser angesehene Name nach meinem Tod nur noch auf dem Friedhof von San Michele zu lesen ist, auf dem meine Eltern ruhen, die ich über alles geliebt habe.»

Nur kurz darauf verstarb er. Ob durch eigene Hand oder auf natürliche Weise, konnte nie geklärt werden.

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