Gleich zwei Musikerinnen veröffentlichen ihren ersten Roman

Die bekannte Berner Singersongwriterin Sophie Hunger hat ihren ersten Roman geschrieben, ebenso die Zürcher Kontrabassistin Lia Maria Neff. In beiden spielt Musik eine Rolle – allerdings auf ganz unterschiedliche Weise.
(Keystone-SDA) Hier eine Freundschaft, die die Welt schützend aussen vor lässt, da eine vergangene Liebe, die immer noch nachwirkt. In den Debütromanen der Musikerinnen Sophie Hunger und Lia Maria Neff geht es um existenzielle Themen.
Und in beiden Büchern, die im Abstand von gerade einmal einer Wochen erschienen sind, dringt die Musikalität ihrer Autorinnen durch: In Sophie Hungers «Walzer für Niemand» ist Musik das, was alles zusammenhält. Sie ist existenziell für die Ich-Erzählerin. In der Musik erfährt diese das echte Leben, während ihr die Realität wie ein Traum vorkommt.
In Lia Maria Neffs «Ein bisschen für immer» ist die Musik weniger zentral. Doch Neffs musikalisches Soloprojekt «Follia» sei «tatsächlich in Zusammenarbeit mit Sophie Hunger entstanden», erzählt sie der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Die Kontrabassistin Neff hat bei Hunger eine Masterclass besucht. In ihrem Roman studiert die Protagonistin und Ich-Erzählerin wie ihre Autorin Kontrabass. Wenn sie über Musik spricht, kommt das aber in eher nüchternem, analytischem Ton daher. Das Leben findet für sie ausserhalb der Musik statt.
Beide Texte werden von Einschüben strukturiert: Lia Maria Neff spielt mit ungesendeten SMS an ihren Ex-Freund Zeno, während Sophie Hungers Roman unterbrochen wird von gezeichneten Frauenkörpern und kurzen, teils fiktiven Abhandlungen zur Geschichte der Walser, jener Volkgruppe, die ab dem 13. Jahrhundert vom Wallis aus hochalpine Gegenden besiedelte.
Freundschaft und Erwachsenwerden
In beiden Romanen geht es um Freundschaft und Erwachsenwerden. In «Walzer für Niemand» kann die Ich-Erzählerin ihren Platz in der Welt nur finden, wenn sie aus dem Kokon der Freundschaft mit dem ominösen Niemand ausbricht. Bei Neff in «Ein bisschen für immer» geht das Erwachsenwerden mit der Erkenntnis einher, dass man die erste grosse Liebe nicht ganz loslassen muss, um etwas Neues zu beginnen. Dass ein bisschen Liebe bleiben darf.
Dabei hat die 42-jährige Hunger – natürlich – einen anderen Blick auf das Erwachsenwerden als die 25-jährige Lia Maria Neff. Sophie Hunger schreibt gereift, mit dem Blick zurück und über sich hinaus, während Neff selbst noch mittendrin steckt und innerhalb ihrer eigenen Gegenwart schreibt. Daraus ergibt sich automatisch eine andere Flughöhe, was «Walzer für Niemand» vielschichtiger und tiefgründiger macht.
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Sophie Hunger: «Walzer für Niemand»
Freundschaft, Erwachsenwerden, Loslassen – und Musik, die alles zusammenhält: Davon handelt der Debütroman der Schweizer Musikerin Sophie Hunger. «Walzer für Niemand» ist eine wunderbare Geschichte voller Untertöne.
Wer ist dieser Freund der Ich-Erzählerin, genannt Niemand? Als Kinder von Militärattachés, die oft umziehen müssen, haben sie nicht viel Beständiges: Nur sich selbst und die Plattensammlung der Eltern. In der Musik finden die beiden Heimat und Antworten, während ihnen die Welt draussen ein Rätsel bleibt. Zusammen lauschen sie Walgesängen, den Stimmen von Nina Simone oder Tracy Chapman. «Wir waren da zu Hause, wo die Plattensammlung lag», heisst es zu Beginn des Romans.
Während die Freundschaft der Ich-Erzählerin mit Niemand in der Kindheit symbiotisch ist, bekommt sie in der Jugend erste Risse. Diese werden grösser, als die Ich-Erzählerin den gemeinsamen Kokon verlässt und erste Schritte als Musikerin geht. Niemand verschwindet schliesslich 2008 auf schmerzhafte Weise aus dem Leben der Erzählerin – just in dem Jahr, in dem die Autorin und Musikerin Sophie Hunger ihr Debütalbum «Monday’s Ghost» veröffentlicht hat.
Buchtitel ist ein Song
Wie viel von dieser Erzählung tatsächlich mit der Privatperson Sophie Hunger zu tun hat, wird nach und nach unwichtig. Entscheidender ist die Verbindung zur Musikerin Hunger, denn die ist allgegenwärtig – in den Kapitelüberschriften, die oft Liedtitel sind, ja gar der Buchtitel ist ein Song aus dem Album «Monday’s Ghost». Allgegenwärtig ist die Musik auch in der Sprache: Rhythmisch, klangvoll, kein Wort unterbricht den Fluss. Wie in ihren Liedern greift Hunger auch im Roman gern auf Bilder zurück, schreibt assoziativ, nimmt Umwege.
Wer also ist dieser Niemand? Vielleicht ein Mensch, der sich dem gesellschaftlichen Druck, jemand zu werden, widersetzt und stattdessen lieber ganz verschwindet. Vielleicht ist Niemand aber auch eine Facette der Ich-Erzählerin selbst. Ein Teil von ihr, den sie abstreifen musste, um sich als Musikerin zu finden. «Walzer für Niemand» erzählt jedenfalls vom Loslassen, von Abschied – und das berührend und klangvoll.
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Lia Maria Neff: «Ein bisschen für immer»
Was passiert mit der ersten Liebe, wenn die zweite vor der Tür steht? Das fragt sich die Zürcher Autorin Lia Maria Neff in ihrem Roman «Ein bisschen für immer». Ein gelungenes Debüt über das Erwachsenwerden, Freundschaft und die verschiedenen Gesichter der Liebe.
Ein bisschen New Romance, nur schwermütiger: Der Debütroman von Lia Maria Neff nimmt die Leserin mit auf ein inneres Auf und Ab. Die Ich-Erzählerin Una, eine Kontrabass-Studentin wie die Autorin selbst, hat sich gerade frisch verliebt in Aurel. Es könnte alles gut sein, wäre da nicht der Ex-Freund Zeno, der sich plötzlich wieder meldet.
Seine unverfängliche Frage, ob man mal wieder ein Bier zusammen trinken wolle, löst bei Una einen Schwall an Zweifeln und Unsicherheiten aus. Es beginnt eine Art Zwiegespräch mit dem einen und dem anderen: Una richtet sich an ein Du, ihre neue Liebe Aurel; gleichzeitig wendet sie sich mit ungesendeten SMS-Nachrichten an ihren Ex-Freund Zeno.
Sie befürchtet, die Zeit mit Zeno zu vergessen, während sie mit Aurel neu anfängt. Sie hat Angst davor, noch einmal Liebeskummer zu erleben, ein weiteres Mal zu leiden. So ist sie hin- und hergerissen zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Gleichzeitig sind da Unas Eltern, die zwar eine lange, aber auch schwierige und belastete Beziehung führen. Denn auch Unas Vater stand einst zwischen zwei Frauen.
Kluge Reflexion
Lia Maria Neff, die an der Zürcher Hochschule der Künste klassischen Kontrabass studiert, ist auch Sängerin und Songschreiberin der Band Follia. Text und Musik miteinander in Verbindung zu bringen, gelingt ihr auch im Roman: in der rhythmisierten, bildhaften Sprache, im bewussten Wiederholen einzelner Gedanken. Allerdings bremst ebendiese Fabulier- und Wiederholungslust den Lesefluss zuweilen aus.
Dennoch ist «Ein bisschen für immer» eine kluge Reflexion über das Erwachsenwerden, über Liebe und Freundschaft. In Unas Gefühlschaos ist die Freundin Emma die Konstante: «Wenn ich mit Emma zusammen bin, ist es immer ganz ruhig. Meine Haut ist ruhig, mein Denken, meine inneren Wellen flachen ab, um mich herum ist es ruhig. Sie lässt mich zu. Immer und in allem, egal was ich bin, was ich mache, sage oder nicht sage, lässt sie mich zu. Es ist immer ruhig, sogar dann, wenn wir uns über die Welt aufregen.»*
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*Diese Texte von Maria Künzli, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.