Gotthard-Unfall geklärt
Ursache und Einzelheiten sind geklärt: Der Verursacher der Brand-Katastrophe, die im Oktober 2001 elf Menschen das Leben kostete, war alkoholisiert.
Mehrere Expertenteams haben sich mit der Rekonstruktion des Unfall-Hergangs beschäftigt. Am Donnerstag stellten sie in Bellinzona ihre Ergebnisse vor.
Ursache und Einzelheiten der Brand-Katastrophe im Gotthardtunnel stehen damit nun definitiv fest: Der türkische LKW-Fahrer passierte am 24. Oktober um 6.06 Uhr den Zoll in Chiasso. Um 9.39 Uhr baute er im Gotthardtunnel einen Unfall, der elf Menschen das Leben kostete. Wie es dazu kam, erklärten am Donnerstag die Staatsanwaltschaft und Crash-Experten.
Der türkische Chauffeur benötigte für die 108 Kilometer zwischen Chiasso und Airolo fast vier Stunden, weil er auf einem Rastplatz in Personico nördlich von Bellinzona einen Halt machte. Dort tätigte er von seinem Natel aus 5 Anrufe. Einmal verwählte er sich. Daneben sprach er mit seinem Arbeitgeber, der belgischen Firma Gül Transport, und einer Belgierin, auf die er ein Auge geworfen hatte.
Seine Fahrt Richtung Gotthard setzte der Familienvater in alkoholisiertem Zustand fort. In Quinto bemerkten Automobilisten seinen Zickzackkurs. «Der Alkoholgehalt im Blut kann ganz bestimmt nicht ausschliesslich auf chemische Vorgänge nach seinem Tod zurück geführt werden», sagte der Tessiner Staatsanwalt Antonio Perugini an der Medienkonferenz in Bellinzona.
Die Tunnelwand touchiert
Auch im Tunnel hatte der Chauffeur Seyfi Aslan Mühe, sein Fahrzeug auf Kurs zu halten. Die Felgen hinterliessen Abdrücke auf den Randsteinen. Das Schild, das die 1-Kilometer-Marke anzeigt, wurde zerstört. Jörg Arnold und sein Team vom wissenschaftlich-technischen Dienst der Zürcher Stadtpolizei fanden später den abgerissenen Rückspiegel von Aslans LKW.
Nachdem der Fahrer die Tunnelwand touchiert hatte, geriet er auf die Gegenfahrbahn. Dort war der Italiener Bruno Saba mit seinem Camion unterwegs. Saba bremste und wich seinerseits auf die Gegenfahrbahn aus. Dadurch verhinderte er eine Frontalkollision. Die beiden Camions prallten seitlich aufeinander. Aslan war zum Zeitpunkt des Crashs mit 40 Stundenkilometer unterwegs, Saba mit 10.
Kurzschluss als Brandursache
Beim Aufprall barst ein Tank. Diesel floss auf die Fahrbahn. Ein wenig später kam es bei einem elektrischen Kabel zu einem Kurzschluss. Das Diesel-Luft-Gemisch entzündete sich und innert wenigen Minuten standen die beiden Camions in Flammen. Diese zerstörten schliesslich insgesamt sieben Fahrzeuge.
Der italienische Chemiker Franco Carradori verbrannte testweise 18 Liter Diesel und einen Pneu. «Nach 100 Sekunden betrug die Hitze 300 Grad Celsius, nach 10 Minuten bereits 920 Grad», sagte er. Man könne davon ausgehen, dass im Gotthardtunnel Temperaturen von weit über 1200 Grad herrschten. Aslan transportierte Hunderte von Pneus.
Rauchvergiftung als häufigste Todesursache
Saba konnte sich bekanntlich retten. Aslans Leiche wurde 300 Meter von seinem Fahrzeug entfernt gefunden. Er starb genau so an einer Rauchvergiftung wie neun andere Opfer (eine weitere Person verbrannte). Innert wenigen Augenblicken war der Rauch derart dicht, dass man die eigene Hand nicht mehr sehen konnte.
Angefacht wurde das Feuer von der Ventilation, welche den Rauch Richtung Norden trieb. «Die Ventilationstechnik war 30 Jahre alt und genügte den Anforderungen im Tunnel nicht mehr. Sie hat das Problem sicherlich vergrössert», sagte Jacques-André Hertig, Professor an der ETH Lausanne.
Haftungsfrage nach wie vor ungeklärt
Die Hitze im Tunnel war derart gross, dass viele Trümmerteile zur Spurensicherung nicht mehr verwendet werden konnten. Trotzdem kamen die Experten zum Schluss, dass bei den beiden in den Unfall verwickelten Fahrzeugen keine technischen Defekte vorlagen.
Die Haftungsfrage wurde an der Medienkonferenz nicht erörtert. Staatsanwalt Antonio Perugini wollte nicht verraten, ob er gegen jemanden Strafanzeige erstatten werde. Wer für den Schaden von insgesamt 18 Mio. Franken aufkommen muss, ist ebenfalls noch nicht geklärt.
Folgen des Unfalls – für Transit-Verkehr und Politik
Nach dem Grossbrand blieb der Gotthard-Strassentunnel während rund zweier Monate geschlossen – die Sanierungs-Arbeiten liefen auf Hochtouren.
Während die Lastwagen-Lobby von einem «Weihnachts-Geschenk» sprach, dass der Tunnel auch für den Schwerverkehr so bald wieder befahrbar war, hatten die Verantwortlichen in den Kantonen Uri und Tessin (Nord- und Südportal) wenig Freude an der Wieder-Eröffnung.
Bald schon waren jedoch die Grundsatz-Bedenken Schnee von gestern. Denn der Tunnel darf seit Dezember nur nach einem strikten Verkehrs-Regime befahren werden: Für Lastwagen herrscht Einbahn-Verkehr.
An einem Treffen mit den Verkehrsministern der betoffenen Länder erhielt die Schweiz Unterstützung für ihr Dosierungs-System, das – so der Schweizer Verkehrsminister – aus Sicherheitsgründen notwendig ist.
Trotzdem gab es immer wieder Proteste, besonders von italienischen Lastwagen-Unternehmern und ihren Verbänden. Sie litten unter den langen Wartezeiten und betonten ihre wirtschaftlichen Einbussen.
Problem der Ausstell-Plätze
Alle Beteiligten sind sich einig, dass das Dosierungs-System und auch die zeitweilige Sperrung der Route bei Überlastung im Alltag regelmässig zu Problemen führt. Da es wenig Ausstell-Plätze für die wartenden Lastwagen gibt, leiden auch weiter entfernte Regionen.
Das Dosierungs-System sei auf Dauer «unzumutbar» betonte am Mittwoch die Regierung des Kantons Uri einmal mehr. Entschieden ist allerdings noch nichts.
Immerhin: Im Mai könnte sich die Lage etwas beruhigen. Denn nach der Wintersperre ist vorgesehen, den Gotthardpass ab dem 8. Mai wieder zu eröffnen.
swissinfo und Agenturen
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