Bill Gates› Milliardenspenden haben auch ihre Kehrseiten
Ende Mai erfolgt die Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation. Forderungen nach Reformen werden laut, im Fokus steht die Finanzierung der Organisation. Kritiker monieren, dass private Sponsoren, allen voran die Bill & Melinda Gates Stiftung, die WHO-Agenda zu stark prägten.
Noch immer wird die WHO grösstenteils mit öffentlichen Geldern finanziert – durch ihre Mitgliedsstaaten. Doch private Spenden spielen bei der Weltgesundheitsorganisation eine wichtige Rolle. Die mit Abstand grösste private Geldgeberin ist die Stiftung von Melinda und Bill Gates.
Das Paar hat jüngst seine Scheidung angekündigt – nach 27 Jahren Ehe. Sie wollen aber die Arbeit der einflussreichen Gates-Stiftung gemeinsam fortsetzen.
Die Beiträge der Stiftung machen rund zehn Prozent des WHO-Budgets aus. Nur die US-Regierung zahlt mehr. Wenn diese aus der WHO ausgetreten wäre, so wie das Ex-US-Präsident Trump wiederholt angedroht hatte, wäre die Gates-Stiftung inzwischen die grösste WHO-Sponsorin.
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«Ohne die Mittel der Gates-Stiftung wären viele Gesundheitsziele der WHO, etwa die Ausrottung der Kinderlähmung, gefährdet», sagt Lawrence Gostin, Direktor des O’Neill Institute for National and Global Health Law an der amerikanischen Universität Georgetown.
Obwohl Gostin, der auch als Direktor des Collaborating Centre on National and Global Health Law der WHO amtet, die «Grosszügigkeit und den Einfallsreichtum» von Philanthropen wie Gates lobt, äussert er Bedenken hinsichtlich der übermässigen Abhängigkeit von privaten Spenden.
«Der grösste Teil der Gates-Gelder ist an spezifische Ziele gebunden. Das bedeutet, dass die WHO nicht selbst Prioritäten setzen kann, sondern einem weitgehend privaten Akteur verpflichtet ist. Und die Gates-Stiftung hat natürlich keine demokratische Rechenschaftspflicht.»
Zu viel Einfluss?
Chris Elias, Präsident des Global Development Program der Bill & Melinda Gates Foundation, räumt ein, dass es im Laufe der Jahre «oft Bedenken und Kritik in Bezug auf unseren Einfluss bei der WHO» gegeben habe. «Aber man muss erkennen, dass die WHO ein globales Programm hat, das von ihren Mitgliedsstaaten beschlossen wird», erläuterte er jüngst an in einem Webinar des Genfer Graduate Institute.
«Wir haben auch Programme, die von unserem Vorstand entwickelt und geprüft werden. Wir unterstützen also die Bereiche der WHO, die mit unseren Strategien übereinstimmen.» Dies bedeute aber auch, ergänzt Elias, dass «einige Bereiche besser finanziert werden als andere, weil wir nicht eine Strategie für alles haben.» Dies sei eine Schwachstelle, mit der sich die WHO auseinandersetzen müsse.
“Bill Chill»-Effekt
Laut Linsey McGoey, Soziologie-Professorin an der englischen Universität Essex, hat die Gates-Stiftung ein ideologisches Interesse, schnelle und gut messbare Ergebnisse zu erzielen. «So kann Bill Gates sein Ansehen vergrössern und zugleich zeigen, dass die Milliardärs-Philanthropie wirkt», sagt McGoey, die ein Buch über die Gates-Stiftung geschrieben hat («No Such Thing as a Free Gift: The Gates Foundation and the Price of Philanthropy»).
Dies habe zur Folge, dass komplexere und wenig messbare Bereiche, etwa die Verbesserung der Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern, unterfinanziert seien.
Viele Beamte im Gesundheitswesen seien denn auch mit Gates› Prioritäten nicht einverstanden, ergänzt sie. «Aber aus Angst, Beiträge zu verlieren, halten sie sich mit Kritik zurück.» Diese Selbstzensur wird oft als «Bill-Chill»-Effekt bezeichnet, also das «Erstarren» im Angesicht der Macht des Philanthropen und Ex-Microsoft-Chefs.
Gegen Patentverzicht
Die Vorreiterrolle der Gates-Stiftung bei der Förderung weltweiter Gesundheits-Initiativen ist aber weithin anerkannt. Die Stiftung ist ein auch wichtige Akteurin bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie.
Zum Beispiel war sie massgeblich an der Gründung der Impfstoff-Initiative COVAX beteiligt, die sicherstellen soll, dass kein Land im Rennen Vakzine aussen vor bleibt. Gates finanziert auch die Impfallianz Gavi und die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI).
Nach Angaben der New York Times wollte die WHO mehr Einfluss bei COVAX nehmen, wurde aber von der Gates-Stiftung ausgebremst. «Wenn das stimmt, wäre das sehr entmutigend», sagt Gesundheitsrechtsexperte Lawrence Gostin. «Hier sollte schon die WHO den Lead haben.»
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Insgesamt sei es aber wichtig zu erkennen, «dass Stiftungen wie jene von Gates nicht nur Geld zur Verfügung stellen, sondern auch Kreativität und Innovation.»
Die Soziologin McGoey ist da eher kritisch und verweist auf den aktuellen Widerstand von Gates gegen einen Patentverzicht. Derzeit liegt der Welthandelsorganisation (WTO) ein von Südafrika und Indien eingebrachter Vorschlag vor: Dieser verlangt von Pharmafirmen, auf Patente für Covid-19-Impfstoffe zu verzichten, um so die globale Verteilung zu beschleunigen. Ein etwas abgeschwächter Vorschlag, der in dieselbe Richtung zielt, liegt der WHO vor.
Aber die Pharma-Unternehmen sowie mehrere Staaten, darunter auch die Schweiz, wehren sich dagegen. «Sicherlich hat sich WHO-Chef Tedros für einen Patentverzicht ausgesprochen», sagt McGoey.
«Aber er hat es nicht geschafft, Bill Gates zu überzeugen. Auf wen hört Mr. Gates also? Jedenfalls nicht auf die Chefs der WHO oder der WTO. Umgekehrt sollte sich die globale Gemeinschaft nicht auf die Autorität von Gates verlassen. Er verteidigt das Patentsystem, weil sein Vermögen darauf baut.»
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McGoey glaubt aber, dass Gates nicht primär finanzielle Motive verfolgt, sondern ideologische: «Er glaubt, dass alles der freien Marktwirtschaft überlassen werden sollte. Er ist völlig dem Glauben verfallen, dass Privatakteure viel besser Massnahmen durchsetzen können als staatliche», sagt sie.
«Das mag zum Teil auch zutreffen, aber die negativen Auswirkungen sind gross. Etwa, wenn es um die Preisgestaltung oder die Bezahlbarkeit von Medikamenten geht. Die Gesundheit der Menschen wird der wirtschaftlichen Rendite untergeordnet.»
Bill Gates erkenne nicht, dass es einen Konflikt zwischen privatem Profitstreben und öffentlicher Gesundheit gibt, ergänzt McGoey. Dieser Konflikt trete auch während der Covid-19-Pandemie stark zutage: Pharmafirmen, welche die Exklusivrechte für die Herstellung der Medikamente haben, weigern sich, auf Patent zu verzichten.
«Wenn es keinen Konflikt zwischen privater Geschäftemacherei und globaler Gesundheit gäbe, würden sie die Verzichtserklärungen einfach lockern oder die Verzichtserklärungen erlauben. Und das tun sie nicht.»
Am Tropf der Privaten
Doch warum ist die WHO überhaupt so abhängig von der Geldern der Gates-Stiftung? «Sie hat keine andere Wahl», sagt Lawrence Gostin. Denn die Pflichtbeiträge der Mitgliedsstaaten seien seit Jahren kaum gestiegen und stünden in keinem Verhältnis zum globalen Mandat der WHO.
«Das grösste Problem der WHO ist das Fehlen einer ausreichenden nachhaltigen Finanzierung», so Gostin. «Dies macht sie übermässig abhängig von Gates und anderen Sponsoren und schränkt ihre Möglichkeiten stark ein.»
Die WHO erklärte unlängst, das Problem erkannt zu haben. Inzwischen wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die dem Exekutivrat bis 2022 Empfehlungen vorlegen soll.
Auch Chris Elias von der Gates-Stiftung kennt das Problem. «Die Tatsache, dass die WHO rund 23 Prozent ihrer Unterstützung von den Mitgliedsstaaten erhält und daher drei Viertel ihrer Finanzen aus freiwilligen Beiträgen erhalten muss, ist eine grosse Schwachstelle», sagte Elias während des Webinars des Genfer Graduate Institute.
«Ich nehme oft an der WHO-Versammlung teil, und jedes Jahr erhält die WHO mehr Aufgaben, hat aber zu wenig Budget. Dieses ist während der letzten 20 Jahren kaum aufgestockt worden. So sollte es nicht sein. Im Idealfall würden allein die Mitgliedsstaaten die WHO ausreichend finanzieren.»
Trendwende in Genf?
Am 24. Mai beginnt die nächste Weltgesundheitsversammlung der WHO. Lawrence Gostin hofft, dass dieses Mal die Erhöhung der staatlichen, ungebundenen Pflichtbeiträge an die WHO grösser ausfallen werden. Gleichzeitig soll der internationale Druck auf private Stiftungen steigen, so dass diese vermehrt ungebundene Beiträge an die WHO zahlten.
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Auch Chris Elias nimmt die WHO in die Pflicht: «Sie muss einen Weg finden, ihre Finanzierung sicherer und nachhaltiger zu gestalten. Diese Pandemie zeigt, wie verwundbar sie ist.»
Linsey McGoey findet ebenfalls, dass die Mitgliedsstaaten ihr Engagement vergrössern müssen: «Es ist eine einfache Rechnung: Die Bewältigung der Covid-Pandemie kostet sehr viel Geld, das man hätte einsparen können, wenn präventiv finanziert worden wäre. Und es wird nicht die letzte Pandemie sein. Es ist also im Interesse der Nationen, ihre Zuschüsse zu erhöhen, damit dieser vielleicht nicht perfekte, aber sicherlich unverzichtbare Akteur seine Arbeit machen kann.»
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