Krokodil, Hai, Python: Wie lange müssen sie noch für Uhrenarmbänder sterben?
Uhrenarmbänder aus Alligatorleder sind noch immer ein wichtiger Bestandteil von Schweizer Luxusuhren. Aber ein Verbot im US-Bundesstaat Kalifornien zwingt die Branche zum Umdenken.
Im September 2019 gabs für Tierschutzorganisationen Grund zur Freude: Kalifornien beschloss, dass Alligator- und Krokodilleder ab 2020 im US-Bundesstaat nicht mehr verkauft werden darf.
Es waren schlechte Nachrichten für alle Alligatorjäger und -farmer im Süden der USA sowie für Luxushändler in Beverly Hills, welche Schuhe, Gürtel und Handtaschen aus solchen Tierhäuten verkauften. Besorgnis herrschte auch bei Luxus-Boutiquen in Kalifornien, die hochwertige Schweizer Uhren mit Armbändern aus Alligatorleder im Angebot hatten.
«Einige Marken schickten Ersatzarmbänder, andere kümmerten sich überhaupt nicht darum», sagt Jamie Hays vom Uhrenhandelsunternehmen Feldmar Watch Company, das Geschäfte in Los Angeles und Beverly Hills betreibt.
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Die Situation wurde noch komplizierter, als in letzter Minute zwei Klagen gegen das Verbot eingingen: eine von der Jagd- und Fischereibehörde Louisianas (Department of Wildlife and Fisheries) und eine von Alligatorzüchtern und Luxushändlern. Infolgedessen wurde das Verbot vorübergehend auf Eis gelegt. Die endgültige Entscheidung steht nun in der Schwebe, weil die Covid-19-Pandemie die Gerichtsverhandlungen, welche für 2020 geplant waren, beeinträchtigen könnte.
«Wir sind enttäuscht, denn wir alle waren auf das Schlimmste vorbereitet, und nun können wir nichts tun», sagt Hays.
Die Chance, dass die Befürworter des Verbots vor den kalifornischen Gerichten gewinnen werden, stehen aber gut. Natürlich könnten Uhrensammler jederzeit in einen Nachbarstaat fahren, um eine Schweizer Uhr mit einem Alligatorarmband zu kaufen. Aber die Politik Kaliforniens beeinflusst oft den Rest der USA und sogar den Rest der Welt. Das war etwa bei Legalisierung von Marihuana oder der Einführung eines Mindestlohns der Fall. Zumindest hat das kalifornische Verbot Uhrenmarken auf das finanzielle Risiko aufmerksam gemacht, die Strategie des «business as usual» fortzusetzen.
Nachhaltig ja, aber auch ethisch?
«Luxusmarken werfen massenhaft Materialien tierischen Ursprungs weg, einschliesslich exotischer Häute, weil die Nachfrage nach nachhaltigen und ethisch-produzierten Produkten weltweit steigt», sagt Sophia Charchuk von der Tierschutzorganisation People for the Ethical Treatment of Animals (PETA), die sich stark für die für das Verbot in Kalifornien einsetzte. «Jüngere Menschen schauen stark auf tiergerechte Produkte. Jedes Unternehmen sollte deshalb auch aus Eigeninteresse exotische Lederprodukte verbieten.»
Viele High-End-Marken haben in den letzten Jahren bereits Nein zu Reptilienhäuten gesagt. Zum Beispiel kündigte die Londoner Edel-Kaufhauskette Selfridges an, ab Februar 2020 keine Produkte mehr auf Lager zu haben, die aus Alligator-, Krokodil- oder Pythonhäuten bestehen. Uhrarmbänder scheinen ihnen jedoch entgangen zu sein: Am 1. Juli verkaufte der Online-Shop von Selfridges noch immer 13 Schweizer Luxusuhren mit Alligatorarmbändern: 6 Vacheron Constantin-Modelle, 3 Zenith, 2 Longines, 1 Girard-Perregaux und 1 Carl F. Bucherer.
Wenn Schweizer Uhrenmarken von Tierrechtsgruppen konfrontiert werden, behaupten sie oft, dass sie nur nachhaltige Quellen anzapfen, welche das Überleben einer Art nicht gefährden. Im Jahr 2010 stellte die Swatch Group, die Luxusmarken wie Omega, Breguet und Longines besitzt, die Verarbeitung von Lederarmbändern von Krokodilen, Schlangen, Rochen und Haien ein. Doch sie verwendet noch immer Alligatorleder – es macht rund 10 Prozent aller Lederarmbänder aus.
«Unser exotisches Leder beschränkt sich auf solches vom Mississippi-Alligator», erklärt ein Sprecher der Swatch Group. «Und dieses stammt aus sehr wenigen, klar identifizierten, kontrollierten und nachhaltigen landwirtschaftlichen Betrieben in den südöstlichen US-Bundesstaaten.»
Doch wie steht’s bei diesen Farmen wirklich um den Tierschutz? Sophia Charchuk von PETA denkt, dass das Tierwohl dort wenig Priorität hat. «Die Alligatoren werden in überfüllten, dunklen Ställen gehalten und in stinkendem Wasser aufgezogen, bevor man ihnen in die Wirbelsäule sticht und sie enthäutet», sagt sie.
Schweizer Richtlinien
2010 fand ein grosses Umdenken hinsichtlich exotischer Lederhäute statt. Damals tauchten schockierende Bilder aus Indonesien auf, die zeigten, wie Pythons und Eidechsen bei lebendigem Leib gehäutet wurden. 2019 verabschiedete die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) unter der Leitung der Schweiz erstmals Richtlinien für die tiergerechte Tötung von Reptilien in der Lederindustrie.
Es war das Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, das die Ausarbeitung des Kapitels «Tötung von Reptilien wegen ihrer Häute, ihres Fleisches und anderer Produkte» im Gesundheitskodex für Landtiere des OIE initiierte und leitete. Dieses wurde dann formell auch verabschiedet. In den Empfehlungen werden bestimmte Tötungsmethoden wie etwa Einfrieren, Abkochen, Ersticken, Ertränken oder Lebendhäuten als inakzeptabel bezeichnet.
PETA will, dass das Töten endgültig aufhört und die Hersteller auf alternative Materialien umsteigen.
«Nachhaltige, umweltfreundliche vegane Materialien wie Polymere auf pflanzlicher Basis oder Ananas- und Maulbeerblätter revolutionieren den Modemarkt und beweisen dass wir nicht auf Stil verzichten müssen, um tier- und umweltfreundlich zu sein», sagt Charchuk.
Das Problem in der Uhrenindustrie ist nicht so sehr der Mangel an Alternativen, sondern eine Frage des Images. Das exotische Lederarmband ist im Bewusstsein vieler Kunden ein zentrales Element einer hochwertigen Schweizer Uhr.
So teilte die Swatch Group gegenüber swissinfo.ch mit, dass noch immer eine «starke Nachfrage» nach Armbändern aus Alligatorleder bestehe. Einige Schweizer Uhrenmarken haben sich für einen Kompromiss entschieden und bieten inzwischen Uhren mit Armbändern an, die wie Alligatorleder aussehen, aber in Wahrheit aus Rinds- und Kalbsleder hergestellt wurden.
Jedenfalls zeigt das bevorstehende Verbot in Kalifornien, dass das Thema nicht mehr ignoriert werden kann. Die Schweizer Uhrenindustrie kann sich keinen weiteren Dämpfer leisten, da der Wert der Uhrenexporte in der ersten Hälfte dieses Jahres um über einen Drittel gesunken ist, was hauptsächlich auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen ist.
Nach Veröffentlichung dieses Artikels wandte sich die Kaufhauskette Selfridges an swissinfo.ch. Ein Sprecher erklärte, dass bei in den besagten Online-Produktbeschreibungen ein Fehler geschehen sei. Dieser werde behoben, um Kunden klarzumachen, dass die Uhrenarmbänder nicht aus exotischem Leder hergestellt worden seien. swissinfo.ch konnte diese Angaben jedoch nicht bestätigen.
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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