Hitziger Streit um gendergerechte Sprache
Immer mehr öffentliche und private Medien kommunizieren in einer geschlechtsneutralen Sprache. Kritikerinnen und Kritiker behaupten, dass die genderneutrale Sprachform von den wahren Problemen ablenkt. Die Frage drängt sich auf: Lässt sich Sprache gesetzlich regeln?
Im Februar veröffentlichte der französischsprachige öffentlich-rechtliche Sender in der Schweiz (RTS) neue journalistische Richtlinien zur Verwendung von geschlechtsneutraler Sprache.
Die einleitende Begrüssung bei Fernseh- oder Radiosendungen mit «Bonne soirée à tous» («Guten Abend an alle», wobei «alle» in diesem Fall ein maskuliner Plural ist, der beide Geschlechter umfasst) gehört nun der Vergangenheit an. Die neue Version lautet: «Bonne soirée à toutes et à tous» («Guten Abend an alle Frauen und alle Männer»).
Die Ankündigung löste in Online-Foren hitzige Debatten und auch Kritik aus. Aufgestossen ist dabei auch die Form, in welcher RTS die Sprachvorschriften präsentierte (in einem eher heiteren Video) sowie die «anti-ästhetische Natur» der neuen Sprachformen des inklusiven Schreibens. Schliesslich ging es in den Diskussionen auch noch um die Rolle der öffentlichen Medien in einer Demokratie in Bezug auf den Sprachgebrauch.
Die Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» nannte die Entscheidung von RTS einen «militanten Akt», der den Zuschauerinnen und Zuschauern sowie den Zuhörerinnen und Zuhörern eine bestimmte Sicht der Welt aufzwingen würde.
Als der deutschsprachige Sender SRF ebenfalls beschloss, seinen Sprachgebrauch anzupassen, weitete sich die Debatte auf den Rest des Landes aus. Die Tageszeitung «Tages-Anzeiger» publizierte eine Artikelserie über geschlechtsneutrale Sprache, darunter auch über eine nicht repräsentative Umfrage mit hoher Beteiligung.
In dieser Umfrage kamen die neuen Formen der Inklusion im geschriebenen Deutsch ausgesprochen schlecht an. Über die Medien hinaus wurde die Gendersprache zum Thema im Zürcher Stadtparlament (wo die Einführung der Gendersprache abgelehnt wurde) sowie im nationalen Parlament (siehe weiter unten).
In der deutschen Sprache gibt es mittlerweile diverse Formen von gendergerechten Sprech- und Schreibweisen. Ein Beispiel: Für den Plural von «Arzt» lässt sich statt des traditionellen «Ärzte» inzwischen «Ärzt*innen», «ÄrztInnen» oder «Ärzt:innen» schreiben, jeweils Formen, die beide Geschlechter einschliessen.
Das Gendersternchen dient zur Inklusion nicht binärer Personen (weder männlich noch weiblich). Im Französischen wird beispielsweise statt «étudiants» (Studenten) die inklusive Form «étudiant-e-s» für Studenten und Studentinnen vorgeschlagen.
Mehr
Volksinitiative in Sicht
Die Befürworterinnen und Befürworter dieser neuen Formen argumentieren wie folgt: Die Sprache bestimmt, wie wir die Realität sehen, definieren und einordnen. Indem wir Gleichbehandlung in der Sprache verwirklichen, gibt es auch mehr Gleichbehandlung in der realen Gesellschaft. Aber wer sollte überhaupt vorschreiben, welche Sprache zu verwenden ist?
Sollte das von oben entschieden werden? Kann Sprache «aufgezwungen» werden, oder sollte sie sich nicht vielmehr von unten aus dem tatsächlichen Sprachgebrauch in der Gesellschaft entwickeln? Kann man «korrekte Sprache» gesetzlich vorschreiben? Kann man in einer direkten Demokratie sogar über korrekte Sprache abstimmen?
Nach der RTS-Ankündigung veröffentlichte die Schweizer Sektion des Vereins zur «Verteidigung der französischen SpracheExterner Link» (DLF) einen offenen Brief an die RTS-Direktion, in dem sie gegen den Entscheid zur Verwendung der Gender-Sprache protestierte. Zugleich wurde angekündigt, eine Volksinitiative für ein «Verbot der Verwendung der inklusiven Schrift in der Schweiz» zu lancieren.
Der Schritt läuft laut DLF auf eine Verwendung der Sprache «als Waffe» hinaus und sei eine «fatale Falle für die französische Sprache». Die Gruppe verwies auf die Académie Française, die sprachliche Aufsichtsbehörde in Frankreich, die sich für geschlechtsneutrale Schreibweisen nicht begeistern kann.
Der Präsident des Schweizer DLF-Sektion, Aurèle Challet, erklärt gegenüber SWI swissinfo.ch, dass die Volksinitiative im Oktober in Genf lanciert werden soll. «Direkte Demokratie bedeutet, die Menschen direkt in die Entscheidungsprozesse einzubinden», sagt Challet. Die inklusive Sprache schliesse durch ihre Komplexität viele Menschen zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich aus.
Für ihn handelt es sich zudem «um eine falsche Debatte, weil sie grundlegende Probleme der Ungleichheit der Geschlechter nicht anpackt». Der Text der Initiative schlägt vor, die Verwendung von inklusiver Sprache in den amtlichen Texten von Bund und Kantonen zu verbieten.
Ein altbekanntes Thema
Aber ist es für eine solche Initiative nicht zu spät? Genderneutrale Sprache wird in der Schweiz auf nationaler Ebene schon seit mindestens zwei Jahrzehnten gefördert. Das zeigt auch ein offizieller LeitfadenExterner Link (auf Französisch) aus dem Jahr 2000. Das Sprachengesetz des Bundes aus dem Jahr 2007 schreibt vor, dass Bundesbehörden auf «geschlechtergerechte Formulierungen» achten müssen.
Verschiedene Kantone, darunter der Kanton Waadt, in dem Aurèle Challet wohnt, haben bereits entsprechende Richtlinien erlassen. Die Universitäten fördern schon seit Jahren eine gendergerechte Sprache. Die linke «Wochenzeitung» (WOZ) in Zürich verwendet seit den 1980er-Jahren geschlechtsneutrales Deutsch; Le Courrier, eine linke Zeitung in Genf, hat kürzlich eine ähnliche Umstellung vorgenommen.
Benjamin Roduit, Französischlehrer und Nationalrat der Mitte-Partei, ist gleichwohl skeptisch. In einer im März in Bern eingereichten MotionExterner Link schrieb er mit Verweis auf die Académie française: «Mit seinen vielfältigen orthografischen und syntaktischen Markierungen führt dieser (inklusive) Sprachgebrauch zu einer uneinheitlichen, im Ausdruck disparaten Sprache, die Verwirrung stiftet bis hin zur Unleserlichkeit.»
Roduit verlangt, dass die Regierung die Verwendung solcher Formen in offiziellen Texten vermeidet. «Man kann nicht einfach eine Sprache erfinden», sagt Roduit gegenüber SWI swissinfo.ch.
Er betont genau wie der DLF, «dass die Sprache auf einer Reihe von verbindlichen Grundregeln basiert, die die gesamte Bevölkerung versteht.» Die Struktur und Grammatik einer Sprache zum Zwecke der Gleichstellung zu verändern, ginge zu weit.
Anders als der DLF ist Roduit von einer allfälligen Volksabstimmung wenig angetan. «Als mehrsprachiges Land ist die Schweiz in dieser Hinsicht nicht so gut aufgestellt», sagt er. Es wäre seiner Meinung nach sehr schwierig, eine kohärente und einheitliche Regelung für vier verschiedene Landessprachen zu finden.
Neun Parlamentarier haben die genannte Motion mitunterzeichnet; alle stammen aus französischsprachigen Kantonen. Doch bislang hat dieser Vorstoss im Parlament wenig Erfolg verzeichnet.
Die Regierung lehnte die Motion unter Verweis auf das erwähnte Sprachengesetz ab und erinnerte die Abgeordneten daran, dass die sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter vorgeschrieben ist.
«Vorbildfunktion»
Valérie Vuille ist Direktorin von Décadrée, einem Forschungsinstitut, das sich für Gleichberechtigung in den Medien einsetzt. Ihrer Meinung nach käme es einem «Gewaltakt» gleich, sprachliche Gepflogenheiten durch eine Volksabstimmung zu verbieten.
«Sprache ist etwas sehr Persönliches und Organisches – nicht etwas, das man zu stark gesetzlich regeln sollte», argumentiert sie. Das Institut Décadrée berät und unterstützt Verbände und Medien – darunter auch Le Courrier -, die in ihren Schreibweisen geschlechtsneutraler werden wollen.
Décadrée arbeitet ebenfalls mit RTS zusammen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Kann ein Sender wie RTS einfach seine Sprachpraxis ändern, ohne die Öffentlichkeit zu konsultieren? Im Gegensatz zu einem Privatverlag, der eine Zeitung herausgibt, geht es hier um eine öffentlich-rechtliche Institution.
Valérie Vuille ist der Ansicht, dass die neuen Sprachregeln bei RTS keinen «Befehlscharakter» haben (wie ein Gesetz), sondern eher im Sinne von «guten Beispielen» zu sehen sind. Sie begrüsst in diesem Sinne diese «Vorbildfunktion», gerade weil RTS ein öffentlich-rechtliches Medium ist.
Medienministerin Simonetta Sommaruga hat das Vorgehen von RTS im Parlament verteidigt. Als öffentlich-rechtlicher Medienkanal sei RTS autonom. Somit sei RTS auch frei «zu entscheiden, welche Worte und Ausdrücke in den Sendungen verwendet werden.»
Emotionen kochen hoch
Warum aber erhitzt diese ganze Debatte die Gemüter so sehr? Noah Bubenhofer, Professor für Linguistik an der Universität Zürich, meint: «Wir alle benutzen Sprache, und deshalb haben wir alle eine Meinung zu diesem Thema.» Bubenhofer ist der Auffassung, dass Sprache sehr entscheidend für die Identität ist. Es handele sich deshalb um ein äusserst sensibles Thema.
«Viele sehen die Sprache als Container für die Welt», sagt er. Und für die meisten Menschen sei Sprache «ein sehr stabiles System». Störeffekte an diesem System führten zu Widerstand. «Die Menschen sind generell konservativ, wenn es um Sprache geht», so Bubenhofer.
Aber er weist zugleich darauf hin, dass sich Sprachen im Laufe der Zeit verändern, oft aus rein pragmatischen Gründen (das Aufkommen des Buchdrucks zum Beispiel führte zu mehr sprachlicher Einheit, da ein breiteres Publikum erreicht werden sollte – daraus folgte auch ein einfacherer und zugänglicherer Stil). Der Linguist sagt zudem: «Wenn sich eine Sprache nicht weiterentwickelt, stirbt sie.»
Und obwohl er eine Volksabstimmung in dieser Sache nicht für klug hält («Sprache ist ein zu lebendiger Prozess, als dass man sie per Gesetz festschreiben könnte»), ist Bubendorfer der Ansicht, dass es wichtig sei, Diskussionen über Sprache zu führen und die Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren.
Bubenhofer verweist in diesem Zusammenhang auf Studien, die aufzeigen, dass Geschlechterstereotypen durch Sprache widergespiegelt oder sogar verstärkt werden: So denken Menschen, wenn sie das Wort «Arzt» hören, in erster Linie an einen Mann. Studien zu anderen Sprachen kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Im Jahr 2015 führte Schweden zum Beispiel das Wort «Hen» als drittes, neutrales Pronomen ein, um jemanden mit unbekanntem oder nicht deklariertem Geschlecht zu bezeichnen (ähnlich wie die neutrale dritte Person «they» im Englischen). «Hen» war eine Erfolgsgeschichte: Die Verwendung dieses Wortes hat mit der Zeit zugenommen, die Abneigung gegen das Wort abgenommen.
«Ein Werkzeug unter anderen»
Auf der ganzen Welt ist es möglich Länder zu finden, in denen eine geringe Geschlechterparität nicht damit zusammenhängt, wie genderspezifisch die jeweilige Muttersprache ist.
Die Türkei und der Iran kennen «geschlechtslose Sprachen» (d.h. Substantive sind weder männlich noch weiblich), sind aber sicherlich keine Vorbilder für Frauenrechte, wie der Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums aufzeigt.
Valérie Vuille von Décadrée und andere Befürworterinnen von genderneutraler Sprache meinen, «dass die Sprache letztlich ein Werkzeug unter anderen ist». Sie sei kein Allheilmittel für eine gleichberechtigte Gesellschaft, aber ein «wesentlicher» Teil der Bemühungen. Die aktuellen Debatten in Bezug auf künftige Formen des Schreibens und Sprechens zeigen ihrer Meinung nach auf, dass die Dinge in Bewegung sind.
Die hitzige Diskussion in jüngster Zeit um gendergerechte Sprache ist laut Vuille kein Zeichen dafür, dass es hier um ein ganz neues Thema geht, sondern vielmehr ein positives Zeichen, dass sich die Debatte bereits ein wenig «demokratisiert» hat und von einer breiteren Öffentlichkeit geführt wird.
Gerhard Lob
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch