Kann die Schweiz Julian Assange helfen?
Die Stadt Genf fordert die Schweizer Regierung auf einzugreifen, um das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Wikilieaks-Gründer Julian Assange zu schützen. Die Hürden, die bei einem Antrag für Asyl oder für ein humanitäres Visum überwunden werden müssen, sind in der Schweiz jedoch hoch.
Assanges Schicksal beschäftigt die Genfer Politik. Das Stadtparlament hat Anfang Februar eine ResolutionExterner Link verabschiedet, in der die Schweizer Regierung aufgefordert wird, dem Gründer der Enthüllungsplattform WikileaksExterner Link zu helfen. Dieses Gesuch traf letzte Woche beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDAExterner Link) in Bern ein, als Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London verhaftet wurde, wo er sich seit 2012 als Flüchtling aufgehalten hatte.
Die Genfer Resolution, eingereicht von Eric Bertinat, Stadtrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), fordert den Bundesrat auf, «seine Politik des Schutzes von Menschenrechtsverteidigern umzusetzen, indem er seine guten Dienste anbietet und alle notwendigen Schritte unternimmt, um das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Herrn Julian Assange zu schützen».
Komplexe Verfahren
Die Schweizer Behörden haben jedoch wenig Handlungsspielraum, um in solchen Fällen einzugreifen. Die Regierung könnte möglicherweise ihre «guten DiensteExterner Link» anbieten und als Mediator fungieren, wenn die Konfliktparteien ihre Hilfe annehmen. Die Schweiz könnte Assange auf ihrem Territorium aufnehmen, aber die Bedingungen sind streng geregelt.
Seit 2012 können bei den diplomatischen Vertretungen der Schweiz im Ausland keine AsylgesucheExterner Link mehr gestellt werden. Der Gründer von Wikileaks müsste dafür in die Schweiz reisen und seinen Antrag an einer Grenzkontrollstelle, einem Flughafen oder direkt in einem Bundesasylzentrum stellen. Das Verfahren kann danach zwischen 140 Tagen und etwa einem Jahr dauern.
Wenn jedoch das Leben oder die körperliche Unversehrtheit von Assange direkt, ernsthaft und konkret gefährdet ist, kann er bei einer Schweizer Vertretung im Ausland ein humanitäres VisumExterner Link beantragen. Solche Aufenthaltsbewilligungen werden in der Regel bei besonders akuten bewaffneten Konflikten oder realen und unmittelbaren persönlichen Bedrohungen im Herkunfts- oder Aufenthaltsland erteilt. Befindet sich die betroffene Person aber bereits in einem Drittland, wird sie von der Schweiz in der Regel nicht mehr als bedroht betrachtet.
Im Jahr 2016 fragte SVP-Nationalrat (Grosse Parlamentskammer) Jean-Luc AddorExterner Link die Regierung, ob Assange als Menschenrechtsverteidiger mit besonderem Schutz betrachtet werden könne. «Nein», hatte der Bundesrat klar geantwortet: «Julian Assange gilt als Informatikexperte, Investigationsjournalist und politischer Aktivist., (….) er hatte nicht die Absicht, durch die von ihm aufgedeckten Verstösse die Menschenrechte zu fördern und zu schützen.» Die Schweizer Regierung ist der Ansicht, dass der Gründer von Wikileaks die Kriterien der Schweizer RichtlinienExterner Link zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern nicht erfüllt.
In Haft
«Derzeit muss die englische Justiz über sein Schicksal entscheiden.»
Alain Bovard, Amnesty
Um jedoch in der Schweiz ein Visum, Asyl oder irgendeinen Schutz zu beantragen, müsste Assange persönlich vor den Schweizer Behörden erscheinen. Ein Behördengang, der angesichts seiner Gefangenschaft in der ecuadorianischen Botschaft als schwierig genug und nun nach der Verhaftung durch die britische Polizei als unmöglich erscheint.
«Theoretisch könnte die Schweiz ihre Bereitschaft erklären, Herrn Assange aufzunehmen, aber derzeit ist es die englische Justiz, die über sein Schicksal entscheidet und entscheiden muss, ob sie ihn ausliefert oder nicht», sagt Alain Bovard von der Schweizer Sektion von Amnesty InternationalExterner Link. Die USA fordern das Vereinigte Königreich auf, Assange auszuliefern, damit sie ihn wegen Hacking verfolgen können. Eine Anfrage könnte auch aus Schweden kommen, wo der Gründer von Wikileaks wegen Vorwürfen von Vergewaltigung und sexueller Gewalt angeklagt wurde. Die Anklage wurde zwar fallen gelassen, aber nach der Verhaftung Assanges kündigte die Anwältin einer Beschwerdeführerin ihre Absicht an, eine Wiederaufnahme der Untersuchung zu beantragen.
«Wir befürchten, dass er dort unter extrem harten Bedingungen inhaftiert und einer Misshandlung ausgesetzt sein wird.»
Alain Bovard, Amnesty
Viele internationale Organisationen, darunter die Vereinten Nationen und Reporter ohne Grenzen, fordern die britische Regierung auf, dem Ersuchen der USA nicht nachzukommen. «Amnesty International betrachtet Assange als Whistleblower und fordert, dass er nicht in die USA ausgeliefert wird», sagt Bovard. «Wir befürchten, dass er dort unter extrem harten Bedingungen inhaftiert und einer Misshandlung ausgesetzt sein wird. Ausserdem kann ein Todesurteil nach einem unfairen Prozess nicht ausgeschlossen werden.» Die britischen Gerichte werden voraussichtlich am 2. Mai über den Antrag der USA entscheiden.
Nicht bekannt ist, wann die Schweizer Regierung zu diesem Thema Stellung nehmen wird. Auf Anfrage der «SonntagszeitungExterner Link» antwortete das EDA, dass es die Genfer Resolution zur Kenntnis genommen habe und nach Prüfung des Falles darauf antworten werde. «Die Schweiz hat bereits mehrere bedrohte Menschenrechtsverteidiger in ihrem Land aufgenommen», sagt Bovard, «aber ich persönlich habe den Eindruck, dass sie dazu neigt, nicht Stellung zu nehmen, sobald die Angelegenheit veröffentlicht und für Schlagzeilen in den Medien sorgen wird.»
Die Frage stellte sich auch für Snowden
Im Jahr 2013 hatten Schweizer Politiker die Regierung gebeten, einen anderen Whistleblower, Edward Snowden, aufzunehmen und zu schützen. Der ehemalige US-Geheimdienstberater war auf der Flucht, nachdem er vertrauliche NSA-Informationen über Massen-Überwachungsprogramme an Journalisten weitergegeben hatte. Edward Snowden wurde schliesslich Asyl in Russland gewährt, wo er sich auch heute noch befindet.
Sarah Progin-Theuerkauf, Rechtsprofessorin an der Universität Freiburg, untersuchte 2014 den Schutzbedarf Snowdens. In ihrem Artikel, der in der Zeitschrift sui generisExterner Link veröffentlicht wurde, kam sie zum Schluss, dass Snowden die Kriterien für den Flüchtlingsstatus erfüllte und Asyl oder zumindest eine vorläufige Aufnahme in die Schweiz erhalten sollte.
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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