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In der Doku «Dom» suchen junge russische Regimegegner eine Heimat

Keystone-SDA

Der stille und dennoch heftige Dokumentarfilm "Dom" porträtiert eine Gruppe junger Menschen, die wegen der Repression in Russland das Land verlassen mussten. Er feiert an den 60. Solothurner Filmtagen Schweizer Premiere und ist für den "Prix de Soleure" nominiert.

(Keystone-SDA) In einem Haus in der georgischen Hauptstadt Tiflis sitzt eine Gruppe vor dem Fernseher. Sie wissen nicht so recht, ob sie lachen oder weinen sollen – obwohl sie das Regime Russlands, wo sie herkommen, kennen, ist es für sie dennoch absurd, wie der Angriffskrieg gegen die Ukraine im russischen Fernsehen begründet wird.

In dem Haus haben sie Unterschlupf gefunden: Aktivistinnen, Journalisten, Blogger, Nawalny-Anhänger. Junge Leute, die sich wegen der Repression in Russland gezwungen sahen, wegzugehen. Nun sitzen sie in diesem kahl eingerichteten Haus, teilen sich Zimmer und diskutieren über den Krieg und die Gefahren, die sie ihrer kritischen Haltung wegen befürchten. So können die einige von ihnen nicht einmal richtig arbeiten. Dennoch sitzen sie die meiste Zeit vor ihren Laptops und schreiben. Oder sie telefonieren mit Bekannten, um deren Sicherheit sie sich sorgen.

Zurückhaltende Herangehensweise

Der Film «Dom» von Svetlana Rodina und Laurent Stoop begleitet die Protagonisten in dieser improvisierten Unterkunft, mal gemeinsam als Gruppe, mal einzeln. Rodina und Stoop tun dies auf eine zurückhaltende Art, und so geben sie den Raum ganz ihren Figuren. «Ich kann mir nicht einmal eine Katze kaufen. Was geschieht mit ihr, wenn ich ins Gefängnis muss?», fragt ein Protagonist seinen Zimmergenossen.

Rodina und Stoop schrieben gemeinsam das Buch und führten Regie. Erfolg brachte ihnen bereits der mehrfach ausgezeichnete Film «Ostrov. Die verlorene Insel» (2021) ein. Die Drehbuchautorin und Regisseurin ist ehemalige Chefredakteurin der Dokumentarfilmabteilung einer der grössten Produktionsfirmen Russlands. Der in Lausanne geborene Stoop verantwortet für «Dom» auch die Kamera.

«Ihr seid nicht willkommen»

Diese Kamera hat viele kalte Bilder eingefangen, die indes nicht kaltlassen. So kann auch beim gemeinsamen, eigentlich fröhlichen Geburtstagsfest für einen Mitbewohner die bedrückte Stimmung nicht geleugnet werden. Dann ist die Kamera auch mal schlicht auf die vielen Schuhe im Eingang gerichtet. Oder das Bild zeigt ein Graffiti auf der Strasse: «Russians, you are not welcome in Georgia!» – zu Deutsch: «Russen, ihr seid in Georgien nicht willkommen!»

Und so stellt der Film, der an den 60. Solothurner Filmtagen Schweizer Premiere feiert und der für den mit 60’000 Franken dotierten «Prix de Soleure» nominiert ist, hochpolitische Fragen. Diese beziehen sich nicht nur auf Georgien und Russland, sondern sie sind auf den ganzen Westen ausdehnbar. Etwa: Kann man nicht erst dann von Friedenspolitik sprechen, wenn auch Kriegsgegnerinnen und -gegner aus Russland aufgenommen werden?

Die Protagonisten, die «digitalen Dissidenten», wie sie die Filmemacher nennen, sind nicht nur im Netz aktiv. Im Exil nehmen sie an Protestaktionen gegen Putins Krieg teil. Dann kehren sie zurück in ihre Unterkunft, hoffen auf ein Ende des Kriegs und sehen sich mit der Frage konfrontiert, wo sie eigentlich noch zu Hause sind.

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