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Internationale Adoptionen: Schweiz wird kritisiert

Bei privaten Adoptionen fehlt oft die erforderliche Kontrolle. andia

Die Kontrolle über internationale Adoptionen ist in der Schweiz ungenügend. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Stiftung Terre des hommes.

In der Studie wurde verglichen, wie die sechs europäischen Länder Spanien, Frankreich, Italien, Norwegen, Deutschland und die Schweiz internationale Adoptionen abwickeln.

In Bezug auf private Adoptionen steht die Schweiz auf dem drittletzten Platz, vor Frankreich und Spanien. «Für Schweizer Paare ist es noch immer möglich, auf eigene Faust übers Internet oder eine Agentur im Ausland nach einem Kind zu suchen», sagt Marlène Hofstetter, Mitautorin der Studie von Terre des hommes (Tdh).

«Hat das Paar eine Pflegeplatzbewilligung vom Kanton und erhält das Kind ein Visum im Herkunftsland, steht der Adoption nichts mehr im Weg», so Hofstetter.

Dass dieser Weg – obwohl viele andere Länder immer mehr davon absehen – in der Schweiz noch immer möglich ist, kritisieren die Autoren der Studie «Adoption: Zu welchem Preis?». Die Kantonsbehörden, die in diesen Verfahren für die Kontrolle zuständig sind, hätten zuwenig Überblick über die Situation in den Herkunftsländern.

Private Adoptionen – ein Risiko

Ein Viertel der über 300 internationalen Adoptionen pro Jahr finden auf privatem Weg statt. David Urwyler, Leiter der zentralen Adoptionsbehörden beim Bundesamt für Justiz (BJ), räumt Verbesserungspotenzial ein.

«In der Schweiz sind es mit 40 bis 60 Fällen wenige, die ohne Begleitung von in der Schweiz bewilligten Vermittlungsstellen abgewickelt werden», relativiert er die Kritik. «Doch wenn es nur in einem dieser Fälle zu Kinderhandel oder Unregelmässigkeiten im Verfahren gekommen ist, dann ist dies trotzdem ein Fall zuviel.»

Marlène Hofstetter von Terre des hommes ist überzeugt, dass bei privaten Adoptionen das Risiko für Kinderrechts-Verletzungen erheblich ist. «Gerade wenn es sich um Adoptionen aus Ländern wie Haiti oder Nepal handelt, die keinerlei Garantien bieten für den Kinderschutz.»

Das Zivilgesetzbuch müsste entsprechend angepasst und Adoptionsverfahren dieser Art verboten werden. Hostetter will nun in der Schweiz Parlamentarier mobilisieren, die sich dafür einsetzen.

Kind als Ware

Die Nachfrage nach Adoptivkindern hat in den letzten Jahren in vielen industrialisierten Ländern stark zugenommen. Dies, weil die natürliche Fruchtbarkeit abnimmt und die Familienplanung bei vielen Paaren auf einen späteren Zeitpunkt vertagt wird.

So viele Babys, wie gewünscht werden, stehen aber gar nicht zur Verfügung. Wartefristen von fünf Jahren sind derzeit die Regel. Laut Hofstetter entstehen dadurch Wettbewerbssituationen, die auch das Haager Adoptionsübereinkommen (HAÜ) nicht verhindern könne.

Die Studie kritisiert deshalb auch die standardisierten HAÜ-Adoptionsverfahren. «Aufnahmeländer, die für die administrativen Kosten den Herkunftsländern mehr bezahlen als andere, erhalten meist auch mehr Kinder zugeteilt.» Somit werde das Adoptivkind zum Handelsgut, heisst es in der Studie.

Gleiche Kosten für alle

In der Schweiz ist dies laut Urwyler vom BJ klar geregelt: «Die Schweiz akzeptiert nur Vermittlungsstellen, bei denen die Kosten nachvollziehbar sind und keiner der Beteiligten einen ungerechtfertigten Gewinn erzielen kann.» Da aber jeder HAÜ-Staat seine Adoptionsansätze individuell festlegen kann, ist gemäss Urwyler «diese Forderung nach finanzieller Transparenz sehr gerechtfertigt.»

Marlène Hofstetter fordert, dass alle Vertragsstaaten die gleichen Kostenansätze für Adoptionsvermittlungen einführen. Die Studie wurde deshalb in Brüssel vor europäischen Parlamentariern und Adoptionsbehörden vorgestellt. Denn Handlungsbedarf ist dringend nötig.

swissinfo und Sarah Fasolin, InfoSüd

Zwischen 2001 und 2005 hat sich die Zahl der internationalen Adoptionen in der drei der sechs untersuchten Länder fast verdoppelt. (+94%).

Die Mehrheit der adoptierten Kinder stammt aus Staaten, die das Haager Übereinkommen nicht ratifiziert haben.

Die Schweiz zählt pro Jahr rund 300 internationale Adoptionen. Rund ein Viertel finden auf privatem Weg statt.

Das Haager Adoptionsübereinkommen (HAÜ) wurde seit 1993 von fast 100 Staaten unterzeichnet.

Das HAÜ regelt die Zusammenarbeit der Herkunfts- und Aufnahmeländer der Kinder und schreibt Kontrollen über die Adoptions-Vermittlungsstellen vor.

Damit sollen Kinderhandel und Kinderrechts-Verletzungen verhindert werden.

Seit 1993 gilt das Abkommen auch in der Schweiz.

75% der Adoptionen laufen nach HAÜ-Verfahren ab. Mit nicht HAÜ-Staaten ist jedoch nach wie vor der private Adoptionsweg möglich.

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