Schweizerinnen mussten lange für Stimmrecht kämpfen
In der Schweiz dürfen weibliche Bürgerinnen auf nationaler Ebene erst seit 1971 wählen und abstimmen. Eigentlich kein Grund zum Lachen. Oder doch? Zum Internationalen Frauentag jedenfalls kommt mit "Die göttliche Ordnung" eine preisgekrönte Komödie über den Kampf für das Frauenstimmrecht in die Schweizer Kinos.
Die Komödie «Die göttliche Ordnung» handelt von einer Schweizer Hausfrau, die für das Frauenstimmrecht kämpft. Die Schweizerin Petra Volpe hat das Drehbuch geschrieben und Regie geführt.
Als erster Spielfilm in der Geschichte der Solothurner Filmtage gewann die Komödie den Prix de Soleure. «Die göttliche Ordnung» ist auch Favoritin für den Schweizer FilmpreisExterner Link, der am 24. März vergeben wird. Der Film läuft ab dem 9. März in Schweizer Kinos.
«1971 war die Welt in Bewegung», erzählt die Protagonistin aus dem Off vor Aufnahmen der tanzenden 68er-Bewegung. Nur um nach einem Schwenk auf ein idyllisches Schweizer Dorf fortzufahren: «Aber hier bei uns war es so, als würde sie stillstehen.»
Frauen dürfen ohne Erlaubnis des Ehemannes nicht arbeiten, junge Frauen werden wegen einer Liebelei ins Gefängnis gesteckt und der Mann kann als Familienoberhaupt das Geld verprassen: Die Schweiz aus dem Film «Die göttliche Ordnung» ist wahrlich kein Paradies.
Erzählt wird die Geschichte einer Hausfrau und Mutter, die sich in einem kleinen Dorf für das Frauenstimmrecht einsetzt. Mit kleineren Nebenhandlungen wird eine eigentliche Geschichte des Schweizer Patriarchats erzählt, unter dem alle zu leiden haben – Frauen, Männer und Kinder.
«Frauen in der Politik sind gegen die göttliche Ordnung»
Es ist schwer zu glauben, aber viele Ereignisse, die im Film vorkommen, haben sich historisch genau so zugetragen. Die Inhaftierung junger Leute wegen «liederlichen Lebenswandels» oder «Arbeitsscheue» bis in die 1980er-Jahre gehört etwa zu den dunkelsten Kapiteln der Schweizer Geschichte.
Die Schweizer Regisseurin und Drehbuchautorin Petra Volpe hat sorgfältig recherchiert, bevor sie das Drehbuch zum Film schrieb: Nebst Besuchen im Frauen-ArchivExterner Link und Gesprächen mit Kämpferinnen für das Frauenstimmrecht las sie eine Dissertation über Frauenwahlrechtsgegnerinnen, von denen es in der Schweiz nicht wenige gab. Anschliessend liess Volpe das Drehbuch von einer Historikerin prüfen. «Diese sollte sicherstellen, dass die Atmosphäre im Film stimmt», erklärt die Regisseurin.
Und diese Atmosphäre beschreibt Volpe als «eng». Die Rollenbilder seien damals sehr starr gewesen. «Frauen in der Politik, das ist schlicht gegen die göttliche Ordnung», lässt sie im Film eine Frauenstimmrechtsgegnerin sagen. Bei diesem titelgebenden Satz handelt es sich um ein Originalzitat aus der damaligen Zeit.
Zum Frauenstimmrecht gezwungen
Dass der Filmstart mit dem Internationalen Frauentag zusammenfällt, ist für Volpe ein wichtiges Symbol. Am 8. März wird die Gleichstellung der Geschlechter gefeiert. Die grösste Errungenschaft des seit über 100 Jahren weltweit etablierten Frauentags ist zweifellos die Einführung des Frauenwahlrechts in fast allen Demokratien der Welt.
Während die meisten westlichen Länder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Frauenwahlrecht einführten, dauerte es in der Schweiz etwas länger. Seit 1971 dürfen Frauen auf Bundesebene abstimmen und wählen. Im Kanton Appenzell-Innerrhoden durften Frauen auf kantonaler Ebene erst ab 1991 mitbestimmen, nachdem das Bundesgericht den Kanton zur Einführung des Frauenstimmrechts gezwungen hatte.
Für Aussenstehende ist häufig erklärungsbedürftig, warum das Frauenstimmrecht in der Schweiz so spät eingeführt wurde. Volpe hat ihre ganz eigene Erklärung: «Die Schweiz ist ein sehr konservatives Land. Es gibt grossen Widerstand gegen Veränderung.»
Dass in der Schweiz die Männer darüber abstimmen mussten und das Frauenstimmrecht nicht wie andernorts von der Regierung verordnet wurde, lässt Volpe als Entschuldigung nicht gelten. «Als die umliegenden Länder längst schon das Frauenstimmrecht kannten, wurden Frauen von Schweizer Politikern nach wie vor nicht ernst genommen. Petitionen und Motionen verschwanden einfach in den Schubladen der Bundesräte.» Volpe ist überzeugt, dass auch in der Schweiz das Frauenstimmrecht viel früher eingeführt worden wäre, hätte die Regierung andere Signale ausgesendet. «Man ist in der Schweiz extrem veränderungsresistent, das merkt man ja auch heute noch, wenn abgestimmt wird.»
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Schweizerinnen können seit 1971 mitbestimmen
Demokratie und Gleichberechtigung wieder hochaktuell
Der Film richtet sich nicht nur an ein Schweizer Publikum. Die Regisseurin – eine italienisch-schweizerische Doppelbürgerin, die in Berlin und den USA lebt – bemühte sich stets um eine Aussensicht. «Ich wollte ein sehr schweizerisches Thema so erzählen, dass es für alle interessant ist», sagt Volpe.
Das ist ihr offenbar gelungen: Eine dänische Vertriebsfirma sah den Film und fand, dass sich die Geschichte in der ganzen Welt vermarkten lasse. Der Film ist bereits nach China und in andere Länder verkauft worden.
Dass «Die göttliche Ordnung» auch ein ausländisches Publikum interessiert, führt die Regisseurin darauf zurück, dass der Film nicht nur vom Frauenstimmrecht handelt. «Es geht auch um Zivilcourage, Demokratie, Gleichberechtigung und den Kampf um Gerechtigkeit – das sind nach den Wahlen in den USA wieder hochaktuelle Themen!»
Und wie sieht es gegenwärtig in der Schweiz aus? Volpe überlegt nicht lange: «Es gibt noch wahnsinnig viel zu tun. Frauen verdienen in der Schweiz immer noch weniger als Männer. Dort fängt es an. Aber das noch grössere Problem ist, dass wir alle einen tiefen Sexismus verinnerlicht haben.»
swissinfo.ch: Wie kamen Sie auf das Thema Frauenstimmrecht?
Petra Volpe: Mein Produzent hatte die Idee, die bei mir sofort auf fruchtbaren Boden fiel.
swissinfo.ch: Warum haben Sie aus dem Thema eine Komödie gemacht und nicht einen Dokumentarfilm oder ein Drama, wie die britische Verfilmung «Suffragette»?
P.V.: Frauen bekamen in der Schweiz erst 1971 das Stimmrecht. Das ist so absurd, dass es einfach eine Komödie sein musste. Man braucht als Frau viel Galgenhumor im Leben.
swissinfo.ch: Vieles im Film könnte für Aussenstehende klischiert oder überzeichnet wirken.
P.V.: Das sagt man oft, wenn es um Anliegen der Frauen geht: das ist doch übertrieben, das sind doch alte Hüte. Aber vieles, was die Personen im Film sagen, sind Originalzitate aus der damaligen Zeit.
- 1868: Vergebliches Begehren von Zürcher Frauen um aktives und passives Wahlrecht anlässlich einer kantonalen Verfassungsrevision
- 1957: Bei einer Revision des Zivilschutzes soll eine Dienstpflicht für Frauen eingeführt werden. Frauenorganisationen wehren sich mit dem Argument des fehlenden Stimmrechts. Der Bundesrat legt rasch einen Entwurf zur Einführung des Frauenstimmrechts vor, um das Zivilschutz-Projekt zu retten.
- 1959: Das Frauenstimmrecht wird in einer Volksabstimmung mit 67% Nein-Stimmen abgelehnt.
- 1963: Die Schweiz wird Mitglied des Europarates, kann die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) aber wegen des fehlenden Frauenstimmrechts noch nicht unterzeichnen. Der Bundesrat entscheidet 1969, mit einer neuen Volksabstimmung Klarheit zu schaffen.
- 1971: Die männlichen Stimmbürger nehmen in einer Volksabstimmung das Frauenstimmrecht mit rund 66% Ja-Stimmen an.
- 1990: Der Kanton Appenzell-Innerrhoden wird als letzter Kanton vom Bundesgericht zur Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler Ebene gezwungen.
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