Aus für Nahost-Konferenz in Genf – das zeigt, wie gespalten die Welt ist

Die Schweiz hat eine Konferenz über die Anwendung der Genfer Konventionen auf die besetzten palästinensischen Gebiete abgesagt. Dies, nachdem mehrere Länder ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht hatten und keine Einigung in Sicht war.
«Diese Konferenz hätte wohl keine substanziellen Auswirkungen vor Ort gehabt. Dass man aber nicht einmal einen Minimalkonsens erreicht, zeigt wie gespalten die internationale Gesellschaft in diesem Konflikt ist», sagt Laurent Goetschel, Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung swisspeace.
Die Schweiz hatte 196 Vertragsparteien eingeladen, am Freitag, 7. März, in Genf an einer Konferenz über die Lage der Zivilbevölkerung im Westjordanland, im Gazastreifen und in Ostjerusalem teilzunehmen.
Die Konferenz sollte sich mit der Vierten Genfer Konvention befassen, die zu einer Reihe von internationalen Verträgen gehört, die 1949 nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossen wurden und die den humanitären Schutz von Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten oder unter Besatzung regeln.
Diplomatische Quellen, die gegenüber SWI swissinfo.ch unter der Bedingung der Anonymität sprachen, sagten, das Schweizer Aussenministerium sei in den letzten Wochen zunehmend nervös geworden. Israel hat die Schweiz für die Ausrichtung der Veranstaltung öffentlich verurteilt, die es als «Teil der juristischen Kriegsführung gegen Israel» betrachtet.
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Eine Konferenz, die die Schweiz nicht will, aber durchführen muss
Die Ständige Vertretung Israels bei der UNO in Genf erklärte, die Entscheidung der Schweiz, die Konferenz zu diesem heiklen Zeitpunkt einzuberufen, zeige, dass diese Konferenz lediglich als weitere Plattform diene, um Israel, ein demokratisches Land, anzugreifen und terroristische Organisationen zu ermutigen, die eine völlige Missachtung der Menschlichkeit und des Gesetzes an den Tag legten. Die Konferenz findet statt, während Israel ihre Beziehungen zur neuen Trump-Regierung intensiviert.
Die Konferenz sollte nicht länger als ein paar Stunden dauern und in einer gemeinsamen Erklärung resultieren. Die USA und Israel hatten lange im Vorfeld erklärt, sie würden nicht teilnehmen. Am späten Donnerstag erklärten die arabischen Staaten, dass sie ebenfalls nicht teilnehmen würden.
Eine «Reflexion der Realität»
Botschafter Franz Perrez, der für die Leitung des Prozesses verantwortlich war, erklärte auf einer Pressekonferenz, dass eine «ausreichend kritische Masse» der teilnehmenden Staaten nicht zustande gekommen sei. Letztlich sei es ein «Spiegelbild der Realität», dass keine Einigung erzielt werden konnte. Er betonte jedoch, dass kein Staat die Genfer Konventionen als solche in Frage gestellt habe.
In einem Entwurf der Schlusserklärung, der SWI vorliegt, heisst es: «Die teilnehmenden Hohen Vertragsparteien betonen die fortdauernde Anwendbarkeit und Relevanz der Vierten Genfer Konvention in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschliesslich Ost-Jerusalem, zu deren Einhaltung sich alle Hohen Vertragsparteien unter allen Umständen verpflichtet haben.»
In einem Schreiben an die UNO, das SWI ebenfalls vorliegt, erklärte die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, der 57 Mitglieder angehören, die Erklärung spiegle «weder den Ernst der Lage vor Ort noch die schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten wider».
Der palästinensische Botschafter bei der UNO in Genf, Ibrahim Khraishi, hatte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erklärt, dass seine Delegation ebenfalls nicht an der Veranstaltung teilnehmen wollte.
Das Schweizer Aussenministerium hätte die Teilnahme von mindestens 128 Ländern als Erfolg gewertet. So viele waren bei der letzten Konferenz dieser Art im Jahr 2014 zusammengekommen. «Es ist aber auch wichtig, wer kommt», sagt Laurent Goetschel. «Es hat sich gezeigt, dass zu wenige und die ‹Falschen› erwartet wurden – also diejenigen, die wenig Einfluss auf den Konflikt haben.»
Er glaubt nicht, dass die Absage der Konferenz ein schlechtes Licht auf die Schweiz wirft. «Als Depositarstaat ist sie eine Art Sekretariat für die Genfer Konventionen. Wenn es zu keiner Einigung kommt, weil die internationale Gemeinschaft zu gespalten ist, kann man der Schweiz kaum einen Vorwurf machen.»
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Ein fragiler Waffenstillstand hält an
Die Konferenz wurde angesetzt, nachdem 15 Monate Krieg zwischen Israel und der militanten Palästinensergruppe Hamas fast alle der zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Gazastreifens mehrmals innerhalb des Gazastreifens vertrieben, nach Angaben des Gaza-Gesundheitsministeriums mindestens 48’000 Palästinenser:innen getötet und einen Grossteil der Infrastruktur in der Enklave zerstört haben. Gemäss ReutersExterner Link haben die Hamas und mit ihr verbündete militante palästinensische Gruppen bei dem Angriff am 7. Oktober 2023 rund 1200 Menschen getötet und weitere 251 entführt. Israel sagt, dass es auch mehr als 400 Soldaten bei den Kämpfen verloren hat.
Obwohl im Gazastreifen ein brüchiger Waffenstillstand herrscht, hat Israel vorübergehend die Einfuhr von Hilfsgütern verboten, und im Westjordanland nimmt die Gewalt seit Monaten zu. Die Schweiz und andere europäische Länder befürchteten, dass sich die Konferenz negativ auf den Konflikt ausgewirkt haben könnte.
In den Wochen vor der Konferenz hiess es aus diplomatischen Kreisen, dass einige Staaten die Konferenz so neutral wie möglich halten und keine spezifische «Ländersituation» erwähnen wollten. Dies, um zu vermeiden, dass sie sich negativ auf künftige Verhandlungen über die nächsten Schritte zum Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas auswirkt.
Mitarbeit: Annegret Mathari. Editiert von Virginie Mangin/ts

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