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Der Rote Halbmond arbeitet im Westjordanland unter schweren Bedingungen – und trotz Vorwürfen

Ein israelischer Soldat und ein festgenommenes Mitglied des Palästinensischen Roten Halbmonds
Ein israelischer Soldat und ein festgenommenes Mitglied des Palästinensischen Roten Halbmonds während einer Militärrazzia in Dura, südlich von Hebron, im besetzten Westjordanland am 31. Oktober 2024. AFP

Marwan Jilani ist Vizepräsident der Palästinensischen Rothalbmondgesellschaft. In Genf sprach er mit SWI swissinfo.ch über die humanitäre Situation und die Sicherheitslage im Westjordanland. Diese haben sich seit Beginn des Kriegs im Gazastreifen verschlechtert.

Seit den Anschlägen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der folgenden israelischen Invasion im Gazastreifen hat sich auch die Lage im besetzten Westjordanland verschärft.

Die Palästinensische Rothalbmondgesellschaft (PRCS) hat dort seither mehr als 750 Übergriffe durch israelische Siedler:innen und Soldat:innen auf Rettungseinsätze, Patient:innen und Verletzte in den Ambulanzen dokumentiert. Dies, obwohl medizinische Einrichtungen gemäss dem humanitären Völkerrecht geschützt werden müssen.

«Seit Oktober 2023 haben wir eine dramatische Zunahme dieser Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung, ihre Häuser, ihre Lebensgrundlage und insbesondere ihr Land und ihre Ernten erlebt», sagt Marwan Jilani, PRCS-Vizepräsident im Gespräch mit SWI swissinfo.ch.

Marwan Jilani blickt in die Kamera.
Marwan Jilani ist Vizepräsident der Palästinensischen Roten Halbmond-Gesellschaft (PRCS). IKRK

Jilani bezeichnet die Situation im Westjordanland als «sehr kritisch» im Hinblick auf die humanitäre Situation, «aber auch was die Sicherheitslage der palästinensischen Bevölkerung anbelangt».

Der Rote Halbmond werde dabei an seiner Arbeit gehindert. Oft würden israelische Soldat:innen die PRCS-Teams zwingen, den Krankenwagen zu öffnen, manchmal verhörten sie Patient:innen oder Verletzte in der Ambulanz, sagt Jilani weiter.

Es komme auch vor, dass sie Patient:innen oder die PRCS-Teams festnähmen und den Transport stundenlang verzögerten. Viele schwangere Frauen hätten in Ambulanzen entbinden müssen, weil diese an Checkpoints aufgehalten wurden.

Mehrere Organisationen, darunter die WHOExterner Link, Ärzte ohne Grenzen MSFExterner Link und Amnesty InternationalExterner Link, erklärten sich besorgt darüber, dass israelische Militäroperationen die medizinische Versorgung im Westjordanland gefährden.

Koordination von Einsätzen mit IKRK

Die PRCS hat im Westjordanland und im Gazastreifen verschiedene Kanäle, um ihre Einsätze zu koordinieren. Die zentrale Notrufstelle ist am PRCS-Hauptsitz in Ramallah. «Wir nehmen alle Anrufe entgegen und schicken dann unseren Sanitätsdienst.»

Manchmal erhält die PRCS im Westjordanland über 20’000 Anrufe pro Woche, so etwa im September 2024, als die israelische Armee in Dschenin eine Militäroperation durchführte.

Wenn die Hilfsorganisation Anrufe erhält, spricht sie sich zuerst mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ab, das dann die israelische Armee darüber informiert, dass eine Ambulanz an einem bestimmten Ort Verwundete oder Kranke abholen soll.

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Die PRCS setzt die Ambulanzen erst ein, wenn die israelische Armee grünes Licht gegeben hat. Für Evakuierungen oder Hilfslieferungen koordiniert sich die PRCS mit UNO-Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation WHO und dem UNO-Büro für humanitäre Hilfe OCHA.

Die PRCS-Krankenwagen sind mit ihrem Emblem gekennzeichnet und jeder Wagen hat eine Nummer. Diese wird gemäss dem PRCS-Vizepräsidenten jeweils zusammen mit dem Auto-Nummernschild und manchmal auch mit den Namen des Einsatz-Teams den israelischen Behörden, also der Armee, übermittelt.

Gemäss der PRCS seien im Zuge medizinischer Einsätze von Oktober 2023 bis Oktober 2024 im Westjordanland mindestens 14 Leute gestorben, die wegen Verzögerungen durch die israelische Armee nicht rechtzeitig versorgt werden konnten. Gegenüber der AFPExterner Link hat die israelische Armee diese Angaben bestritten. Sie seien «unwahr» und «Terroristen» hätten sich in den Ambulanzen befunden.

Jilani erzählt gegenüber SWI swissinfo.ch von diesen «Behauptungen der israelischen Armee», dass die PRCS bewaffnete Personen transportiere. Der Umgang mit solchen Vorwürfen wurde auch an der Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes Ende Oktober in Genf beraten, wo SWI swissinfo.ch Jilani treffen konnte.

Diese Konferenz findet alle vier Jahre mit dem Ziel statt, die humanitäre Arbeit zu stärken. Zu den Mitgliedern der Konferenz zählen die Vertragsstaaten der Genfer Konventionen, das IKRK, die Internationale Föderation des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes IFRC sowie deren 191 nationalen Gesellschaften.

Eine der Resolutionen, die die Konferenz dieses Jahr verabschiedete, zielt auf den Aufbau einer Kultur zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts.

Damit wurde auch die Verpflichtung der Staaten erneuert, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren, um menschliches Leid zu verringern.

Angriffe auf Ambulanzen und Kliniken

«Unsere ersten beiden Team-Mitglieder wurden zu Beginn dieses Krieges getötet, als sie im Norden des Gazastreifens verletzte Zivilpersonen retten wollten», sagt Jilani.

Die PRCS hatte die Entsendung des Krankenwagens über das IKRK mit der israelischen Armee koordiniert und die Erlaubnis für den Einsatz erhalten. Aber als die Sanitäter vor Ort ankamen, wurden sie mit scharfer Munition beschossen und getötet.

Palstine red crescent
Sanitäter des Palästinensischen Roten Halbmonds trauern um ihren gefallenen Kollegen Mahmud al-Muhadad, der Berichten zufolge bei einem israelischen Luftangriff in Jabalia im nördlichen Gazastreifen getötet wurde, während sie sich im Ahli Arab Hospital, auch bekannt als Baptistenkrankenhaus, in Gaza-Stadt am 4. Januar 2025 inmitten des anhaltenden Krieges zwischen Israel und der Hamas von ihm verabschieden. AFP

Oft komme es trotz der Kennzeichnung zu Angriffen von israelischen Soldat:innen auf PRCS-Ambulanzen in Gaza. Laut der Hilfsorganisation wurden bis September 2024 im Gazastreifen 19 ihrer Angestellten und ehrenamtlichen Mitarbeitenden von der israelischen Armee getötet.

Im Westjordanland haben die Israelis gemäss PRCS bisher zwei Rothalbmond-Sanitäter getötet. Der erste VorfallExterner Link vom April 2024 in einem Dorf südlich von Nablus, wird gegenwärtig von der israelischen Armee untersucht.

Denn es sei unklar, ob der Sanitäter von der Armee oder von Siedler:innen getötet wurde. Der zweite Sanitäter wurde laut OCHA und IFRC Ende Juli bei einem israelischen Luftangriff auf das Flüchtlingslager Balata in Nablus verletzt, als er verwundete Zivilist:innen evakuierte. Die israelische Armee bestätigte den Drohnenangriff. Der Sanitäter erlag Anfang August seinen Verletzungen.

«Unsere Kliniken werden angegriffen, auch medizinische Notfallzentren, in denen wir unsere Krankenwagen stationiert haben, wie jene in Dschenin und Nablus», sagt Jilani. Solche israelischen Militäreinsätze bestätigen und kritisieren auch WHO und MSFExterner Link.

In Genf beklagte eine WHO-Sprecherin Mitte November 2024 vor den Medien, dass Gesundheitseinrichtungen in Konflikten zunehmend angegriffen werden.

Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte OHCHRExterner Link kritisierte bereits im Mai 2024, dass Israels Armee im Westjordanland vorgehe, als ob dort Krieg herrsche, und Kampfflugzeuge sowie schwere Waffen einsetze, die normalerweise nicht zur Strafverfolgung benutzt werden.

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Humanitäre Hilfe des Palästinensischen Roten Halbmond

Der Palästinensische Rote Halbmond leistet auch humanitäre Hilfe. Zwischen Oktober 2023 und Ende September 2024 unterstützte die Organisation nach eigenen Angaben rund 220’000 Personen im Westjordanland, die von israelischen Siedler:innen oder der Armee angegriffen oder vertrieben wurden, mit Hilfsgütern wie Lebensmittel, Zelte, Decken und Matratzen. In derselben Periode leistete PRCS psychosoziale Unterstützung für 10’500 Personen im Westjordanland.

«Seit Beginn des Gaza-Krieges hat die israelische Armee das Westjordanland in verschiedene Gebiete aufgeteilt, die Städte sind durch Check-Points, Tore sowie Absperrungen voneinander getrennt», führt Jilani aus.

Die israelische Armee wiederum erklärte wiederholt, dass sie im Westjordanland im Einklang mit dem Völkerrecht operiere und sich für die Aufrechterhaltung der Sicherheit in diesem Gebiet einsetze.

Laut der Nachrichtenagentur AFP haben israelische Soldat:innen und Siedler:innen zwischen Oktober 2023 und dem 1. Dezember 2024 im Westjordanland mindestens 780 Palästinenser:innen getötet. Für dieselbe Zeit nannte AFP mindestens 24 getötete Israelis bei Angriffen durch Palästinenser:innen.

Der Palästinensische Rote Halbmond führt seine Arbeit fort. «Wir setzen uns dafür ein, den Raum für humanitäre Hilfe und unser Emblem zu schützen, um die Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu gewährleisten», erklärt Jilani gegenüber SWI swissinfo.ch.

Editiert von Imogen Foulkes und Benjamin von Wyl

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