Die UNO setzt im Kampf gegen HIV auf Bildung und gleiche Rechte
HIV ist in weiten Teilen Afrikas südlich der Sahara nach wie vor eine Realität. Betroffen sind vor allem Mädchen und junge Frauen. Doch Medizin allein wird Aids nicht stoppen. Diskriminierung, Gewalt und Armut halten das Virus am Leben. Darum muss eine Lösung laut Uno-Beauftragten umfassender sein.
Gniwali Ndangou lebt in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Sie ist Waise und musste – anders als all ihre Geschwister – während ihrer gesamten Kindheit täglich Pillen schlucken. Ihr Vormund sagte ihr, die Medikamente seien gegen Malaria und Kopfschmerzen. Erst als Gniwali im Alter von 17 Jahren drohte, ihre Medikamente abzusetzen, erzählte ihre Schwester ihr die Wahrheit: Sie wurde mit HIV geboren.
Heute arbeitet Gniwali sie als Ausbilderin im lokalen «Zentrum für sexuelle Aufklärung und Information von Jugendlichen». Dieses bietet von der Bevölkerung geführte Dienstleistungen an wie HIV-Tests und Informationen zur HIV-Prävention. Jugendliche und junge Erwachsene unterstützen dort Gleichaltrige, die mit dem Virus leben, dabei, ihre Medikamente einzunehmen und die Behandlung aufrechtzuerhalten, damit das Virus nicht mehr ansteckend ist.
Das Zentrum hat ihr das Leben gerettet und ist ein Hoffnungsträger für viele junge Menschen wie Gniwali, die mit HIV leben müssen. Laut UNAIDS infizieren sich in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara noch immer jede Woche 3100 Mädchen im Teenageralter und junge Frauen mit dem Hi-Virus. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich mit dem Virus anstecken, ist dreimal so hoch wie bei ihren männlichen Altersgenossen.
UNAIDS ist ein gemeinsames Programm von elf UNO-Organisationen, darunter WHO, UNICEF, UNESCO, UN Women und die Weltbank. Die UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zielen darauf ab, AIDS als Bedrohung der Volksgesundheit bis 2030 zu beseitigen. Angesichts der hohen Infektionsraten in Teilen der Welt ist UNAIDS alarmiert und fordert mehr medizinische und finanzielle Unterstützung.
Im östlichen und südlichen Afrika ist die HIV-Infektionsrate bei 15- bis 19-jährigen Mädchen fast sechsmal höher als bei gleichaltrigen Knaben. Bei Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mehr als doppelt so hoch wie bei Männern im gleichen Alter. Und 86% der Kinder, die mit dem Virus geboren werden, leben in Afrika.
Mädchen im Fokus der Gesundheitspolitik
«Diese ernüchternden Zahlen zeigen uns, dass wir den Mädchen und jungen Frauen unbedingt Priorität einräumen müssen, vor allem in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara», sagt Suki Beavers, Direktorin für Gleichstellung und Rechte für alle bei UNAIDS, im Gespräch mit SWI swissinfo.ch in Genf. Als Gründe für die Anfälligkeit von Mädchen und jungen Frauen für eine HIV-Infektion nennt sie Diskriminierung, mangelnde Gleichberechtigung sowie Gewalt und Armut. Um eine Ansteckung mit dem Hi-Virus zu verhindern, sei es auch wichtig, dass die Betroffenen nicht stigmatisiert, diskriminiert oder kriminalisiert würden, sagt Beavers.
«Wenn die Menschen befürchten müssen, verhaftet zu werden, wenn sie sich Medikamente besorgen, dann ist es viel unwahrscheinlicher, dass sie sich in Behandlung begeben und diese auch einhalten», sagt sie. Uganda zum Beispiel hat kürzlich die Gesetze gegen Homosexuelle verschärft.
Prävention verstärken
Einzelne Massnahmen reichen für eine nachhaltige HIV-Bekämpfung nicht aus, sagen die UNO-Organisationen. Sie setzen daher auf sektorübergreifende Ansätze. «Der Kampf gegen Krankheiten ist ebenso sehr ein Kampf für Gerechtigkeit und Gleichstellung wie ein medizinischer Kampf», sagte Peter Sands, Direktor des Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV, Tuberkulose und Malaria, im September in Genf vor den Medien.
Beavers betont, dass die mit HIV lebenden Bevölkerungsgruppen im Zentrum einer nachhaltigen HIV-Bekämpfung stehen müssen. Dazu gehören neben Frauen und Mädchen auch Schlüsselgruppen wie Drogenkonsumierende, Sexarbeitende und Männer, die Sex mit Männern haben. Das Ziel ist demnach, dass rund ein Drittel der Tests und der Versorgung mit Medikamenten, von betroffenen Bevölkerungsgruppen vorgenommen wird. Diese Gruppen sollen auch 80% der Präventionsmassnahmen leiten.
Vor allem aber setzen die UNO-Organisationen auf Bildung. «Es ist gut belegt, dass Mädchen weniger Gefahr laufen, sich mit HIV zu infizieren, wenn sie die Sekundarschule abschliessen können», sagt Beavers. Jedes Jahr, das Mädchen länger in der Schule bleiben, bedeute auch, dass sie später ein höheres Einkommen hätten. «Das ist einer der Punkte, auf die wir uns konzentrieren sollten.» Nötig sind laut Beavers auch Änderungen der Verhaltensnormen, wie etwa die Sensibilisierung für häusliche Gewalt durch Männer.
Im Rahmen der Initiative «Education Plus», die sich an Mädchen und junge Frauen in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara richtet, arbeitet UNAIDS mit Regierungen und der Zivilgesellschaft zusammen, um sicherzustellen, dass Jugendliche kostenlos die Sekundarschule besuchen und abschliessen können, insbesondere auch schwangere Schülerinnen.
Bildung und Sport werden genutzt, um die Gleichstellung von Mädchen und Knaben sowie ein gewaltfreies Umfeld zu fördern. Dabei wird darauf geachtet, dass Mädchen nicht stigmatisiert werden aufgrund von HIV, Schwangerschaft oder weil sie vergewaltigt wurden. Weiter sollen etwa Gesetze aufgehoben werden, die eine elterliche Zustimmung verlangen, damit Jugendliche Zugang zu HIV-Prävention und -Behandlung erhalten. UNAIDS konnte die Gesamtkosten der Initiative noch nicht nennen.
Die Afrikanische Union, ein Zusammenschluss der 55 afrikanischen Ländern, unterstützt diese Initiative, und eine Gruppe von 15 afrikanischen Ländern nimmt daran teil. Dazu zählen Kamerun, Kenia, Malawi, Senegal, Sierra Leone, Südafrika, Tansania, Uganda und Sambia. Weitere Staaten interessieren sich ebenfalls dafür.
Ihre Verschuldung und die Zinskosten erschweren jedoch vielen afrikanischen Ländern, solche Programme zu finanzieren. Nach Angaben von UNAIDS müssen Angola, Kenia, Malawi, Ruanda, Uganda und Sambia derzeit mehr als die Hälfte ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für den Schuldendienst aufwenden.
Dies wirke sich unmittelbar darauf aus, wie viel Geld die Länder für Gleichstellungs- und Menschenrechtsinitiativen sowie für Bildung zur Verfügung haben, und somit auf die Rechte von Frauen und Mädchen im Alltag, erklärt Beavers.
HIV nicht mehr auf der Agenda
Von den heute weltweit rund 40 Millionen Menschen mit HIV lebt die Mehrheit, rund 26 Millionen, in Afrika südlich der Sahara. Die Region habe zwar die HIV-Neuinfektionen seit 2010 um 56% gesenkt, dieser Erfolg könne jedoch nicht aufrechterhalten werden, wenn der finanzielle Spielraum begrenzt sei, warnte UNAIDS in einem im September veröffentlichten Bericht. «HIV steht nicht mehr auf der Tagesordnung», bedauert Beavers. Klimawandel und Kriege hätten das Thema verdrängt.
Am Zukunftsgipfel der UNO in New York Ende September und an der UNO-Generalversammlung erinnerte UNAIDS die Teilnehmenden daran, dass HIV/Aids noch nicht überwunden ist. Bis 2025 werden zur HIV-Bekämpfung weltweit 29,3 Mrd. Dollar benötigt. UNAIDS rief die internationale Staatengemeinschaft auch dazu auf, sich für erschwingliche Medikamentenpreise einzusetzen.
Zum Schutz vor einer HIV-Ansteckung müssen bisherige Arzneimittel täglich eingenommen werden. Das neue Medikament Lenacapavir wird dagegen nur alle sechs Monate als Injektion verabreicht. Dies hat den Vorteil, dass Mädchen und Frauen ihre Medikamente nicht mehr regelmässig in einer Klinik holen müssen und somit weniger Gefahr laufen, von Verwandten oder Bekannten gesehen und stigmatisiert zu werden. Allerdings seien diese neuen Spritzen für Mädchen und junge Frauen zu teuer, sagt Beavers. Und die Patente der großen Pharmakonzerne verhindern demnach, dass Generika hergestellt werden können.
Entwicklungsziele
Um das Ziel zu erreichen, bis 2030 keine neuen HIV-Infektionen und keine weiteren AIDS-Fälle mehr zu verzeichnen, hat UNAIDS mehrere Ansätze festgelegt, darunter die sogenannte 95-95-95-Strategie: 95 % aller mit HIV lebenden Menschen sollen bis 2025 wissen, dass sie mit dem HI-Virus infiziert sind. Zudem sollen 95% alle Menschen mit diagnostizierter HIV-Infektion eine lebensrettende antiretrovirale Behandlung erhalten, und 95% aller Menschen, die eine solche Behandlung erhalten, sollen bis 2025 nicht mehr ansteckend sein.
«Die in den SDGs enthaltene Verpflichtung, AIDS bis 2030 als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit zu beenden, kann erreicht werden», sagt Beavers. Aber nur, wenn der politische Wille und die erforderliche Finanzierung vorhanden sind und die nötigen politischen und programmatischen Veränderungen tatsächlich stattfinden.
Editiert von Virginie Mangin/sb
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