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Hilfsgelder verteilen hat Tücken – Blockchain verspricht Lösungen

Eine Zeltstadt auf brauner Erde
Vielleicht kriegen sie bald Kryptowährungen auf ihr Handy: Venezoelanische Geflüchtete in einem UNHCR-Flüchtlingslager im kolumbianischen Maicao. 2019 Bloomberg Finance Lp

Das UNHCR hat mit einem Blockchain-Pilotprojekt in der Ukraine gezeigt, wie Hilfszahlungen mit modernen Technologien schneller und effizienter ankommen. In Genf entsteht ein neues Kompetenzzentrum, das solche Innovationen fördert.

Mitte 2024 zählten die Vereinten Nationen weltweit mehr als 122 Millionen VertriebeneExterner Link. Globale Krisen schaffen immer komplexere Herausforderungen. Gefragt sind schnelle und flexible Reaktionen über grosse Distanzen. Das gilt auch und besonders bei Geldtransfers.

«Transaktionen über Ländergrenzen hinweg dauern oft lange und verursachen hohe Kosten. Zudem fehlt in vielen Krisenregionen die nötige Infrastruktur», erklärt Stefan Bumbacher, Programmverantwortlicher für Cash and Voucher Assistance bei der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA).

In der internationalen Zusammenarbeit, wo jährlich Zahlungen in Milliardenhöhe fliessen, können ineffiziente Prozesse das ganze System ausbremsen. Und die grösste Frage ist stets: Wie kann sichergestellt werden, dass das Geld tatsächlich bei den Berechtigten ankommt?

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Ohne Bankkonto um die halbe Welt

Die Blockchain-Technologie bietet dazu Möglichkeiten: Sie ermöglicht transparente und sichere Transaktionen, die dezentral verwaltet werden. Alle Zahlungen werden in einem unveränderlichen Register gespeichert, das weder manipuliert noch gestoppt werden kann.

Wie eine Lösung auf Basis der Blockchain-Technologie in der Praxis funktionieren kann, zeigt ein Pilotprojekt des UN-Flüchtlingshilfwerks UNHCR in der Ukraine. Um Zahlungen an Vertriebene und Geflüchtete abzuwickeln, hat die Organisation mit der darauf spezialisierten Stellar Development Foundation zusammengearbeitet.

Das PilotprojektExterner Link wurde im Dezember 2022 ausgerollt und ermöglicht es, Geld ortsunabhängig und in Echtzeit zu transferieren.

Der Prozess ist für die betroffene Person einfach: Nach der Registrierung beim UNHCR erhält sie eine SMS, um eine Wallet-App – ein digitales Portemonnaie, um Geld zu empfangen und zu versenden – auf ihr Smartphone herunterzuladen.

Wenige Minuten nach der Verifizierung erhält sie die Hilfszahlungen des UNHCR direkt auf diese App. Sie muss nur noch zur nächstgelegenen Moneygram-Filiale gehen und das Guthaben in die Währung ihrer Wahl eintauschen – ein Bankkonto ist nicht nötig, um an Bargeld zu gelangen.

Allein in der Ukraine gibt es über 4500 Moneygram-Filialen, die solche Auszahlungen ermöglichen.

Schnell, sicher und flexibel

Innerhalb eines Jahres hat die UNO so über 1,1 Millionen US-Dollar an 1500 Vertriebene in der Ukraine ausgezahlt. Neben der Schnelligkeit spricht laut Malik El Bay von der Zürcher Denkfabrik Dezentrum auch die Flexibilität für die Lösung.

Eine geflüchtete Person kann Geld sicher auf ihrer digitalen Wallet aufbewahren oder in beliebiger Währung auszahlen lassen – egal, wo sie sich gerade befindet und auch dann, wenn ein funktionierendes Bankensystem fehlt.

Flieht die Person beispielsweise nach Polen, kann sie das Geld einfach auf ihrem Smartphone über die Grenze bringen und in einer Filiale in Krakau abheben.

Eine Frau und ein Mann vor einem zerstörten Gebäude
Die Digitalisierung ist in der Ukraine weit fortgeschritten. So konnte ein Blockchain-Projekt zur Unterstützung von Kriegsgeschädigten rasch aufgegleist werden. KEYSTONE

Stablecoins als Schutz gegen Kursschwankungen

Doch setzt eine solche Lösung vulnerable Menschen nicht den starken Kursschwankungen von Kryptowährungen aus? Um dies zu vermeiden, setzt das Projekt auf sogenannte Stablecoins – Kryptowährungen, deren Wert herkömmliche Währungen wie den US-Dollar abbilden.

In der Ukraine wurde der Circle Internet Financial’s USD CoinExterner Link (USDC) verwendet, ein Stablecoin, der vollständig durch Bargeld, kurzfristige Staatsanleihen und ähnliche liquide Mittel gedeckt ist.

Ein neues Kompetenzzentrum in Genf

Nach dem erfolgreichen Pilotprojekt in der Ukraine haben das UNHCR, UN-Partner und die Schweizer Regierung 2022 den sogenannten Digital Hub of Treasury Solutions (DHoTS) ins Leben gerufen. Er soll die finanzielle Inklusion fördern, um das Leben bedürftiger Menschen weltweit zu verbessern.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der Aufbau des UN-Center of Excellence (CoE) in Genf. Die DEZA investiert bis Anfang 2026 eine Million Schweizer FrankenExterner Link in die Schaffung des Kompetenzzentrums.

Das CoE soll dem UN-System und seinen Partnern den Zugang zu globalen Finanzökosystemen und -märkten erleichtern. «Neben dem Einsatz neuer Technologien soll das DHoTS auch die multilaterale Zusammenarbeit fördern, um die Entwicklungszusammenarbeit effizienter und sicherer zu machen”, sagt Alexander Widmer, bei der DEZA zuständig für das Projekt.

Einsparpotenzial von bis zu 60 Millionen US-Dollar

Das UNHCR wickelt jährlich zwei Millionen Zahlungen im Wert von mehr als sechs Milliarden US-Dollar ab. Laut Stefan Bumbacher könnten jährlich bis zu 60 Millionen US-Dollar eingespart werden, wenn die Prozesse standardisiert und harmonisiert würden.

Bumbacher erklärt, dass 23% der globalen humanitären Hilfe direkt an die Empfänger:innen in Form von Geldzahlungen und Gutscheinen ausgezahlt werden: «Oft stehen humanitäre Organisationen vor der gleichen Frage: Wie kann ich am effizientesten Geld in ein gewisses Land und es anschliessend direkt zu den Empfänger:innen bringen?» Dabei gehe es auch um Fragen des Datenschutzes.

Ziel des Genfer Ansatzes ist, die Zahlungsstellen der beteiligten multilateralen Partner in 135 Ländern mit 500 globalen und lokalen Finanzdienstleistern, Institutionen und Marktplätzen sowie mehr als 100 Millionen Vertriebenen zu verbinden.

«Es macht keinen Sinn, dass jede Organisation einen individuellen Rahmenvertrag mit einer lokalen Bank abschliesst, Gebühren aushandelt etc. Es ist wichtig, alle Organisationen zu koordinieren, ohne ihnen die Entscheidungsfreiheit zu nehmen, auf welche Lösung sie setzen wollen”, präzisiert Deza-Vertreter Alexander Widmer.

Eine Lösung unter vielen

Laut Malik El Bay, der das Projekt als externer Berater begleitet, wäre es falsch, den Blockchain-Piloten in der Ukraine als massgebende Referenz für das Digital Hub of Treasury Solutions heranzuziehen.

Das DHoTS lasse sich sich grob in zwei Bereiche unterteilen. «Der erste Teil ist ein klassisches Digitalisierungsprojekt von mehreren UNO-Agenturen, um Effizienzgewinne zu erzielen.»

Der zweite, kleinere Teil ist das, was El Bay «Spitzentechnologie» nennt, zum Beispiel Geld dank neuen Technologien wie Blockchain direkt auf das Handy des Empfängers senden.

Ein SWI vorliegendes Informationsblatt erwähnt für die Zukunft eine eigene Lösung, die es den Empfänger:innen potentiell ermöglichen könnte, ihr Guthaben auch direkt zu nutzen.

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«Hauptsache das Geld kommt an»

Die Blockchain-Technologie hat somit das Potenzial, die internationale Zusammenarbeit effizienter, transparenter und inklusiver zu machen. Doch sie ist laut den befragten Fachleuten keine universelle Lösung. «Man muss im konkreten Fall schauen und die Alternativen abwägen”, antwortet Widmer.

Auch für Bumbacher kommt es auf den «Anwendungsfall, die Bedingungen vor Ort und das konkrete Projektziel» an. El Bay pflichtet ihm bei: «Blockchain ist keine fixe Lösung innerhalb von DHoTS, sondern eine von vielen. Der Fokus liegt auf der Digitalisierung von Zahlungsströmen», sagt er. «Hauptsache ist, dass das Geld bei den Menschen ankommt.»

Die Schweiz als Vorreiterin

Die Schweiz spielt eine führende Rolle in der Förderung von neuen Technologien in der Entwicklungszusammenarbeit und in der humanitären Hilfe. In einer Vielzahl von Projekten spielt die Blockchain-Technologie eine Rolle.

Im Rahmen der Climate Ledger InitiativeExterner Link unterstützt die Schweiz Blockchain-basierte Lösungen für Klimaschutzprojekte. Ein anderes Engagement ist die Zusammenarbeit mit dem UNO-Kapitalentwicklungsfonds UNCDF zur Senkung von Transaktionskosten bei RücküberweisungenExterner Link, um finanzielle Inklusion in Entwicklungs- und Schwellenländern zu fördern.

Auch im Privatsektor spielt die Schweiz eine entscheidende Rolle. Mit Projekten wie LACChainExterner Linkin Peru, das digitale Wallets für kleine und mittlere Unternehmen testet, und mit der Förderung von Echtzeitüberweisungs-Lösungen in Kolumbien treibt die Schweiz Innovationen voran, die wirtschaftliche Stabilität und finanzielle Inklusion fördern.

Auch Projekte wie Building BlocksExterner Link des Welternährungsprogramms (WFP), das Blockchain für Geldtransfers einsetzt, werden von der Schweiz mitfinanziert. Zudem fördert die Schweiz Jungunternehmen wie AidonicExterner Link, die Blockchain-Technologie nutzen, um Transparenz und Effizienz in der humanitären Hilfe zu verbessern.

Editiert von Balz Rigendinger

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