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In Genf und im Feld: NGOs im Sturm des US-Förderstopps

Programme ausgesetzt, Teams verkleinert: Das Einfrieren der US-Finanzierung bringt viele in Genf ansässige NGOs in Gefahr. Eine Recherche über ein finanzielles Erdbeben, welches das Internationale Genf beeinflusst und die Zukunft der humanitären Hilfe in Frage stellt.

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«Das ist die schlimmste Situation, die ich je erlebt habe. Wie können unsere Kollegen vor Ort entscheiden, ob sie unterernährten, vergewaltigten oder geschlagenen Kindern helfen sollen?», klagt Craig Tucker, Leiter der Terre-des-Hommes-Einsätze in Nairobi, gegenüber Mise au PointExterner Link, einer Sendung des französischsprachigen Schweizer Radios und Fernsehens (RTS).

Die humanitäre NGO mit Sitz in Genf steht immer noch unter Schock, nachdem sie Ende Januar einen Brief von der Trump-Regierung erhalten hatte. «Keine Mittel der US-Regierung dürfen zur Förderung von Vielfalt, Gleichheit oder Inklusion verwendet werden, auf keiner Ebene und in keiner Weise», hiess es darin.

Barbara Hintermann, die Leiterin von Terres des Hommes Lausanne, sagt, sie sei in 25 Jahren humanitärer Arbeit noch nie mit einer solchen Situation konfrontiert gewesen.

«In dem Schreiben der US-Regierung wurden wir aufgefordert, mehrere Programme von einem Tag auf den anderen einzustellen, insbesondere solche, die sich mit Vielfalt und Inklusion befassen.»

Die Organisation, die zu 10% von der US-Hilfe abhängig ist (ca. 10 Millionen US-Dollar), musste mehrere ihrer Hauptprojekte kürzen. Dazu gehören die Verteilung von Medikamenten und der Zugang zu medizinischer Versorgung in Indien und Libanon sowie die Unterstützung von Minderjährigen in Kenia, die durch Krieg und Flucht traumatisiert sind.

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Spürbare Auswirkungen vor Ort

Um die Auswirkungen dieser Krise vor Ort zu ermessen, begab sich Mise au Point in den Nordosten Kenias, nach Dadaab, nahe der somalischen Grenze. In dieser Stadt, in der mehr als 400’000 Menschen leben – die Hälfte davon Kinder –, machten die amerikanischen Hilfsgelder die Hälfte des Budgets für die Einsätze von Terre des Hommes aus.

Die Folgen sind schwerwiegend: Von den rund 100 Mitarbeitenden der Organisation ist etwa noch die Hälfte übrig. «Das ist ein harter Schlag. Ich kann noch ein oder zwei Monate ohne Lohn auskommen, aber stellen Sie sich die Flüchtlingskinder vor, die aus Ländern wie Somalia geflohen sind, um Hilfe, Schutz und Essen zu suchen», sagt Ali Abdi Abdullah, ein ehemaliger Mitarbeiter von Terre des Hommes in Dadaab.

Aufgrund von Geld- und Ressourcenmangel mussten viele Kinderhilfszentren geschlossen werden. Und die verbleibenden haben keine andere Wahl, als nur die schlimmsten Fälle aufzunehmen.

Auswirkungen auf Genfer NGOs

Die Auswirkungen des Einfrierens der US-Finanzierung sind für das internationale Genf mit seinen über 500 NGOs, von denen etwa 100 stark von der US-Finanzierung abhängig sind, deutlich spürbar.

Diese Organisationen haben gerade einen Fragebogen vom neu gegründeten Department of Government Effectiveness (DOGE) erhalten, das von Elon Musk ins Leben gerufen wurde, mit dem Ziel einer budgetären und ideologischen Säuberung innerhalb der US-Bundesregierung.

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Einige Fragen spiegeln eine politische Linie wider, die sich nur schwer mit Entwicklungszusammenarbeit vereinbaren lässt: «Können Sie bestätigen, dass Ihre Organisation nicht mit Organisationen zusammenarbeitet, die mit kommunistischen, sozialistischen oder totalitären Parteien oder anderen Gruppen mit antiamerikanischen Ansichten verbunden sind?»

Oder: «Können Sie bestätigen, dass es bei diesem Projekt nicht um Klima oder ‹Umweltgerechtigkeit› geht?»

«Die NGOs machen sich Sorgen um ihre Arbeit vor Ort, aber auch um ihre Zukunft hier in Genf, sei es in Bezug auf Arbeitsplätze oder sogar um ihre Existenz», sagt Yannick Roulin, Direktor des Centre d’Accueil de la Genève Internationale (CAGI), der bereits eine Reihe konkreter Auswirkungen feststellt: «Mehrere haben uns Entlassungen, Verkleinerung der Räumlichkeiten, Untervermietung, Absage von Präsenzkonferenzen und Delegiertenbesuchen angekündigt.»

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Impact Initiatives, eine der am stärksten betroffenen Organisationen, liegt nur wenige Schritte vom Genfer Flughafen entfernt und ist auf die Sammlung von Daten aus Krisengebieten spezialisiert, um die humanitäre Hilfe zu optimieren.

Die amerikanischen Gelder machten 60% ihres Budgets aus. Das Ergebnis: Insgesamt über 400 Entlassungen, davon allein 40 in Genf.

«Die Traurigkeit ist im Büro spürbar. Für viele unserer Kollegen war diese Arbeit mehr als ein Beruf: Es war eine Berufung, eine Mission, eine Leidenschaft», sagt Valérie Petitpierre, Einsatzleiterin bei Impact Iniatives.

«Es gibt auch eine grosse Sorge um die Zukunft der internationalen Solidarität und der humanitären Hilfe. Wir spüren das sehr stark.»

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Trotz der aktiven Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten bleibt die Zukunft ungewiss. Der Genfer Staatsrat versuchte, ein Gesetz mit einem Kredit von 10 Millionen Franken zur Unterstützung der ansässigen NGOs zu verabschieden. Während das Gesetz angenommen wurde, scheiterte die Dringlichkeitsklausel nur knapp.

In der Zwischenzeit befürchten die NGOs, die eine der Säulen des Internationalen Genf sind, dass dieses finanzielle Erdbeben tiefe Spuren hinterlassen wird – für ihre Projekte, ihre Teams und vor allem für die Millionen von Menschen, die sie weltweit unterstützen.

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Dieser Artikel ist eine Kollaboration zwischen SWI swissinfo.ch und RTS. Die Umfrage von Mise au Point, die von Romain Miranda verfasst wurde, finden Sie hierExterner Link.

Übertragung aus dem Französischen: Giannis Mavris

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