Krieg im Sudan: «Völlige Straffreiheit für Kriegsverbrechen»
Der Krieg im Sudan hat zur weltweit grössten humanitären Krise geführt. Kriegsverbrechen bleiben ungeahndet. Dass die Verantwortlichen nicht vor Gericht kommen, liegt auch an den zahlreichen Ländern, die im Krieg mitmischen.
Im Sudan herrscht die weltweit grösste humanitäre Krise. Zehn Millionen Menschen wurden vertrieben, 25 Millionen Menschen leiden Hunger, eine Million droht zu verhungern.
Aber die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit fehlt. “Die Krise im Sudan ist eine Tragödie, die in den Nebel der globalen Amnesie gerutscht zu sein scheint», sagte der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk schon im Frühling vor dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf.
Der Kampf tobt zwischen der sudanesischen Armee und der paramilitärischen Schnellen Eingreiftruppen RSF (Rapid Support Forces).
Beide Kriegsparteien hätten die Menschen, die nicht fliehen konnten – oder wollten – leiden lassen, indem sie die medizinische Versorgung zerstörten und die humanitäre Hilfe blockierten, sagte Türk.
Mit dem Morden davongekommen
Bisher wurde niemand für die Kriegs- und humanitären Verbrechen vor Gericht gestellt, zu denen nachweislich sexuelle Gewalt, Folter und willkürliche Inhaftierung gehören.
«Die völlige Straffreiheit für Kriegsverbrechen im Sudan hat dazu geführt, dass Warlords, Milizenführer und Generäle lange Zeit mit dem Morden davongekommen sind», sagt Jan Egeland, Generalsekretär des Norwegischen Flüchtlingsrats und ehemaliger UNO-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten, gegenüber SWI swissinfo.ch.
Zwei Generäle und ein ungesühnter Völkermord
Im Mittelpunkt des Krieges, der im April 2023 begann, stehen zwei Generäle und deren ehemalige Verbündete, die um die Macht und die Ressourcen des Landes, darunter Gold und Öl, kämpfen.
Abdel Fattah Burhan, der faktische Staatschef, befehligt die reguläre Armee (SAF). Im Oktober 2021 hatte er mit Unterstützung seines Stellvertreters und Anführers der RSF, Mohamed Hamdan Dagalo, alias Hemeti, einen Putsch inszeniert, bei dem die Zivilisten aus der Übergangsregierung entfernt wurden. Diese war zwei Jahre zuvor nach einem Volksaufstand und der Vertreibung des Diktators Omar al-Baschir eingesetzt worden.
Burhan und Hemeti spielten bereits eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der Rebellen im Bürgerkrieg von 2003 bis 2005 in der westlichen Region Darfur des Sudans. Burhan war damals Chef der sudanesischen Armee in Darfur.
Hemeti war Kommandant einer der Dschandschawid-Milizen, die von der Regierung zur Bekämpfung der Rebellen eingesetzt wurden.
Ein Imperium aus Gold und Geschäften
Mit 300’000 Toten wurde Darfur als der erste Völkermord des 21. Jahrhunderts bezeichnet. wobei Mitglieder der internationalen Gemeinschaft die Dschandschawid der ethnischen Säuberung und des Einsatzes von Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe beschuldigen.
Hemeti und Mitglieder seiner Miliz landeten nie vor Gericht. Hemetis Macht nahm stark zu, als er nach Beginn der saudi-emiratischen Intervention im Jemen 2015 Kämpfer aus Darfur als Söldner in den Jemen schickte. Heute steht er an der Spitze eines riesigen Geschäftsimperiums, zu dem Beteiligungen an Goldminen gehören.
Burhan und Hemeti sind vom Internationalen Strafgerichtshof ICC bisher nicht angeklagt worden.
Im März 2009 erliess der ICC einen Haftbefehl gegen den damaligen Präsidenten Omar al-Bashir wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und im Juli 2010 einen Haftbefehl wegen Völkermordes.
«Die Armee und die RSF haben stets ungestraft gehandelt, so dass die Verhandlungen, die dem sudanesischen Volk den dringend benötigten Frieden, die Sicherheit und die Würde bringen sollten, weiter ins Stocken geraten sind», erklärte Türk vor dem Menschenrechtsrat.
Sudan-Gespräche bei Genf
Die jüngsten internationalen Gespräche mit den beiden Kriegsparteien fanden ab Mitte August während zehn Tage unter der Leitung der USA in der Region Genf statt.
Die Schweiz war Co-Gastgeberin des Treffens, weitere Teilnehmer waren Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate (UAE), die Afrikanische Union und die UNO.
Die sudanesische Armee war nicht erschienen, nahm aber von Kairo aus virtuell teil. Im Zentrum der Genfer Gespräche stand zunächst das Ziel, dass beide Kriegsparteien die Lieferung von humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung zulassen. Dies sagten die Kriegsparteien zu. Ob sie das in ausreichendem Mass tatsächlich tun, wird sich zeigen.
Unbegrenzte Waffenlieferungen
«Wie in allen Kriegsgebieten – von Gaza über Myanmar bis zur Ukraine – ist der Grund für die anhaltende Straflosigkeit, dass jene, die Einfluss haben, jene, die Waffen liefern, und jene, die Öl ins Feuer giessen, sich nur auf die Gräueltaten der ‹anderen Seite› konzentrieren und nicht darauf, was ihre Verbündeten tun», sagt Egeland. Wie andere Kriege wird auch derjenige im Sudan durch verdeckte Einmischungen verschärft.
Sowohl die SAF als auch die RSF verfügen über ein grosses Waffenarsenal und erhalten finanzielle, politische und militärische Unterstützung aus anderen Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), China, Russland, Serbien, der Türkei und Jemen.
In einem im Januar veröffentlichten Bericht prangerten vom UNO-Sicherheitsrat beauftragte Experten Verstösse gegen das seit 2004 geltende Waffenembargo für Darfur an. Sie verwiesen auf mehrere Länder, darunter die VAE, die beschuldigt wurden, Waffen an die RSF-Paramilitärs zu schicken. Abu Dhabi bestreitet diese Vorwürfe.
Ägypten, das politisch mit den Emiraten verbündet ist, sei bis Juli 2023 der wichtigste Unterstützer der sudanesischen Armee gewesen, sagte Jalel Harchaoui, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim britischen Institut Royal United Services, Mitte August der Nachrichtenagentur AFP. Als weiteren Akteur nennt Harchaoui den Iran, der seit letztem Jahr Drohnen an die sudanesische Armee verkaufe.
Russland, Lybien, die EU
Russland unterstützte über seine paramilitärische Gruppe Wagner zunächst die RSF. Inzwischen hat es seine militärische Unterstützung auf die sudanesische Armee umgestellt, da es an einem Marinestützpunkt am Roten Meer interessiert ist.
Der starke Mann in Ostlibyen, der ebenfalls von den Emiraten unterstützte Marschall Chalifa Haftar, hat laut Harchaoui grosszügige Lieferungen von Treibstoff und Waffen an die RSF ermöglicht.
In der Vergangenheit wurden die RSF auch indirekt von der EU unterstützt und damit gestärkt: Zur Bekämpfung der irregulären Migration vom Horn von Afrika über den Sudan und Libyen nach Europa, finanzierte die EU von 2016 bis 2019 im Rahmen des «Khartum-Prozesses» das Programm «Besseres Migrationsmanagement» mit 40 Millionen Euro. 16 Länder nahmen daran teil, darunter der Sudan. Die RSF von Hemeti wurden mit den Grenzkontrollen betraut.
Und die internationale Justiz?
Anfang August rief der ICC-Chefankläger den UNO-Sicherheitsrat dazu auf, nach «phantasievollen Wegen» zu suchen, um die Gewaltspirale im Sudan zu beenden. «Terror ist an der Tagesordnung», sagte er bei seinem halbjährlichen Briefing des Rates.
Der US-Vertreter wies an der Sitzung darauf hin, dass der Sicherheitsrat von ähnlichen Gräueln bereits vor zwei Jahrzehnten gehört habe. Dass einige derselben Akteure erneut schutzbedürftige Menschen zu Opfer machten, sei möglich, weil die Täter vor 20 Jahren nie vor Gericht gestellt wurden. Weiter forderte er, dass externe Akteure aufhören, die Kriegsparteien zu unterstützen.
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Externer LinkKein Interesse an einer Untersuchung
Um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und Beweise für die Verbrechen zu sammeln, hat der UNO-Menschenrechtsrat in Genf im Oktober 2023 eine Untersuchungsmission eingerichtet. Der Sudan lehnte dies mit der Begründung ab, dass das Land bereits über eine nationale Untersuchungskommission verfüge. Diese untersucht jedoch nur Verstösse der RSF. Die RSF haben bisher nur zugesagt, mit der UNO-Kommission zusammenzuarbeiten.
Die Arbeit der Untersuchungskommission verzögerte sich zunächst, weil die UNO kein Geld zur Verfügung stellen konnte. Der Sudan verweigerte den Kommissionsmitgliedern die Einreise.
Von Januar bis August konnten sie aber Opfer und Augenzeugen im Tschad, in Kenia und Uganda treffen und mit 182 Überlebenden und Augenzeugen von Menschenrechtsverletzungen sprechen, wie der Leiter der Kommission, Mohamed Chande Othman, bei der Veröffentlichung des Berichts Anfang September vor den Medien sagte.
Die Untersuchungskommission sprach auch mit sudanesischen Menschenrechtsaktivisten und Experten für Kinderrechte und sexuelle Gewalt, sagte er. Laut dem Bericht haben die Kriegsparteien Luftangriffe auf Zivilisten durchgeführt und solche willkürlich festgenommen und gefoltert sowie Frauen und Mädchen vergewaltigt.
Othman forderte den Einsatz einer unabhängigen Truppe zum Schutz der Zivilbevölkerung. Der Bericht empfiehlt zudem, das bestehende Waffenembargo für Darfur auf den gesamten Sudan auszuweiten, um die Waffenlieferung einzudämmen.
Kein Frieden für Sudan
Weiter soll die aufgrund einer Resolution des UNO-Sicherheitsrats seit 2005 bestehende Zuständigkeit des ICC für Darfur, auf den gesamten Sudan ausgeweitet werden. Der Bericht fordert auch die Schaffung einer internationalen Justizinstitution, die mit dem ICC zusammenarbeitet, etwa ein Sondergericht.
«Nachhaltiger Frieden kann nur erreicht werden, wenn es in irgendeiner Form Wahrheit, Wiedergutmachung und Rechenschaftspflicht für alle geschädigten Gemeinschaften gibt», sagte Egeland. Dies zu organisieren, sollte die Aufgabe der UNO und der Afrikanischen Union sein. Aus Sicht von Egeland müssen die Nachbarn des Sudans sowie die regionalen und internationalen Mächte diesen Prozess der Gerechtigkeit unterstützen.
Editiert von Virginie Mangin/ts, Übertragung aus dem Englischen: Balz Rigendinger. Bildredaktion: Helen James
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