Meta propagiert Meinungsfreiheit – und bedroht Menschenrechte
![Leichtsinnige Entscheidung: Meta-Gründer Mark Zuckerberg.](https://www.swissinfo.ch/content/wp-content/uploads/sites/13/2025/02/Zuckerberg.jpg?ver=43f446c6)
Durch den Verzicht auf Faktenchecks und die Lockerung der Moderationsrichtlinien in den USA riskiert der Meta-Konzern, wie schon in der Vergangenheit, ohnehin marginalisierte Bevölkerungsgruppen zu schädigen. Die UNO und die EU stellen sich dem entgegen.
«Es ist an der Zeit, zu unseren Wurzeln in Sachen Meinungsfreiheit zurückzukehren», erklärte Meta-Chef Mark Zuckerberg in einem VideoExterner Link vom 7. Januar. Der drittreichste Mann der Welt verwies auf den jahrelangen «Druck von Regierungen und traditionellen Medien» und sprach vom Beginn einer «neuen Ära», die einen «kulturellen Wandel» markiere.
Die Amtseinführung von Präsident Donald Trump am 20. Januar nutzte er, um eine Reihe von Massnahmen zur Bekämpfung der «Zensur», insbesondere auf Facebook und Instagram, anzukündigen.
Faktenprüfende «zu voreingenommen»
Die Änderungen betreffen vorerst nur die Vereinigten Staaten, haben aber bereits weltweit heftige Reaktionen ausgelöst. Insbesondere Menschenrechtsorganisationen sind besorgt über die negativen Auswirkungen, die sie auf bereits gefährdete Bevölkerungsgruppen haben könnten.
Zuckerberg hat klargestellt, dass sein Unternehmen die Faktenprüfer – anerkannte Medienunternehmen, darunter die Agence France-Presse (AFP) – «loswerden» wird, da sie seiner Meinung nach «zu voreingenommen» sind.
Diese werden durch ein System von «Community-Bewertungen» ersetzt, das dem der Plattform X ähnelt, die von Elon Musk geleitet wird, der Donald Trump nahe steht und sich für absolute Meinungsfreiheit einsetzt. In diesem System werden problematische Veröffentlichungen direkt von den Nutzer:innen der Plattformen in einen Kontext gestellt.
Das kalifornische Unternehmen wird auch die Art und Weise ändern, wie es die Inhalte auf seinen Plattformen moderiert. Künftig werden nur noch «illegale» oder «schwerwiegende Verstösse» gegen die Richtlinien des Konzerns – etwa im Zusammenhang mit Terrorismus oder der Ausbeutung von Kindern – automatisch entfernt.
Andere Verstösse müssen von den Nutzer:innen gemeldet werden, während Beschränkungen, insbesondere im Zusammenhang mit Einwanderung oder Geschlecht, aufgegeben werden, da sie «nicht mehr dem vorherrschenden Diskurs entsprechen».
Reale Risiken
«Das ist eine extrem leichtsinnige Entscheidung», meint Deborah Brown, stellvertretende Direktorin für Technologie und Menschenrechte bei Human Rights Watch, einer NGO in New York.
«Ich bin wirklich besorgt über die Auswirkungen, die diese Handhabung auf die Menschenrechte weltweit haben könnte. Wir wissen, dass Fehlinformationen zu Gewalt, Hass und sogar Völkermord führen können.»
Der Einfluss der Plattformen des Meta-Konzerns – zu dem Facebook, Instagram, WhatsApp und Threads gehören – ist immens. Nach Angaben des Unternehmens loggen sich fast vier Milliarden Menschen mindestens einmal im Monat in einen seiner Dienste ein – das ist die Hälfte der Menschheit.
Untersuchungen der Vereinten Nationen, internationaler NGOs und Regierungen haben die Rolle von Facebook bei der Verbreitung von Desinformation und Hassreden aufgezeigt, insbesondere während der US-Wahlen 2016 und der Covid-19-Pandemie.
Ist Entfernen schon Zensur?
Eines der symbolträchtigsten Beispiele ist die Krise in Myanmar im Jahr 2017. Als einzige Informationsquelle für viele Menschen im Land wurde Facebook genutzt, um Gewalt gegen die Rohingya zu fördern. Die Verfolgung dieser muslimischen Minderheit durch das Militär wurde von UN-Ermittlern als Völkermord eingestuft. Das kalifornische Unternehmen hatte selbst eingeräumt, Fehler gemacht zu haben.
«Das Entfernen von Beiträgen, die nicht den Normen der Meinungsfreiheit entsprechen, ist nicht gleichbedeutend mit Zensur», sagt Deborah Brown. Sie zeigt sich besorgt über den Mangel an Transparenz hinsichtlich der Auswirkungen, die die neue Konzernpolitik auf die Verbreitung von Hassreden haben könnte. Sie kritisiert auch das Fehlen eines detaillierten Plans, wie Meta mit den Risiken umgehen wird.
![Die Tech-Giganten Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Sundar Pichai and Elon Musk bei der Vereidigung von US-Präsident Donald Trump.](https://www.swissinfo.ch/content/wp-content/uploads/sites/13/2025/02/Tech-giants.jpg?ver=11552414)
Minderheitsstimmen bleiben isoliert
«Die Entscheidung von Meta wird seine Plattformen für viele Menschen gefährlich machen», befürchtet Stefania Di Stefano, Doktorandin am Geneva Graduate Institute und Expertin für Meinungsfreiheit im Zeitalter der sozialen Netzwerke.
Nachdem das Unternehmen Anfang Januar Joel Kaplan, der der Republikanischen Partei nahe steht, zum Leiter der Moderationspolitik von Meta ernannt hatte, änderte dieser bereits am 7. Januar seine Regeln zu «Hassreden», die er nun «hasserfüllte Inhalte» nennt.
Laut der Forscherin bedeuten diese neuen, vager formulierten Bestimmungen, dass «wenn der ‹vorherrschende Diskurs› Beleidigungen gegen bestimmte Personengruppen übermittelt, Meta diese auf seinen Plattformen tolerieren wird. Das läuft darauf hinaus, den Schutz von Menschen aufzuheben, die bereits marginalisiert werden.“ Dazu gehören LGBT+-Personen, Migrant:innen oder Geflüchtete.
Fortsetzung des Dialogs
Die Vereinten Nationen bemühen sich seit Jahren, die Giganten der sozialen Netzwerke für ihre Verantwortung für die von ihnen verbreiteten Inhalte zu sensibilisieren. Dies geschieht vor allem im Rahmen des B-Tech-Programms des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Genf.
«In der Menschenrechtsszene sind wir leider an Höhen und Tiefen gewöhnt», sagt Scott Campbell, Leiter des Teams für Menschenrechte und digitale Technologie. «Meta hatte viel in die Reflexion seiner menschenrechtlichen Verantwortung investiert und dabei greifbare Fortschritte erzielt. Aber wir sind sehr besorgt über seine jüngste Entscheidung.»
Meta hatte sein Faktenprüfungssystem 2016 als Reaktion auf die Desinformationsskandale eingeführt, mit denen der Konzern konfrontiert war. In der Folge hatte das Unternehmen ein Aufsichtsgremium (Oversight Board) eingerichtet, das die Moderationsentscheidungen auf den Plattformen des Unternehmens unabhängig überprüft und auch einen Menschenrechtsbericht veröffentlicht.
«Unser Ansatz ist es, den Dialog fortzusetzen», fügt Scott Campbell hinzu, der angibt, sich seit dem 7. Januar bereits mit Meta getroffen zu haben. «Wir haben unsere ernsthaften Bedenken zum Ausdruck gebracht.»
Facebook vs. Brüssel
Der internationale Rechtsrahmen für Menschenrechte ist jedoch für Unternehmen nicht bindend. Daher liegt es in der Verantwortung der Staaten, Gesetze zu erlassen.
«Wir setzen uns dafür ein, dass die Staaten Regelungen einführen, die ihren internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte entsprechen. Aber das ist nicht einfach. Die Gesetze müssen es jedem ermöglichen, sicher zu partizipieren, ohne die sogenannten schrecklichen, aber legalen Meinungen zum Schweigen zu bringen», erklärt Scott Campbell vom UN-Büro für Menschenrechte.
![Druck auf Zuckerberg aus der Zivilgesellschaft: Protest vor der EU-Kommission.](https://www.swissinfo.ch/content/wp-content/uploads/sites/13/2025/02/Activist.jpg?ver=533032fa)
Europa ist hier Vorreiter. Insbesondere das 2022 verabschiedete EU-Gesetz über digitale Dienste verlangt von Social-Media-Plattformen, gegen Desinformation und illegale Inhalte vorzugehen.
«Die Entscheidung des Meta-Chefs ist vor allem politisch. Es ist eine stillschweigende Übereinkunft mit der Trump-Regierung, einen Laissez-faire-Ansatz in Sachen Moderation zu verfolgen, im Gegenzug dafür, dass der US-Präsident jede Form von Regulierung aus Europa bekämpfen wird», meint Jérôme Duberry, Direktor des Tech Hub am Geneva Graduate Institute.
Wie konsequent ist die EU?
Das Faktenprüfungsprogramm von Meta, das ausserhalb der USA fortbestehen wird, ist für das Unternehmen kostspielig. Es könnte daher versuchen, seine Praktiken weltweit zu harmonisieren, um Kosten zu sparen. Dabei könnte das Unternehmen jedoch an die Grenzen des europäischen Rechtsrahmens stossen, der bei Nichteinhaltung hohe Bussgelder vorsieht.
«Der Test wird sein, zu sehen, ob die Europäische Union ihre Vorschriften konsequent durchsetzt oder ob sie im Gegenteil Flexibilität zeigt», sagt Stefania Di Stefano. In einem angespannten politischen Umfeld in Europa und angesichts eines protektionistischen und unberechenbaren Donald Trump ist es fraglich, ob sich die europäischen Länder sich auf ein Kräftemessen mit einem der Schwergewichte der amerikanischen Wirtschaft einlassen werden.
Editiert von Virginie Mangin, aus dem Französischen übertragen von Michael Heger
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