Was erwartet das Internationale Genf im Jahr 2025?
Wird Donald Trump dem internationalen Genf den Geldhahn zudrehen? Bekanntlich sind die dortigen Organisationen stark von der Finanzierung durch die USA abhängig. Trotz der Ungewissheit werden die Organisationen vor Ort versuchen, das humanitäre Kriegsrecht wiederzubeleben und den Opfern von Konflikten auf der ganzen Welt zu helfen. Ein Überblick über die Lage.
Die Stadt Genf ist europäischer Sitz der Vereinten Nationen und die Wiege der humanitären Hilfe. Die dortigen Organisationen leben im Rhythmus der Kriege und spüren in ihren Aktivitäten die grossen Veränderungen dieser Welt wie Klimawandel, Geopolitik, Hunger- oder Wirtschaftskrisen. Das Jahr 2024 hat das Internationale GenfExterner Link stark gefordert und 2025 verspricht kaum besser zu werden.
Trump zum Zweiten
Der gewählte US- Präsident Donald Trump wird am 20. Januar 2025 ins Weisse Haus zurückkehren. Die Folgen seiner Wahl sind für die Akteure des internationalen Genfs noch schwer abzuschätzen, denn der Republikaner ist vor allem eines: unberechenbar.
Alles deutet jedoch darauf hin, dass er seinen Kampf gegen den Multilateralismus fortsetzen wird. Während seiner ersten Amtszeit hatte er sein Land aus mehreren internationalen Gremien zurückgezogen und Verträge aufgekündigt, darunter der Menschenrechtsrat und das Pariser Abkommen.
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Was bedeuten die US-Wahlen für das internationale Genf?
Auch die Welthandelsorganisation WTOExterner Link hat schlechte Erinnerungen an den wirtschaftlichen Protektionismus von Donald Trump. Seine Regierung hatte das für Handelsstreitigkeiten zuständige UN-Organ blockiert und China mit regelwidrigen Zöllen belegt. Trump hat bereits angekündigt, die Einfuhrzölle auf Waren aus Kanada, Mexiko und China erhöhen zu wollen.
Unsicherheiten und Ängste gibt es momentan insbesondere in Hinblick auf die finanziellen Beiträge der USA für die Organisationen des Internationalen Genfs. Washington ist bei weitem der grösste Geldgeber für die Vereinten Nationen (28% der Gesamtbeiträge) und insbesondere für mehrere ihrer Genfer Spezialorganisationen, darunter das Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCRExterner Link), das die USA sogar zu einem Anteil von 40,7% finanzieren.
Donald Trump hat Elise Stefanik als neue UNO-Botschafterin der USA im künftigen Kabinett nominiert. Es handelt sich um eine Kongressabgeordnete aus New York ohne diplomatische Erfahrung. Sie hat bereits erklärt, dass die Finanzierung der UNO durch die USA aufgrund einer vermeintlich antiisraelischen Voreingenommenheit der Organisation «einer vollständigen Neubewertung» unterzogen werden müsse.
Eine genaue Vorhersage der anstehenden Haushaltskürzungen ist im Moment nicht möglich. Doch sicher ist: Solche Kürzungen hätten enorme Auswirkungen auf die Vereinten Nationen, die sich vor kurzem bereits mit einer Liquiditätskrise konfrontiert sahen.
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Licht aus, Büros zu: Geldprobleme behindern die UNO in Genf
Humanitäres Recht wiederbeleben
Im Jahr 2024 begingen die Genfer KonventionenExterner Link ihr 75-jähriges Bestehen. Doch statt ein Jubiläumsjahr mit der Stärkung des humanitären Völkerrechts und mehr Schutz für die Zivilbevölkerung und zivile Infrastruktur in kriegerischen Konflikten zu feiern, musste eher eine traurige Bilanz gezogen werden.
Das humanitäre Kriegsrecht wird nach wie vor weitgehend missachtet – in der Ukraine, im Nahen Osten, im Sudan und in vielen anderen Konfliktgebieten. Das zeigt auch die Rekordzahl von Opfern in der humanitären Hilfe im Jahr 2024. Bis Ende November wurden mehr als 280 Helfer:innen in 19 Ländern getötet, die meisten von ihnen im Gazastreifen.
+ Hören Sie hier den Podcast Inside Geneva (auf Englisch): «75 Jahre Genfer Konventionen: Sind sie noch wirksam?«
Angesichts dieser Entwicklung hat das Internationale Komitee des Roten KreuzExterner Link (IKRK) zusammen mit sechs Staaten – Brasilien, China, Frankreich, Jordanien, Kasachstan und Südafrika – eine globale Initiative ins Leben gerufen, um dem humanitären Völkerrecht wieder politische Priorität zu verleihen. Es werden Empfehlungen für eine stärkere Einhaltung dieses Rechts erarbeitet. Für 2026 ist ein hochrangiges Treffen vorgesehen.
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Was bei den Schlagzeilen um Verletzungen des Völkerrechts vergessen geht
Die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen wird ihrerseits im März 2025 auf Ersuchen der UNO-Generalversammlung im Rahmen des Nahostkonflikts eine «Konferenz der Hohen Vertragsparteien» organisieren. Dabei wird es um die Einhaltung der vierten Konvention gehen, die den Schutz der Zivilbevölkerung gewährleisten soll.
Die Konferenz soll die Regeln des humanitären Völkerrechts und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen der Staaten bekräftigen.
Humanitäre Hilfe unter Druck
Wie jedes Jahr legte das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA)Externer Link Anfang Dezember in Genf seine Schätzung des Finanzbedarfs für humanitäre Hilfe für das kommende Jahr vor. Es schätzt, dass 2025 weltweit 305 Millionen Menschen Hilfe benötigen werden. Die Organisation strebt an, mit ihren Hilfspakten 190 Millionen Menschen in 33 Ländern zu erreichen. Dafür wären 47 Milliarden US-Dollar nötig.
Da jedoch mehrere Länder, darunter auch die Schweiz, ihre Budgets für internationale Hilfe und Zusammenarbeit kürzen, wird es schwieriger denn je sein, diese Summe aufzubringen. Die in Genf angesiedelten Hilfsorganisationen unterstreichen bei jeder Gelegenheit, dass die fehlenden Finanzmittel einen Schicksalsschlag für etliche Menschen bedeutet, die keine lebenswichtige Hilfe erhalten werden. Bis Anfang Dezember waren nur 43% der für 2024 beantragten 50 Milliarden US-Dollar bewilligt worden.
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Schweizer Hilfsorganisationen warnen: Sparpläne des Bundes treffen die Ärmsten
2025 wird ein entscheidendes Jahr für die humanitäre Hilfe in Gaza sein. Das israelische Parlament verabschiedete Ende Oktober zwei Gesetze, die Tätigkeiten des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNRWAExterner Link im Land verbieten und den Kontakt zwischen israelischen Beamt:innen und der UN-Organisation untersagen. Die Gesetze, die innerhalb von drei Monaten in Kraft treten müssen, würden die Arbeit der UNRWA im Westjordanland und im Gazastreifen, wo sie das Rückgrat der humanitären Hilfe bildet, de facto verunmöglichen.
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Das israelische Parlament will die UNRWA verbieten – was heisst das?
Israel beschuldigt die UNRWA, von der Hamas infiltriert zu sein. Mehrere Mitarbeitende sollen nach israelischen Angaben an den Terroranschlägen der Hamas gegen Israel am 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein. Für diese Behauptungen konnten zwei Untersuchungen – eine externe und eine interne – keine Beweise erbringen. Da Israel die Verteilung der humanitären Hilfe in dem durch mehr als ein Jahr Krieg verwüsteten Gazastreifen privatisieren will, ist die Zukunft der UNRWA in der palästinensischen Enklave äusserst unsicher.
Eine neue Herausforderung für die Schweiz
Zwei Jahre war die Schweiz nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten NationenExterner Link. Nun steht sie davor, das höchste politische Gremium der Vereinten Nationen wieder zu verlassen. Sie wird dann dem UN-MenschenrechtsratExterner Link beitreten, dem UNO-Organ, das für die Einhaltung der Grundrechte in der ganzen Welt verantwortlich ist.
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Was die Schweiz im UNO-Sicherheitsrat erreicht hat
Die Schweiz wurde für eine dreijährige Amtszeit – von 2025 bis 2027 – in den Menschenrechtsrat gewählt. Bern übernimmt zudem für das Jahr 2025 – zum ersten Mal in seiner Geschichte – den Vorsitz dieses in Genf ansässigen Gremiums. Mit der Übernahme dieses Amtes wird die Schweiz für die Leitung der Sitzungen verantwortlich sein, die mindestens drei Mal pro Jahr stattfinden. Sie wird auch die Möglichkeit haben, Kandidat:innen für das Amt des Sonderberichterstatters oder der Sonderberichterstatterin vorzuschlagen. Ausserdem kann die Schweiz Expert:innen ernennen, die die Untersuchungen des Rates leiten werden.
Der Menschenrechtsrat wurde 2006 gegründet und hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Da keines seiner 47 Mitglieder über ein Vetorecht verfügt, konnte er auch dann handeln, wenn der Sicherheitsrat blockiert war, beispielsweise durch die Einleitung von Untersuchungen zu möglichen Kriegsverbrechen in der Ukraine oder in Syrien. Die Debatten im Menschenrechtsrat sind jedoch härter geworden, was die Arbeit des Gremiums bei einigen Themen verkompliziert hat.
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Wird der Menschenrechtsrat zum «Mini-Sicherheitsrat»?
Wann kommt der Pandemievertrag?
Ein PandemievertragExterner Link sollte 2024 fertig sein, wird aber wohl erst 2025 vorliegen. Die Mitgliedsländer der in Genf angesiedelten Weltgesundheitsorganisation WHOExterner Link hatten 2021 beschlossen, einen solchen Vertrag auszuhandeln. Dieser Vertrag soll es der Organisation und ihren 194 Mitgliedern ermöglichen, eine neue Pandemie möglichst zu verhindern und zumindest effizienter zu bekämpfen.
Auf der letzten Weltgesundheitsversammlung im Mai 2024 in Genf erhielten die Verhandlungsführer:innen ein weiteres Jahr Zeit, um sich zu einigen. Der Vertrag soll im Mai 2025 am nächsten Treffen des WHO-Entscheidungsgremiums verabschiedet werden.
In mehreren Bereichen konnten sich die beteiligten Staaten jedoch noch nicht einigen. Das geistige Eigentum, der Austausch von Informationen über Krankheitserreger und der gerechte Zugang zu Impfstoffen sind nach wie vor Konfliktpunkte. Da die Staaten auf ihren Positionen beharren, besteht die Gefahr, dass die Verhandlungen zu einer wenig griffigen Abschlussvereinbarung führen, die weit von den ehrgeizigen und ursprünglich angestrebten Zielen entfernt ist.
Editiert von Samuel Jaberg; Übertragung aus dem Französischen Gerhard Lob/me
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Das Internationale Genf
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