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Wie die Impfallianz Gavi die Impfstoffproduktion in Afrika vorantreibt

Gruppenbild
Das BioNTech-Produktionszentrum in Kigali wird mit viel Politprominenz eingeweiht. Keystone/AFP or licensors

Der zwischenstaatliche Umgang mit der Covid-Pandemie war unsolidarisch. Als Impfstoff zur Verfügung stand, wurde rasch beliefert, wer zahlen konnte. Vor allem Afrika ging zunächst leer aus. Ein neuer, von der Impf-Allianz Gavi lancierter Fonds soll nun mehr Gerechtigkeit bringen und die Impfstoffherstellung in Afrika fördern.

Während der Pandemie liess der US-Konzern Johnson & Johnson in Südafrika Covid-19-Impfstoff herstellen. Obwohl Südafrika damals keine Schutzimpfungen für die eigene Bevölkerung hatte, wurde dieser nach Europa exportiert. Die Impfstoffvergabe während der Pandemie war sehr unsolidarisch. Wie kann die Situation gerechter werden?

Laut der in Genf ansässigen Impf-Allianz Gavi hat sich ein besserer Zugang zu Impfungen inzwischen zur internationalen Priorität entwickelt. Dazu soll die Impfstoffproduktion künftig dezentralisiert werden, ein Ansatz, den die G7- und G20-Staaten breit unterstützen.

Portrait
Die Programmleiterin der Gavi Vaccine Alliance, Aurelia Nguyen, während eines Interviews mit AFP in Genf am 18. Januar 2024. AFP/AFP or licensors

Zu der Impf-Allianz Gavi, die ärmere Länder besser mit Impfstoffen versorgen will, zählen UNO-Organisationen wie WHO, Unicef, die Weltbank, Entwicklungs- und Geberländer, die Impfstoffindustrie, Forschungsinstitutionen, die Gates Foundation und Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

Der volle Name der Gavi-Allianz lautet auf Deutsch «Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung».

Historische Änderung

«Afrika importiert heute 99% der Schutzimpfungen, die auf dem Kontinent benötigt werden», sagt David Kinder, Gavi-Direktor für Entwicklungsfinanzierung, im Gespräch mit SWI swissinfo.ch. Dies betrifft etwa Impfungen gegen die Krankheiten Malaria oder Cholera, die jedes Jahr hunderttausende Kinder töten.

Gavi schafft nun ein neues Finanzierungsinstrument, um die Impfstoffherstellung in Afrika zu fördern: den African Vaccine Manufacturing Accelerator (AVMA).

Dieses Instrument soll die Impfstoffproduktion auf dem afrikanischen Kontinent steigern. Die Afrikanische Union will bis 2040 insgesamt 60% der in Afrika benötigten Impfstoffe auf dem eigenen Kontinent herstellen. Der AVMA ist ein Fonds, der über zehn Jahre mit einer Milliarde Dollar dotiert ist.

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Das Geld stammt aus der Covax-Initiative. Diese 2020 gestartete multilaterale Einrichtung, um ärmere Länder mit Impfstoff gegen das Covid-19-Virus zu versorgen, wurde im Dezember 2023 beendet.

«Das Ziel von Gavi ist es, mit dem AVMA einen Markt zu schaffen, um die Impfstoffpreise zu senken», sagt David Kinder. Als eine der grössten Abnehmerinnen von Impfstoffen weltweit, sende die Gavi-Allianz mit dem AVMA ein starkes Signal an die globalen Märkte, dass die Allianz die afrikanische Impfstoffherstellung unterstütze.

Impfung
Eine kenianische Gesundheitshelferin erhält eine Dosis des Impfstoffs von Oxford/AstraZeneca, der Teil des COVAX-Mechanismus von GAVI (The Vaccine Alliance) zur Bekämpfung von COVID-19 ist. AFP/AFP or licensors

Der Entscheid für den AVMA weist in eine neue Richtung. Bisher hat die Gavi-Allianz ihr Budget für die Beschaffung von Impfstoffen vor allem bei den weltweit grössten Pharmaherstellern eingesetzt. Lange galt dieser Ansatz als kosteneffizient. Er verstärkte aber auch die Konzentration der Impfstoffproduktion bei wenigen Herstellern und liess kaum Raum für neue Anbieter:innen. Der offizielle Start des AVMA ist am 20. Juni in Paris geplant.

Vorrangige Impfstoffe und Technologien

Wie funktioniert der AVMA? Der Fonds unterstützt afrikanische Hersteller mit zwei Anreizzahlungen, die ihnen helfen, gleiche Wettbewerbsbedingungen mit anderen Produzenten auf der Welt zu schaffen, wie David Kinder ausführt.

Die Gavi-Allianz hat Impfstoffe definiert, die der Fonds vorrangig fördern soll. Neben jenen gegen Cholera und Malaria gehören dazu auch solche gegen Masern-Röteln, Gelbfieber oder Ebola.

Zudem will Gavi Teile des AVMA auf neue Technologien ausrichten, die es afrikanischen Herstellern ermöglichen, ihre Produktion bei einer nächsten Pandemie rasch anzupassen.

Dazu zählen die synthetischen genbasierten mRNA- und viralen Vektorimpfstoffe. Diese enthalten, anders als bisherige Vakzine, keine inaktivierten Erreger, sondern schleusen nur den genetischen Bauplan für Erreger-Antigene in menschliche Zellen ein. Die Zellen bauen dann anhand dieser Anleitung selbst Antigene, die eine Immunantwort hervorrufen.

Eine erste Zahlung zwischen 10 und 25 Millionen Dollar erhalten afrikanische Hersteller vom AVMA, wenn sie von der WHO die Präqualifikation, eine Form der Zulassung, für ihren Impfstoff erlangen. Die Höchstbeträge sind dabei für mRNA- und Vektorimpfstoffe vorgesehen.

Die zweite Zahlung soll afrikanische Produzenten dabei unterstützen, bei Gavi-Ausschreibungen zum Kauf von Impfstoff auch tatsächlich den Zuschlag zu bekommen.

«Sie erhalten pro Dosis zwischen 0,3 und 0,5 Dollar, um zu gleichen Bedingungen mit unseren etablierten Herstellern konkurrieren zu können», sagt David Kinder.

Dies helfe ihnen auch bei der Beschaffung von Geldern, etwa von der Weltbank oder der Europäischen Entwicklungsbank (EIB). In Afrika wird zurzeit kein Impfstoff mit der mRNA- oder Vektorvirus-Technologie produziert.

Ein Mann vor einer Maschine.
Ein Angestellter des gabunischen Pharmaunternehmens Sogafam prüft eine Maschine zur Herstellung von Tabletten 04. März 2005, in der Fabrik in Owendo, südlich von Libreville. AFP/2005 AFP

Bisher ist mRNA auch nur für den Corona-Impfstoff zugelassen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt Regierungen dabei, Produktionskapazitäten aufzubauen.

«Wir haben in Südafrika ein Technologietransfer-Zentrum für mRNA geschaffen, das die Technologie an unsere Partner in 15 Ländern weitergeben soll», erläutert Martin Friede, Co-Leiter des WHO-Programms für mRNA-Technologietransfer.

Ungleiche Marktmächte

Aus Sicht von Friede wäre es ohne AVMA sinnlos, von einer breiten Impfstoffproduktion in Afrika zu sprechen. Es gebe jedoch verschiedene Meinungen dazu, ob dieses Projekt ausreiche.

Die Bioingenieurin Els Torreele ihrerseits sieht ein Problem darin, dass Gavi offenbar erwarte, «der Markt» könne die Lösung für gesundheitliche Gerechtigkeit bieten.

Sie argumentiert mit einem WHO-BerichtExterner Link, der die ungleichen Mächte im Impfstoffmarkt dokumentiert. 2021 hatten vier internationale Unternehmen (Merck/MSD, Pfizer, GSK, Sanofi) wertmässig 73% des weltweiten Impfstoffmarktes und produzierten (ohne Covid-19) mengenmässig 24% der Dosen.

Dagegen produzierte das Serum Institute of India 20% aller Impfstofflieferungen (ohne Covid-19), die aber nur 2% des Weltmarktwertes ausmachten. Ähnlich war es laut WHO in den Jahren davor.

Torreele war Gründungsmitglied der Genfer NGO DNDI, die sich mit der Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten befasst, und arbeitet heute als unabhängige Forscherin am University College London.

Kein Geld für Produktepipeline

Die Weltbank und die EIB finanzieren laut Torreele zum Beispiel den Aufbau von Infrastrukturen oft mit Krediten oder Investitionen, die Erträge bringen müssen. Aber es mangle an der Finanzierung der klinischen Entwicklung und der Nachweise für die Zulassungsunterlagen.

So habe etwa das südafrikanische Unternehmen Afrigen grosse Schwierigkeiten, Geld für den Aufbau der mRNA-Produktepipeline zu erhalten, obwohl es im Fokus der von der WHO koordinierten Initiative zur Dezentralisierung der mRNA-Produktion stehe.

Die Produktion sollte nach Meinung der Bioingenieurin Torreele nicht nur lokal erfolgen, sondern auch in die nationale und regionale Gesundheitspolitik eingebettet sein – um die Chancengleichheit zu erhöhen.

Die aktuellen AVMA-Dokumente definierten die lokale Produktion jedoch bloss als geografisch in Afrika gelegen, führt Torreele aus.

Damit komme jeder internationale Konzern für eine AVMA-Finanzierung in Frage, der in Afrika Impfstoffe durch eine Tochtergesellschaft herstelle.

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Dass dies nicht zu gerechten Resultaten führe, habe gerade die Herstellung von Corona-Impfstoffen durch Johnson&Johnson in Südafrika gezeigt.

Technologietransfer finanzieren

AVMA plant nicht, Geld für den Erwerb von Technologietransfer (TT) aufzuwenden. Dies soll indirekt geschehen: Wenn beispielsweise ein indischer Hersteller in die Produktionsanlagen eines afrikanischen Produzenten investiert.

Torreele fordert hingegen, Technologietransfer direkt zu unterstützen. Sie sagt, TT-Verträge zwischen Unternehmen müssten dabei fair und förderlich für den Aufbau lokaler Produktionskapazitäten sein. Oft seien aber die Bedingungen restriktiv, weil ein Unternehmen seine Konkurrenten nicht stärken wolle. Auch Friede von der WHO würden eine verstärkte TT-Finanzierung begrüssen.

Aus Sicht des internationalen Verbands der Pharmaindustrie IFPMA braucht es für ein nachhaltiges Impfstoff-Ökosystem und einen gerechten Zugang zu innovativen Vakzinen in Afrika die Zusammenarbeit aller Interessengruppen.

Torreele betont hingegen, für eine gerechte Versorgung mit Impfstoffen müssten Entwicklungsländer und lokale Hersteller die Entscheidungsgewalt über die Technologie und die Einrichtungen für die Impfstoffproduktion haben. Sie müssten entscheiden können, was und für wen sie produzieren.

«Der Biotech-Sektor in Afrika ist noch jung», meint David Kinder von Gavi. Es werde einige Zeit dauern, bis die neuen Hersteller die erforderliche Grösse für eine nachhaltige Produktion erreichen.

Editiert von Virginie Mangin/ts, aus dem Englischen übertragen von Benjamin von Wyl

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