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Wie die UNO bis 2030 alle Schulen an das Internet anschliessen will

Drei afrikanische Kinder schauen auf den Bildschirm eines Tablets
2023 hat Giga dazu beigetragen, die Noonkopir Grundschule in Kenia mit einem Internetzugang auszustatten. Giga

Unicef und ITU sind zwei in Genf ansässige UNO-Agenturen mit einem ehrgeizigen Plan: Sie wollen bis 2030 alle Schulen weltweit ans Internet anschliessen. Alex Wong, Co-Direktor des Projekts Giga, erläutert die Initiative zur Überwindung der digitalen Kluft.

Fast die Hälfte der sechs Millionen Schulen weltweit hat keinen Zugang zum Internet. Die meisten davon befinden sich in Entwicklungsländern und abgelegenen ländlichen Gebieten.

Um diesen digitalen Graben zu überwinden, haben sich die Internationale Fernmeldeunion (ITU) und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) zum Ziel gesetzt, bis 2030 alle Schulen weltweit ans Internet anzuschliessen.

Bis dahin sind es nur noch sechs Jahre. Ist das realisierbar? Und wird der Zugang zum Internet wirklich zu mehr Gleichheit in der Welt beitragen?

SWI swissinfo.ch sprach Anfang Juli mit Alex Wong, Co-Leiter des Projekts Giga bei der ITU, am Rand des ersten Giga Connectivity Forums in Genf. Dort soll bis Ende Jahr ein neuer Hub eröffnet werden.

Ein Mann
Alex Wong ist Co-Leiter des Projekts Giga und Senior Advisor bei der ITU. ITU

SWI swissinfo.ch: Warum ist es wichtig, dass Schulen auf der ganzen Welt über einen Internetanschluss verfügen?

Alex Wong: Fast die Hälfte der geschätzten sechs Millionen Schulen weltweit sind noch nicht ans Internet angeschlossen. Das verwehrt rund 500 Millionen Kindern und Jugendlichen den Zugang zur Online-Bildung.

Die Covid-Krise hat die Herausforderungen und die Bedeutung der digitalen Vernetzung deutlich gemacht. Heute stellen wir fest, dass Kinder, die während der Pandemie keinen Zugang zum Internet hatten, nicht nur in der Bildung, sondern auch bei der Teilhabe an der Gemeinschaft und bei der Sicherung von Arbeitsplätzen für die Zukunft einen Rückstand aufweisen.

Von dieser digitalen Kluft sind Entwicklungsländer und abgelegene Gebiete unverhältnismässig stark betroffen. In Ländern mit hohem Einkommen haben etwa 90% der Bevölkerung regelmässig Zugang zum Internet, während dieser Anteil in Ländern mit niedrigem Einkommen auf etwa 40% sinkt.

Ebenso geben die Menschen in Ländern mit hohem Einkommen durchschnittlich 0,4% ihres monatlichen Einkommens für den Internetzugang aus, während diese Ausgaben in Ländern mit niedrigem Einkommen durchschnittlich 8,6% des Einkommens ausmachen und sogar bis zu 20% erreichen können.

Das bedeutet, dass das Internet in Ländern mit niedrigem Einkommen etwa 20-mal weniger erschwinglich ist. Von den 2,6 Milliarden Menschen, die weltweit keinen Zugang zum Internet haben, sind die meisten Frauen und Mädchen.

Das Projekt Giga geht diese Ungleichheiten an und versucht, jedem jungen Menschen Zugang zu Informationen, Chancen und Wahlmöglichkeiten zu verschaffen.

Die Anbindung von Schulen ermöglicht es Kindern, digitale Kompetenzen zu entwickeln und Zugang zu Online-Lerninhalten zu erhalten.

Darüber hinaus können Schulen zu Ankerpunkten für den Internetzugang in den umliegenden Gemeinden werden.

Wie funktioniert Giga konkret, um Schulen online zu bringen?

Unser Ziel ist es, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Daten und Instrumenten, um das Engagement von Investoren für unser Projekt zu erleichtern.

Wir beginnen damit, die Standorte der Schulen zu kartieren und ihren Vernetzungsstatus in Echtzeit zu überwachen.

Seit dem Start des Projekts im Jahr 2019 haben wir mehr als 2,1 Millionen Schulen auf der ganzen Welt kartiertExterner Link, indem wir Künstliche Intelligenz eingesetzt haben, um Schulen auf Satellitenbildern automatisch zu identifizieren, unter anderem in Ghana, Kenia, Niger, Ruanda und Sierra Leone.

Anschliessend modellieren wir die Infrastruktur und die Investitionen, die erforderlich sind, um eine Netzanbindung herzustellen. In einer späteren Phase unterstützen wir die Regierungen dabei, die Finanzierung zu sichern und in Zusammenarbeit mit dem Privatsektor Verträge über die Anbindung der Schulen mit Dienstleistern abzuschliessen.

Die Giga-Vernetzungskarte zeigt grüne Punkte für angeschlossene Schulen, rote Punkte für nicht angeschlossene Schulen und blaue Punkte für Schulen mit unbekanntem Status:

Externer Inhalt

Giga ist jetzt in 34 Ländern aktiv und hat 2,1 Millionen Schulen erfasst. Was sind die grössten Herausforderungen, die sich Ihnen stellen?

Die meisten unserer Programme in diesen Ländern befinden sich noch im Anfangsstadium der Kartierung und Modellierung. Bis heute hat Giga den Zugang zur Vernetzung für 14’500 Schulen verbessert, was fast 7,8 Millionen Schülerinnen und Schülern zugutekommt.

Die grösste Herausforderung war der Zugang zu Daten über die Standorte der Schulen und den Status der Vernetzung.

Wir treten nun in die Finanzierungs- und Vertragsphase ein und freuen uns darauf, weitere Schulen anzuschliessen. Wir hoffen, dieses Modell in Zukunft auf nationaler Ebene demonstrieren zu können.

Wie werden die lokalen Gemeinden von der Vernetzung der Schulen profitieren?

Die Boston Consulting Group untersuchteExterner Link, wie die Vernetzung der Schulen die umliegenden Gemeinden anbinden könnte. Dabei wurde festgestellt, dass etwa 90% der Kosten für die Netzanbindung der Schulen durch die Einbeziehung anderer Nutzerinnen und Nutzer gedeckt werden könnten.

Während der Schulzeit könnten beispielsweise drei bis vier Klassenräume gleichzeitig mit einer Mindestanbindung von 20 Mbit/s auf das Internet zugreifen.

Nach Schulschluss könnte dieselbe Verbindung 30 bis 40 Anschlüsse im nahe gelegenen Dorf bedienen, möglicherweise über ein Wlan-Netzwerk. Das bedeutet, dass die Schule und die Schulkinder nicht selbst für ihren Anschluss bezahlen müssen.

Wie Sie sagten, befinden sich die nicht vernetzten Schulen oft in abgelegenen Gebieten. Ist zu befürchten, dass der Internetzugang vor allem eine «westliche» Sichtweise von Bildung fördert, die traditionelle Lernmethoden in den Schatten stellt?

Das Erreichen einer sinnvollen Vernetzung wurde von allen 193 UNO-Mitgliedstaaten als oberste Priorität bezeichnet. Natürlich ist die Bewahrung lokaler Inhalte für die UNO von entscheidender Bedeutung.

Bei Giga konzentrieren wir uns auf die Bereitstellung grundlegender Vernetzung und nicht auf den Inhalt. Viele andere UNO-Agenturen wie Unicef und Unesco befassen sich jedoch mit inhaltbezogenen Fragen und dem Schutz von Kindern im Internet.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Gewährleistung eines sicheren und erschwinglichen Internetzugangs für alle Menschen bis 2030 ein universelles Ziel ist.

Ein Schulgebäude in Afrika
Die Noonkopir Primary School in Kenia wurde mit Unterstützung von Giga 2023 kartiert und vernetzt. Giga

Giga hat Partner wie die Musk Foundation, Ericsson und Dell. Könnten diese Unternehmen die Initiative nutzen, um ihren Markt auf unterentwickelte Gebiete auszuweiten?

Die ITU verfolgt einen Multi-Stakeholder-Ansatz, der Regierungen, den Wirtschaftssektor, die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft und andere technische Fachpersonen einbezieht. Wir brauchen die Zusammenarbeit aller Beteiligten, denn der öffentliche Sektor kann diese Veränderungen nicht allein umsetzen.

Nutzen die Unternehmen die Gelegenheit, um für sich zu werben? Ich gehe davon aus, dass sie das tun.

Aber es gibt Schutzmechanismen, wie zum Beispiel die Prinzipien der Unparteilichkeit und Neutralität der ITU. In unseren Partnerschaftsvereinbarungen ist klar festgelegt, dass wir keine bestimmte Technologie oder bestimmten Ansatz fördern.

Wie geht es weiter? Sind Sie zuversichtlich, dass Sie Ihr Ziel bis 2030 erreichen werden?

Die grosse Entwicklung in diesem Jahr wird die Eröffnung des Giga Global Connectivity Centre in Genf sein. Es wird Workshops über einen Learning Hub anbietet und Strategien für die Finanzierungs- und Vertragsphase entwickeln.

Letztes Jahr haben wir auch unser Giga Tech Centre in Barcelona eröffnet, wo unsere Ingenieurinnen und Datenwissenschaftler unsere Open-Source-Technologieprodukte entwickeln.

Diese neuen Zentren werden weitere Fortschritte ermöglichen, und wir hoffen, dass wir bis 2027 konkrete Ergebnisse bei der Vernetzung von Schulen sehen werden.

Welche Ergebnisse erwarten Sie vom ersten Giga Connectivity Forum in Genf?

Zum ersten Mal kommen alle an Giga beteiligten Länder zusammen. Rund 70 Regierungsvertretende aus 25 Ländern sowie lokale und internationale Fachleute nehmen am Forum teil.

Unser Ziel ist es, der Gemeinschaft die Möglichkeit zu geben, sich auszutauschen, die Fortschritte zu bewerten und die verschiedenen Instrumente und Rahmenbedingungen vorzustellen, an denen wir bei der ITU gearbeitet haben.

Es ist auch eine Gelegenheit, die Rolle des internationalen Genf bei der Förderung der Schulvernetzung hervorzuheben.

Editiert von Imogen Foulkes, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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