Wie Japan mit seinem Walfang das Völkerrecht missachtet
Japan ist neben Norwegen und Island eines der letzten Länder, die Wale kommerziell jagen. Die Verhaftung des Aktivisten Paul Watson, der ein neues japanisches Walfangschiff abfangen wollte, zeigt eine Lücke im Völkerrecht in Bezug auf diese seit 1986 verbotene Praxis.
1931 wurde in Genf unter der Schirmherrschaft des Völkerbunds das erste internationale Übereinkommen zur Regelung des Walfangs verabschiedet.
Fast ein Jahrhundert später skandierten rund 40 Personen mit Plakaten vor dem «Zerbrochenen Stuhl» auf der Place des Nations «Freiheit für Paul Watson». Das war am 6. August.
Zwei Wochen später wurde die Haft des berühmten Umweltschützers bis zum 5. September verlängert, um «seine Anwesenheit bei dem Entscheid über seine Auslieferung zu gewährleisten».
Zur Erinnerung: Paul Watson, Vater der Naturschutz-NGO Sea Shepherd und Mitbegründer von Greenpeace, wurde am 21. Juli in Grönland von den dänischen Behörden festgenommen.
Der kanadisch-amerikanische Aktivist wollte sein Schiff auftanken, um ein japanisches Walfangschiff zu verfolgen, das im Nordpazifik unterwegs war.
Ein 2012 von Japan ausgestellter internationaler Haftbefehl wirft ihm vor, ein japanisches Walfangschiff beschädigt und ein Besatzungsmitglied mit einer Stinkbombe verletzt zu haben. Der 73-jährige Aktivist bestreitet die Vorwürfe. Ihm drohen in Japan mehr als 15 Jahre Haft.
Seit seiner Verhaftung hat die weltweite Mobilisierung zugenommen, besonders durch die Lancierung einer Petition und die Intervention des französischen Präsidenten Emmanuel Macron bei den dänischen Behörden.
Doch wie sieht es aus völkerrechtlicher Sicht aus? Ist die Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs legal?
Eine umstrittene und verbotene Praxis
Der kommerzielle Walfang ist seit 1986 verboten, als ein internationales Moratorium der Internationalen Walfangkommission (IWC) in Kraft trat.
Norwegen und Island widersetzen sich diesem Moratorium und jagen weiterhin Wale. Japan hat das Moratorium lange Zeit umgangen, indem es den Walfang unter dem Deckmantel der «wissenschaftlichen Forschung» fortsetzte.
Doch 2014 verurteilte der Internationale Gerichtshof das Land wegen seines Walfangs in der Antarktis.
«Der Gerichtshof urteilte, dass Japan einen kommerziellen Walfang unter wissenschaftlichen Vorwänden verschleierte, da die Kriterien für wissenschaftliche Forschung nicht erfüllt waren», fasst Laurence Boisson de Chazournes das Verdikt zusammen. Die Professorin für Völkerrecht an der Universität Genf war während des Falls als Beraterin und Anwältin tätig.
Nach diesem verbindlichen Urteil stellte Japan seine Walfangaktivitäten in der Antarktis ein. Doch 2019 beschloss das Land, die Internationale Walfangkommission zu verlassen und den kommerziellen Walfang in seinen Hoheitsgewässern und seiner ausschliesslichen Wirtschaftszone offiziell wieder aufzunehmen.
«Das war ein drastischer und überraschender Entscheid, den die internationale Gemeinschaft seltsamerweise kaum zur Kenntnis genommen hat», sagt Boisson de Chazournes, die auch am Internationalen Seegerichtshof tätig ist.
Seither bemüht sich die japanische Regierung im Namen der Tradition, den heimischen Walfleischkonsum wieder anzukurbelnExterner Link, obwohl die Nachfrage stark zurückgegangen ist.
Nach einem Höchststand von 233’000 Tonnen pro Jahr Anfang der 1960er-Jahre ist der Walfleischkonsum bis 2021 auf nur noch 1000 Tonnen gesunken.
Im Mai dieses Jahres lief jedoch ein neues Fabrikschiff, die «Kangei Maru»Externer Link, vom Stapel. Mit ihm sollen bis Ende des Jahres 200 Wale gefangen werden.
Die japanische Fischereibehörde hat beschlossen, die Jagd auf Finnwale auszuweiten, nach dem Blauwal das grösste Säugetier der Welt und eine vom Aussterben bedrohte ArtExterner Link.
Die australische Regierung und Sea Shepherd kritisierten diesen Entscheid. Sie befürchten, dass Japan die Jagd auf Finnwale «auf hoher See im Südpolarmeer und im Nordpazifik bis 2025» wieder aufnehmen wird.
Zwischen den Maschen des Völkerrechts
Doch die rechtlichen Mittel sind begrenzt. Seit 2015 anerkennt Japan die Autorität des Internationalen Gerichtshofs für seine Aktivitäten im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Meeresressourcen nicht mehr. Kann die Regierung also die kommerzielle Jagd in ihrem Meeresgebiet legal wieder aufnehmen?
Nicht so schnell, meint Boisson de Chazournes: «Der Austritt aus der Walfangkommission bedeutet nicht, dass Japan nicht verpflichtet ist, die Umwelt und die Meerestiere zu schützen», sagt sie.
Die Professorin erinnert daran, dass es weiterhin einen rechtlichen Rahmen gebe, besonders durch die Konventionen zum Seerecht, zur biologischen Vielfalt und zum Artenhandel.
Malgosia Fitzmaurice, internationale Anwältin für Meeresumweltfragen, sagt: «Japan ist Mitglied des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (UNCLOS), das die Staaten zur Zusammenarbeit beim Schutz der Meeressäuger verpflichtet.»
Dazu gehören unter anderem der Austausch von Daten und die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen, sagt die Expertin. Sie lehrt internationales Recht an der Queen Mary University of London.
«In diesem Sinn hat Japan gegen seine Verpflichtungen verstossen, da es keine grenzüberschreitende Folgenabschätzung durchgeführt und weder die anderen Staaten des Nordpazifiks noch die Kommission zu seiner geplanten Jagd auf Finnwale konsultiert hat», sagt sie.
«Die Mitglieder des Übereinkommens könnten daher auf die verbindlichen Mechanismen des UNCLOS zurückgreifen, um Japan zur Einhaltung seiner Verpflichtungen zu zwingen.»
Dies, obwohl Sanktionen, etwa wirtschaftlicher Art, nicht in Frage kommen, was die Grenzen des Handlungsspielraums aufzeige.
Bindender Vertrag ab 2025
Auf der Hochsee könnte bald ein historischer Vertrag die Spielregeln ändern. Das Internationale Übereinkommen über die Hohe SeeExterner Link, das 2023 verabschiedet wurde, zielt darauf ab, die Ozeane in Gebieten ausserhalb nationaler Gerichtsbarkeit zu schützen.
Der Vertrag sieht die Einrichtung von Meeresschutzgebieten vor und führt die Pflicht zur Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen für geplante Aktivitäten auf hoher See ein.
Ein «starkes» verbindliches Instrument, das ab 2025 in Kraft treten soll, sagt Fitzmaurice: «Sollte Japan beschliessen, Wale ausserhalb seiner Hoheitsgewässer zu jagen [wie von Sea Shepherd vermutet], würde dies eine internationale Reaktion hervorrufen, speziell in Gewässern, die als Walschutzgebiete ausgewiesen sind.»
Die Expertin hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass Japan seine Jagd auf internationale Gewässer ausdehnt. In diesem Fall wäre eine rechtliche Verfolgung kaum möglich.
Sie erinnert daran, dass Norwegen mit etwa 500 getöteten Walen pro Jahr bisher der grösste Walfänger der Welt ist, dahinter folgt Japan mit etwa 300. 2022 hat Island 148 Finnwale gejagtExterner Link, während Japan für 2024 den Abschuss von 59 Finnwalen plant.
Politischer Druck
Der Schutz der Wale scheint an einem seidenen Faden zu hängen. Für Laurence Boisson de Chazournes ist der politische Wille der Schlüssel zur Einhaltung des Völkerrechts: «Der rechtliche Rahmen existiert. Es ist an den Staaten und anderen Vertretenden der internationalen Gemeinschaft, ihn in Erinnerung zu rufen.»
Gemäss Malgosia Fitzmaurice könnte dieser politische Druck Japan dazu bewegen, sein Auslieferungsersuchen von Paul Watson fallen zu lassen.
Das dänische Justizministerium muss nun über das Schicksal von Kapitän Watson entscheiden. Sea Shepherd, welche die dänische Delfinjagd auf den Färöer-Inseln scharf kritisiert, beruhigt das nicht. Die NGO prangert einen «Hinterhalt» der Walfangnationen an, um die Opposition mundtot zu machen.
«Das Strafrecht wird entscheiden. Es wird sich die Frage stellen, ob die Inhaftierung von Paul Watson angesichts der ihm vorgeworfenen Straftat verhältnismässig ist», sagt Boisson de Chazournes. Sollte der Walschützer ausgeliefert werden, wird er seinen Lebensabend wohl hinter Gittern verbringen müssen.
Editiert von Virginie Mangin, übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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