Italien schliesst nachts viele Grenzübergänge
Trotz des Schengen-Abkommens hat die Praxis zwischen Schweiz und Italien nicht geändert. Italien schiebt an etlichen kleinen Grenzübergängen nachts die Tore zu. Der Schweizer Grenzwacht kommt dies nicht ungelegen.
Wer um Mitternacht versucht, an den Grenzübergängen Fornasette oder Ponte Cremenaga in die Schweiz ein- oder nach Italien auszureisen, hat Pech. Die beiden Grenzübergänge, auf halber Strecke zwischen Ponte Tresa und Luino (Italien), werden um diese Zeit geschlossen und erst um fünf Uhr morgens wieder geöffnet.
Das sind keine Einzelfälle. Auch in Pizzamiglio oder Pedrinate bei Chiasso, Ligornetto oder Arzo gibt es nachts kein Durchkommen. Rund um die Uhr sind hingegen alle grossen Übergänge wie Chiasso, Stabio oder Ponte Tresa geöffnet.
Diese Praxis verwundert, zumal mit dem Beitritt der Schweiz am 12. Dezember 2008 zum Schengen-Abkommen die beiden Nachbarländer bekanntlich einem Staatenverbund angehören, der auf interne Kontrollen zunehmend verzichtet und umgekehrt den Schutz der Aussengrenzen verstärkt hat.
«Abbau der Binnengrenzen, Verstärkung der Aussengrenzen» hiess das Schlagwort. Kurzum: Erleichterter Personenverkehr zwischen den Schengen-Staaten.
Eine Sache der Italiener
Warum also werden die kleinen Grenzübergänge zwischen Italien und der Schweiz geschlossen? «Es ist eine Angelegenheit der Italiener, wir hätten keine Mühe damit, wenn die Grenzübergänge rund um die Uhr offen blieben», sagt Mauro Antonini, Kommandant des Grenzwachtkorps (GWK) der Region IV mit Sitz in Lugano-Paradiso.
Zugleich verweist er darauf, dass die Schweiz trotz Schengen-Beitritts nicht Teil einer Zollunion geworden ist.
Gemäss einer Tabelle des GWK erfolgt die Schliessung der erwähnten Grenzübergänge auf Grund einer «Decisione prefettizia» – also einer Entscheidung der Präfektur der jeweiligen Provinz.
Es handelt sich um die Aussenstelle der Zentralregierung Roms. Eine Anfrage bei der Präfektur von Como zur geltenden Praxis bleibt allerdings unbeantwortet.
Öffnungszeiten «adäquat»
Stellung genommen hat hingegen die Zollkreisdirektion von Como. Deren Direktor Claudio Rendano hält fest, dass das Schengen-Abkommen mit einer Abschaffung der systematischen Personenkontrollen verbunden gewesen sei, nicht aber – wie bereits erwähnt – mit der Abschaffung von Zollkontrollen in Bezug auf Waren und Personen.
Gemäss seinen Angaben sind die Grenzübergänge der Guardia di Finanza (Finanzkontrolle) unterstellt, die deren Bewirtschaftung autonom handhaben könne. «In jedem Fall kann man die Öffnungszeiten in Bezug auf das beschränkte oder manchmal sogar saisonbedingte Verkehrsaufkommen als adäquat bezeichnen», bilanziert Rendano.
Die Guardia di Finanza in Rom hat auf eine schriftliche Anfrage nicht geantwortet.
Keine Fortschritte erzielt
Das Thema hat indes schon wiederholt die Regio Insubrica, die grenzüberschreitende Arbeitsgemeinschaft zwischen dem Kanton Tessin und den angrenzenden Provinzen Como, Varese und Verbano-Cusio-Ossola (VCO) beschäftigt.
«Es gab aber nie Fortschritte in dieser Frage», so der Tessiner Regierungspräsident Marco Borradori. Wegen der geschlossenen Grenzen müssen manche italienischen Grenzgänger, die im Tessin im Schichtdienst arbeiten, je nach Wohnort längere Fahrzeiten in Kauf nehmen.
Überrascht über die Situation an der Südgrenze ist man beim Grenzwachtkorps (GWK) in Bern. «Ich hatte davon keine Kenntnis», gesteht GWK-Sprecher Thomas Schrämli.
Ihm seien auch keine analogen Fälle an den Grenzen zu Deutschland, Österreich oder Frankreich bekannt. Im Gegenteil: «In Schaffhausen haben wir die letzten Schlagbäume im Dezember entfernt, weil sie längst nicht mehr genutzt wurden.»
Schutz für mehr Sicherheit
Im südlichen Tessin ist man ob der geltenden Praxis nicht unzufrieden. Gerade grenznahe Gemeinden im Mendrisiotto sind eigentlich froh, dass die kleinen Grenzübergänge nachts dicht machen und der Grenzübertritt so erschwert wird.
Dies schafft einen gewissen Filter gegenüber Personen, die allenfalls mit kriminellen Absichten in die Schweiz kommen. Auch beim Grenzwachtkorps IV an der Südgrenze gibt man zu verstehen, dass die Praxis der Italiener eigentlich auch dem Sicherheitsbedürfnis der Schweiz entgegen komme.
swissinfo, Gerhard Lob, Lugano
Seit dem 12. Dezember 2008 gehört die Schweiz zum Schengenraum, der rund 3,6 Mio. Quadratkilometer und 400 Mio. Europäer umfasst.
Auf Grund des Abkommens entfallen systematische Personenkontrollen an der Landesgrenze, dafür sind vermehrt mobile Polizeikontrollen in Grenznähe vorgesehen.
Das Schengen-Abkommen bezieht sich nur auf Personen. Der Warenverkehr wird an der Grenze weiterhin kontrolliert, da die Schweiz nicht Mitglied der EU-Zollunion ist.
Ob die Praxis Italiens an der Südgrenze mit dem Schengen-Abkommen vereinbar ist, bleibt offen.
«Schengen ist vielseitig auslegbar; es könnte sich um Ersatzmassnahmen handeln, die im Rahmen von Sicherheitsvorkehrungen eines Landes zugelassen sind», so Thomas Schrämli, Sprecher des Schweizer Grenzwachtkorps.
Laut Daniel Wüger, Fachbereichsleiter für Schengen/Dublin im Bundesamt für Justiz, sind die Zollkontrollen zwischen der Schweiz und anderen Schengen-Staaten von Schengener Bestimmungen nicht geregelt.
Zwischen dem Kanton Tessin und Italien gibt es insgesamt 22 Grenzübergänge. Ausserhalb der Öffnungszeiten kennt der Schweizer Zoll das Prinzip der Eigendeklaration von Waren.
Dafür stehen Briefkästen bereit, in die Erklärungen eingeworfen werden können.
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