«Wir wollen bis 2050 eine Milliarde Tonnen CO₂ jährlich abscheiden»

Im Interview erklärt Jan Wurzbacher, Co-Chef von Climeworks, wie sein Unternehmen mittels Abscheiden von Kohlendioxid zur Bewältigung der Klimakrise beitragen will – und welche Herausforderungen es dabei gibt.
Das Start-Up Climeworks in Zürich hat sich auf das Abscheiden von Kohlendioxid (CO₂) aus der Atmosphäre mithilfe des Verfahrens Direct Air Capture (DAC) spezialisiert, bei dem ein Abscheidungsgerät der Umgebungsluft CO₂ entzieht.
Die Ambitionen des Unternehmens, das bereits 800 Millionen Franken an Finanzmitteln erhalten hat, sind kühn: Bis 2050 sollen jährlich 1 Milliarde Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden. Das entspricht etwa 2,5% der heutigen Jahresemissionen weltweit. Dafür müssten das Unternehmen und seine Partner:innen 1000 Grossanlagen bauen. Geschätzte Kosten: 1 bis 2 Billionen Franken.
SWI swissinfo.ch: Im Moment werden jedes Jahr rund 40 Milliarden Tonnen CO₂ in die Atmosphäre ausgestossen. Wie viel müsste jährlich durch direkte Abscheidung aus der Luft wieder entfernt werden, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen?
Jan Wurzbacher: Um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, schreibt das Pariser Klimaabkommen vor, die CO₂-Emissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Nach Einschätzung des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPCC) soll dies in erster Linie durch eine Reduzierung des CO₂-Ausstosses erreicht werden: um etwa 30 Milliarden Tonnen pro Jahr.
Die verbleibenden 10 Milliarden Tonnen gelten als «unvermeidbare» Emissionen, wie etwa jene durch Langstreckenflüge. Diese müssen aus der Atmosphäre entfernt werden. Dazu kann man verschiedene naturbasierte oder ingenieurtechnische Methoden einsetzen. DAC ist dabei eine wichtige Option, damit können künftig vielleicht fünf Milliarden Tonnen pro Jahr abgeschieden werden. Allerdings ist es schwierig, diesen Wert für das Jahr 2050 genau vorauszusagen.

Wie hoch ist Ihre Kapazität zum Abscheiden von CO₂ im Moment und was sind Ihre Ziele?
Unsere erste Anlage in Island hat eine Kapazität von 4000 Tonnen pro Jahr. Die zweite Anlage, ebenfalls in Island, wurde im Mai 2024 eingeweiht. Sobald sie vollständig hochgefahren ist, wird sie eine Abscheidungskapazität von etwa 30’000 Tonnen pro Jahr haben. Unsere künftige Anlage im US-Bundesstaat Louisiana soll Ende 2027 in Betrieb gehen und zunächst 250’000 Tonnen CO₂ pro Jahr abscheiden. In einer späteren Phase werden wir deren Kapazität auf eine Million Tonnen pro Jahr hochfahren können.
Unser Ziel ist es, bis 2050 insgesamt eine Milliarde Tonnen CO₂ jährlich abzuscheiden. Das entspricht rund 10% des gesamten Marktes für Kohlenstoffabscheidung und 20% des DAC-Marktes. Anders als in der Softwarebranche, in der oft eine «Winner-take-all»-Dynamik vorherrscht, werden dank des industriellen Charakters von DAC in dieser Branche vermutlich mehrere grosse Akteure nebeneinander bestehen.
Ist eine Erhöhung Ihrer Kapazität auf eine Milliarde Tonnen bis 2050 realistisch?
Eine grosse DAC-Anlage kann jährlich eine Million Tonnen CO₂ abscheiden. Dafür braucht es Investitionen von 1 bis 2 Milliarden Dollar – vergleichbar mit einem grossen Kraftwerk. Um unser Ziel für 2050 zu erreichen, brauchen wir 1000 solche Anlagen. Aus Sicht der Industrie ist dies machbar, wenn man bedenkt, dass es weltweit derzeit zwischen 5000 und 7000 Grosskraftwerke gibt.
Unsere Branche muss jedoch finanzielle und betriebliche Herausforderungen bewältigen: Sie muss geeignete Standorte mit kostengünstigen Energiequellen sichern und es braucht eine ausreichende Marktnachfrage nach den Dienstleistungen der Kohlenstoffabscheidung. Eine stärkere staatliche Regulierung – etwa durch Steuergutschriften, Kohlenstoffsteuern und Netto-Null-Verpflichtungen – wird von entscheidender Bedeutung sein.
Wie wird sich die Präsidentschaft von Donald Trump auf Climeworks auswirken, wenn man bedenkt, wie wichtig eine stärkere regulatorische Unterstützung ist?
Die einfache Antwort ist: Wir wissen es im Moment nicht. Wir erwarten aber gewisse Auswirkungen. Vermutlich wird es auf dem US-Markt weniger Anreize und Verpflichtungen zur CO₂-Entfernung geben. Entschlackte Regulierungen könnten aber gleichzeitig die Einführung von DAC-Projekten erleichtern.
Gleichzeitig muss man bedenken, dass der US-Markt zwar wichtig ist. Aber auch in anderen Ländern, etwa in Asien, gibt es ein Momentum. Wir müssen wachsen, um unsere Betriebskosten zu senken – dazu würde eine Vergrösserung in einigen wenigen Ländern bereits reichen. Die Solarindustrie zum Beispiel konnte die Kosten erheblich senken, dank der Politik in nur drei Ländern: Deutschland, Japan und Spanien.
So funktioniert die Abscheidung und dauerhafte Speicherung von CO₂:
Wie hoch sind derzeit Ihre Kosten für das Abscheiden einer Tonne CO₂? Und ist DAC aufgrund der geringen CO₂-Konzentration in der Luft nicht von Natur aus kostspielig?
Im Moment liegen unsere Kosten eher bei 1000 US-Dollar pro Tonne als bei 100. Die Höhe hängt auch davon ab, wie die Gemeinkosten und frühere Aufwendungen für Forschung und Entwicklung berücksichtigt werden. Wir streben jedoch an, die Stückkosten innerhalb des nächsten Jahrzehnts um den Faktor zwei oder drei zu senken. Wenn die Industrie in den Gigatonnen-Massstab vordringt, erwarten wir, dass die Kosten für DAC auf 100-250 US-Dollar pro Tonne sinken werden.
Was sind die Vorteile von DAC im Vergleich zu anderen Methoden zur CO₂-Entfernung aus der Atmosphäre?
Keine Methode ist perfekt; der effektivste Ansatz ist eine Kombination verschiedener Wege. Die DAC, eine ingenieurtechnische Methode, hat allerdings entscheidende Vorteile: Sie ist in hohem Masse skalierbar, bietet eine grosse Beständigkeit, weil das abgeschiedene CO₂ für Millionen von Jahren im Untergrund gespeichert bleibt. Sie ermöglicht zudem präzise Messungen.
Ihr grösster Nachteil sind derzeit die hohen Kosten, die jedoch mit grösseren Skalierungen und technologischen Verbesserungen mit der Zeit deutlich sinken dürften. Aber auch durch die Optimierung der Lieferkette und den Zugang zu billigeren und kohlenstoffarmen Energiequellen.
Unter den naturbasierten Methoden ist die Aufforstung, also die Schaffung eines Waldes in einem Gebiet, in dem es zuvor keinen Wald gab, einer der wichtigsten Ansätze. Die Skalierung ist jedoch aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit von Land eine Herausforderung. Diese Methode wird teurer, je häufiger sie angewandt wird – denn geeignetes Land wird damit knapper. Ausserdem haben Bäume eine begrenzte Lebensdauer von in der Regel etwa 50 Jahren. Und: Es ist nicht ganz einfach, das entfernte CO₂ durch Aufforstung genau zu messen.

Wer ist Ihre Hauptkonkurrenz, und warum haben mehrere DAC-Unternehmen ihren Betrieb eingestellt?
Heute ist Climeworks das einzige Unternehmen, das DAC-Anlagen kommerziell betreibt. Es steigen jedoch neue Player ins Geschäft ein, und wir gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren weitere DAC-Anlagen entstehen werden. Mit einer Finanzierung von 800 Millionen Franken sind wir das am besten finanzierte Unternehmen in diesem Sektor. Jene Firmen, die sich aus dem Markt zurückgezogen haben, haben wahrscheinlich die technischen und finanziellen Herausforderungen unterschätzt.
Wie schützen Sie Ihre Innovationen?
Wir haben zahlreiche Patente angemeldet, um unser geistiges Eigentum zu schützen. Zudem haben wir Geschäftsgeheimnisse, Exklusivverträge mit Zuliefererfirmen und Industriepartner:innen, sowie ein umfangreiches Know-how innerhalb unserer Belegschaft.
Derzeit können Unternehmen und Privatpersonen die CO₂-Abscheidungsdienste von Climeworks auf Tonnenbasis erwerben und entsprechende Entfernungszertifikate erhalten. Wie läuft dieses Geschäftsmodell?
Mit diesem Modell haben bereits über 160 Kund:innen gewonnen, darunter die UBS, Swiss Re, BCG, Microsoft, JPMorgan Chase, Shopify, Stripe, H&M Group und LEGO. Ausserdem wurde Climeworks im Jahr 2020 vom Weltwirtschaftsforum (WEF) als einer der «Technology Pioneers» ausgewählt, was uns die Teilnahme an den jährlichen Treffen in Davos ermöglichte.
Dort konnten wir unser Netzwerk erheblich erweitern, und Kontakte zu potenziellen Kund:innen knüpfen. Um unsere kommerzielle Entwicklung zu beschleunigen, brauchen wir aber sowohl günstigere Vorschriften als auch ein besseres Verständnis der Kund:innen für Lösungen zur Kohlenstoffabscheidung.

Seit Ihrem Start im Jahr 2009 haben Sie in mehreren Finanzierungsrunden mit Investor:innen 800 Millionen Franken aufgetrieben. Handelt es sich bei diesem Betrag um liquides Eigenkapital, um bedingte Darlehen oder gestaffelte Eigenkapitaltranchen?
Wir haben die vollen 800 Millionen Franken als liquides Kapital erhalten.
Was ist die Hauptmotivation Ihrer Investor:innen?
Wir sind ein kommerzielles Unternehmen, kein Wohltätigkeitsverein und auch keine gemeinnützige Organisation. Unser Ziel ist es, zu skalieren und eine hohe Rentabilität im Einklang mit den Erwartungen der Investor:innen zu erreichen. Weil es sich um Industrieprojekte handelt, verfolgen unsere Geldgeber:innen einen strategischen, langfristigen Ansatz.
Wenn Sie 1000 Anlagen mit Kosten zwischen je 1 bis 2 Milliarden US-Dollar bauen wollen, müssen Sie wesentlich mehr Geld aufbringen.
In der Tat. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass wir alle Anlagen selbst bauen werden. Wir überlegen uns zum Beispiel, Lizenzen unserer Technologie an grosse Industrieunternehmen zu vergeben, die dann den Bau und die Finanzierung übernehmen. Alternativ könnten wir uns auf die Entwicklung und Herstellung von Schlüsselkomponenten, Maschinen oder Anlagen konzentrieren, die wir an diese Unternehmen liefern.
Wann rechnen Sie damit, dass das Geschäft rentabel wird?
Unser Ziel ist es, bis 2030 eine Rentabilität erreichen, die alle Gemeinkosten abdeckt, aber frühere Investitionen ausschliesst. Je früher wir da hinkommen, desto schneller können wir skalieren.

Editiert von Virginie Mangin/ts. Übertragung aus dem Englischen: Meret Michel/gm

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