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Biotechnologie ist nur ein kleiner Teil der Lösung

In vielen Ländern wie in Indien müssen Bauern mit einfachsten Mitteln arbeiten. Keystone

Der Schweizer Forscher und Welternährungs-Preisträger Hans Rudolf Herren nimmt bei einem Zwischenhalt in der Schweiz Stellung zum weltweit lancierten Landwirtschafts-Bericht und zur Kritik von Konzernen wie Syngenta.

«Die gute Nachricht ist: Die Schlusserklärung anerkennt, dass im Gunde sehr viel Wissen da ist, um die Probleme Hunger und Armut nachhaltig zu lösen», resümiert Hans Rudolf Herren.

Der Landwirtschafts-Bericht (IAASTD-Bericht) gilt als Pendant zum Bericht des Weltklimarats IPCC. Mehr als 400 Experten haben daran gearbeitet – und eine Fülle von Ansätzen zur Sicherung der Welternährung vorgelegt.

Herren ist Co-Präsident des überstaatlichen Agrarforschungsprojekts IAASTD (International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development).

«Wir haben den grösstmöglichen Konsens gefunden», freut sich Herren. Der Schlussbericht im südafrikanischen Johannesburg sei schneller als erwartet von 60 Ländern verabschiedet worden, darunter auch der Schweiz.

Auf Kosten von Mensch und Umwelt

Die schlechte Nachricht: «Derzeit geht die landwirtschaftliche Produktion auf Kosten von Mensch und Umwelt und führt zu vielen ökologischen und sozialen Problemen», so Herren.

Dass der Bericht in eine Zeit fällt, in der die Nahrungsmittelpreise explodieren und in Entwicklungsländern für Unruhen sorgen, gibt laut Herren der Publikation zusätzlich Brisanz.

«Eine rasche Produktionssteigerung ist keine Lösung. Höhere Produktivität verbraucht viel mehr Energie und Geld. Wir haben weltweit kein Produktivitätsproblem, vielmehr ein Verteilungsproblem», sagt der international mehrfach ausgezeichnete Agronom.

Zwei Drittel der Menschheit vor allem in Entwicklungsländern könnten nicht im industriellen Stil Landwirtschaft betreiben. Auch Biotechnologie bringe keine Ertragssteigerungen; zudem sei das nur einmal einsetzbare Saatgut für Arme viel zu teuer.

Biotech nur Teil der Lösung

Dennoch schliesst Herren die Gentechnik und andere moderne Formen der Biotechnologie nicht kategorisch aus. «Sie ist aber in Zukunft nur ein kleiner Teil der Lösung.»

Landwirtschaft sei komplex, sie beinhalte ökologische und gesellschaftliche Aspekte, Handel und Märkte, Gesundheit, traditionelles und lokales Wissen.

«Die Agrochemie will bessere Samen. Doch wenn wir Böden und Anbaumethoden nicht verbessern, nützen die besten Samen nichts.»

Herren wünscht sich angesichts des Klimawandels eine nachhaltige und vernetzte Forschung zugunsten neuer Sorten, die lokal angepasst sind, eine gute Ausbildung der Bauern und viel mehr Informationsaustausch.

Das Besondere am Bericht ist, dass er eine weltweite Erhebung zur Nachhaltigkeit der Landwirtschaft umfasst. Forschende und Fachleute aus dem Agrarbusiness und der Lebensmittelindustrie waren ebenso beteiligt wie Bauernvertreter, Konsumenten- und Nichtregierungs-Organisationen, Regierungen und UNO.

Das 2005 gestartete Projekt, von der Welternährungs-Organisation FAO und der Weltbank angestossen, gilt als eines der interdisziplinärsten überhaupt. «Ein Querschnitt der Gesellschaft war beteiligt», betont Herren.

Rückzug der Syngenta

Abgesprungen sind dem Projekt jedoch die Agrarkonzerne Syngenta, Monsanto und BASF wie auch ihr Dachverband «Crop Life International». Auf die Frage nach dem Grund teilt Syngenta in einem englischen Communiqué mit, sie habe sich zurückgezogen, «als zunehmend deutlich wurde, dass der Bericht keine realistische Sicht hat für die künftigen Anforderungen an die Landwirtschaft und den Bedarf nach neuen und bestehenden Technologien».

Ohne Anerkennung der Vorteile der Innovation und der Pflanzenwissenschaft für die Landwirtschaft und Entwicklung werde der IAASTD-Schlussbericht die Gelegenheit verpassen, diejenigen anzusprechen, die für ländliche Entwicklung wichtig seien.

Diese Einschätzung treffe nicht zu, kontert Herren. Nahezu alle Stakeholder seien beteiligt gewesen. «Wir wollten Menschen verschiedenster Ansichten zusammen bringen. Es ist die Agrarindustrie, die ihre Chance verpasst und nicht bis zum Schluss mitgemacht hat», bemängelt Herren.

«Ihre Vertreter sind zu spät an Sitzungen gekommen und zu früh weg. Sie haben ihre Kapitel nicht abgeliefert trotz Verlängerungsfrist.»

Umfassende Vision

Hans Rudolf Herren, der zusammen mit der kenianischen Wissenschafterin Judi Wakhungu das IAASTD präsidiert, hofft nun auf die Politik.

«Wir fordern eine multifunktionale Landwirtschaft, welche die Leistung der Bauern an Ökosystemen anerkennt und kompensiert. Wie und wo genau, muss die Politik sagen.»

swissinfo und Viera Malach (InfoSüd)

Die Vision des IAASTD-Berichts sei umfassend, betonte Achim Steiner, Direktor des UNO-Umweltprogramms UNEP in Johannesburg.

Neben der Produktion werde der Bericht sozialen und ökologischen Dimensionen der Landwirtschaft gerecht.

Geschäfts- und Sekretariatsleiter des IAASTD (Internationale Beurteilung von Agrarwissenschaften und -technologien für Entwicklung) ist der Brite Robert Watson.

Als ehemaliger IPCC-Leiter stand er unter Beschuss der US-Ölindustrie, auf deren Druck hin sein IPCC-Vertrag nicht verlängert wurde, denn Watson schrieb den Klimawandel menschlicher Aktivität zu.

Jetzt steht die umfassende Sicht der Landwirtschaft im Brennpunkt.

Der 60-jährige Hans Rudolf Herren ist Agronom und ein weltweit führender Wissenschafter in der biologischen Schädlingsbekämpfung.

Dafür (mit Schlupflaus gegen Maniok-Parasit) erhielt er 1995 den Welternährungspreis wie auch weitere internationale Preise.

Während 27 Jahren lebte und forschte der gebürtige Berner in Afrika, so in Nairobi, wo er über zehn Jahre das Insektenforschungsinstitut ICIPE leitete.

Die von Herren gegründete Schweizer Stiftung BioVision setzt sich für die Entwicklung, Verbreitung und Anwendung ökologischer Methoden ein, die zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensbedingungen in Afrika führen und zugleich die Umwelt schonen.

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