Der älteste Eiswürfel birgt den Schlüssel für das grösste Rätsel der Klimageschichte
Internationale Forschende haben in der Antarktis die älteste Eisprobe der Erde entnommen. Die Untersuchung des 1,2 Millionen Jahre alten Eises wird es ermöglichen, die Entwicklung des Klimas besser vorherzusagen. Massgeblich daran beteiligt ist die Universität Bern.
«Dies ist ein historischer Moment für die Klima- und Umweltwissenschaften», sagt Carlo Barbante, Koordinator des europäischen Projekts «Beyond EPICA»Externer Link.
Das in der Antarktis abgebaute Eis könne den Zusammenhang zwischen dem Kohlenstoffkreislauf und der Temperatur unseres Planeten aufzeigen, so Barbante, Professor für analytische Chemie an der Universität Ca› Foscari in Venedig, Italien.
Zum ersten Mal werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Lage sein, sich ein genaues Bild davon zu machen, wie sich das Klima in den letzten 1,2 Millionen Jahren entwickelt hat, heisst es in einer Mitteilung vom 9. JanuarExterner Link.
Mit Hilfe der gesammelten Eiskerne wollen sie die bisher weitgehend ungeklärten Klimaveränderungen der Vergangenheit verstehen.
«Dies ist ein historischer Moment für die Klima- und Umweltwissenschaften»
Carlo Barbante, «Beyond EPICA»
Das Projekt «Beyond EPICA», an dem auch die Schweiz beteiligt ist, wurde 2009 gestartet. Es hat zum Ziel, einen Teil der Klimageschichte der Erde zu rekonstruieren, indem es Eisproben aus der Antarktis bis in eine Tiefe von fast drei Kilometern analysiert.
Dank diesem Projekt könne die Wissenschaft mehr darüber erfahren, wie das Klimasystem auf Veränderungen der Treibhausgase reagiere, sagt Barbante gegenüber SWI swissinfo.ch. Damit können die Klimamodelle und -prognosen für die Zukunft verbessert werden.
«Unsere Vergangenheit enthält viel von unserer Gegenwart und unserer Zukunft: Um zu verstehen, wie das Klima von morgen aussehen wird, müssen wir die verborgenen Mechanismen verstehen, wie unser Erdsystem funktioniert», sagt er.
1,2 Millionen Jahre Klimageschichte im Eiskern
Forschende aus zwölf wissenschaftlichen Institutionen, darunter die Universität Bern, entnahmen den Eiskern aus Little Dome C, einem abgelegenen Feld auf dem antarktischen Plateau nahe der französisch-italienischen Station Concordia.
Insgesamt arbeitete das internationale Team während vier Jahren an über 200 Tagen bei durchschnittlichen Sommertemperaturen von -35°Celsius.
Die Bohrung erreichte eine Rekordtiefe von 2800 Metern und reichte bis zu dem Punkt, an dem der antarktische Eisschild auf den Fels trifft. «Das gewonnene Eis ist ein einzigartiges Archiv der Klimageschichte der Erde», sagt Barbante.
Die im Eis eingeschlossenen Luftblasen geben Aufschluss über die atmosphärischen Temperaturen und die Konzentrationen von CO2, Methan und anderen Treibhausgasen während der letzten 1,2 Millionen Jahre. Nach heutigem Wissensstand können wir «nur» 800’000 Jahre zurückblicken.
Speziell wird der «Beyond EPICA»-Eiskern noch nie dagewesene Informationen über den Übergang zum Mittelpleistozän liefern. In diesem Zeitraum zwischen 900’000 und 1,2 Millionen Jahren vor unserer Zeit hat sich die Ausdehnung der Eiskruste auf der Nordhalbkugel dramatisch verändert – mit weitreichenden Folgen für das damalige Klima.
Die Zeitspanne von einer Eiszeit zur nächsten verlängerte sich signifikant von etwa 40’000 auf 100’000 Jahre. Der Grund für diese Veränderung ist laut der Universität Bern «eines der komplexesten Rätsel der Klimawissenschaft».
>> Das Video zeigt, wie Eisproben in der Antarktis entnommen werden:
«Entscheidende» Schweizer Beteiligung
Die Eisproben werden Ende März in Europa eintreffen. Sie sollen in Labors in Deutschland, der Schweiz, Italien, Frankreich und Grossbritannien analysiert werden.
Die Universität Bern wird eine innovative Laserstrahltechnik einsetzenExterner Link, die sie mit der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) entwickelt hat.
Diese ermöglicht es, die im Eis enthaltenen Treibhausgase mit höchster Präzision zu messen, ohne die Proben mit Umgebungsluft zu kontaminieren oder das Eis zu schmelzen. Für die Analyse genügt eine Eisprobe von nur einem Zentimeter Dicke.
«Dank dieser Pionierarbeit wird es möglich sein, Treibhausgasmessungen mit der nötigen Genauigkeit und zeitlichen Auflösung in derart altem Eis durchzuführen», sagt Hubertus Fischer, Professor für Experimentelle Klimaphysik an der Universität Bern und einer der Projektleiter von «Beyond EPICA».
Die Schweizer Beteiligung sei «entscheidend» für das Projekt, nicht nur in finanzieller Hinsicht, sagt Barbante. Der Schweizer Beitrag beläuft sich auf drei Millionen Franken, derjenige der Europäischen Kommission auf 11 Millionen Euro (10,3 Millionen Franken).
Die Technik zur Quantifizierung des CO2 in den winzigen Luftbläschen, die in den tiefsten Eisschichten eingeschlossen sind, wird auch für andere internationale Labors in den USA, China, Südkorea und Australien von Nutzen sein.
Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub
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