Der Schneemann von Adelboden
Er liebt den Winter und den Schnee. Schnee ist sein Leben und sein Brot, ob er vom Himmel fällt oder aus der Kanone kommt. Für den "Beschneier" Beat Allenbach beginnt der Winter jeweils bereits kurz nach dem Sommer, dann gibt's viel zu tun in Adelboden.
Die Arbeit für den Winterbetrieb beginnt gleich nach der Sommersaison, Mitte September. Denn das Datum für die Eröffnung der Skisaison ist auf Ende November festgelegt. Die Zeit drängt.
Mit Spezialfahrzeugen werden Schneekanonen und Schneelanzen auf die grünen Alpen gekarrt und montiert. «Harte, körperliche Arbeit ist das», sagt der Seilbahnfachmann Beat Allenbach.
Kunstschnee – ein Muss
«Wenn wir keinen Schnee haben, haben wir keine Gäste. Die Leute wollen im Dezember Ski fahren, nicht wandern. Ohne Kunstschnee gibt es im Wintertourismus kein Überleben mehr.»
Der Winter werde immer weiter nach vorne geschoben, sagt der Adelbodner. Am liebsten würde mit dem Skibetrieb bereits im Oktober begonnen. Und im März, wo oft Superverhältnisse herrschten, hätten die Leute keine Lust mehr zum Ski fahren.
«Das hat sich extrem geändert. Dieser Druck war früher nicht da. Die Anlagen wurden in Betrieb genommen, wenn es Schnee hatte. Wenn nicht, blieb man halt im November, wenn die Revision der Anlagen abgeschlossen war, zu Hause und wartete auf Schnee», so der Fachmann.
Die Konkurrenz im Wintertourismus sei enorm, europaweit. Dazu kämen diese Billig-Arrangements für Ferien am Meer in der Karibik, welche «die Gäste aus dem Winter ziehen».
Es begann mit Improvisation
Als der gelernte Mechaniker Allenbach 1989 bei den Seilbahnen anfing, wurde im 1350 Meter über Meer gelegenen Berner Oberländer Dorf Adelboden erst punktuell künstlich beschneit, so etwa an kritischen Stellen wie den Zugängen zur Talstation oder am Weltcuphang am Chuenisbärgli, wo jeweils anfangs Januar das grosse Rennen stattfindet.
Mit dem Beschneien ganzer Pisten wurde erst in den frühen 1990er-Jahren begonnen, erinnert sich der 43-jährige Schnee-Experte. «Man behalf sich mit einem 50 Meter langen Feuerwehrschlauch und einer benzinbetriebenen Wasserpumpe aus. Und wenn es am Morgen ein bisschen weiss war, waren wir stolz.»
Die improvisierten Schneemaschinen mussten mit Seilwinden oder Pistenfahrzeugen verschoben werden, ganze Nächte seien sie unterwegs gewesen. Nachts sei man x Mal aufgestanden, um das Thermometer zu kontrollieren.
Flächendeckende Perfektion
Heute wird fast flächendeckend technisch beschneit, mit mobilen Propeller-Schneekanonen und fix-installierten Schneelanzen. Im Skigebiet Silleren, für das Allenbach zuständig ist, steht alle 50 Meter eine Lanze, über 100 sind es insgesamt.
«Die machen wenig Lärm, sie zischen nur ein bisschen.» Im Gegensatz zu den lärmintensiven Propeller-Kanonen, die in bewohnten Gebieten schlecht eingesetzt werden können.
Die Beschneiung immer grösserer Gebiete schreitet Hand in Hand mit einer ausgeklügelten Infrastruktur, computergesteuerten Anlagen und einem riesigen Bedarf an Strom und Wasser. Das Wasser wird aus dem Tal auf den Berg gepumpt, kommt aus Quellen, Reservoirs und der lokalen Wassergenossenschaft.
Um das begehrte nasse Gut zu verteilen und eine Prioritätenliste zu erstellen, wurde ein Masterplan erstellt. «Aber den Thunersee haben wir noch nicht angezapft», so Allenbach.
Kunstschnee als Fundament
In Adelboden sind rund 60% der Hauptpisten beschneit. So steht es im Prospekt für Wintertouristen. War Kunstschnee vor wenigen Jahren noch als umweltschädigend verpönt, gehört er heute schon fast «naturgegeben» und als ein «Muss» zum Winter. Eine Garantie für sichere Schneeverhältnisse.
Die ältere Generation habe zwar Mühe mit diesem Kunstschnee, meint Allenbach. Im Gegensatz zu den Jungen. «Die wachsen damit auf. Einem ‹angefressenen› Skifahrer genügt ein schön verschneiter Kunstschneehang ohne jegliche Winter-Ambiance. Aber eine schöne Pulverschneepiste ist natürlich schon etwas anderes.»
Schäden an Natur und Umwelt hat Allenbach bisher keine festgestellt. «Der Frühling kommt zwar etwa zwei Wochen später, weil der Kunstschnee schwerer und nässer ist und deshalb langsamer schmilzt.» Da er aber keine Chemikalien enthalte, leide der Boden nicht, im Gegenteil.
«Früher wurde der Schnee zusammengeschoben und mit Raupenfahrzeugen auf der Piste verteilt, was zu Flurschäden und kaputten Grasnarben führte. Heute sorgt der Kunstschnee für eine harte, schonende Unterlage.»
Und die sei bitternötig. «Die Zahl der Leute auf den Pisten hat massiv zugenommen, und das Material von Carvingskis und Snowboards ist aggressiver geworden. Die Kanten rapsen alles ab und beeinträchtigen die Pisten weit mehr als früher.»
Wie weit soll man gehen?
Beat Allenbach macht sich sehr wohl Gedanken über die Zukunft, wenn die Temperatur steigen sollte und der Naturschnee in Adelboden rarer würde. Aber: «Es gab auch früher schneearme Winter, so 1987/88 oder 2007, der war brutal. 1999 hatten wir riesige Schneemengen, und die letzten zwei waren ebenfalls Superwinter.»
Die Klimaforscher seien sich in ihren Prognosen nicht einig, und die Natur eben unberechenbar. «Das beruhigt mich.» Trotzdem hat das Eingreifen der Menschen in die Natur für Beat Allenbach Grenzen. «Ich habe gelesen, dass die Chinesen eine Rakete abgeschossen und halb Peking eingeschneit haben, was zu einem Riesenchaos führte. Das geht zu weit.»
Er fragt sich auch, ob man die künstliche Beschneiung immer weiter treiben könne. «Was ist, wenn ein Drittel des Schnees am Tag wegen der steigenden Luft- und Bodentemperatur wegschmilzt – hätte es dann noch Wert, zu beschneien?»
Gaby Ochsenbein, swissinfo.ch, Adelboden
In Anbetracht der zu erwartenden Klimaänderung wird der Trend zur grossflächigen Beschneiung weiter zunehmen.
Gemäss dem Verband öffentlicher Verkehr (VöV) werden 33% der verfügbaren Pisten in der Schweiz heute technisch beschneit, in Österreich sind es 66%, im Südtirol 75%.
Gemäss den Seilbahnen Schweiz beträgt die Investition (Installation und Betrieb) für die Beschneiung eines Pistenkilometers 1 Million Franken. Die reinen Betriebskosten schätzt der Verband pro Kilometer auf 40’000-100’000 Franken im Jahr.
Schneekanonen brauchen viel Wasser und Energie. Gemäss dem Bericht «Künstliche Beschneiung im Alpenraum» der internatioanlen Kommission zum Schutz der Alpen verbrauchen Schneekanonen im Alpenraum 600 Gigawattstunden. Das sind gleich viel wie 130’000 4-Personen-Haushalte in einem Jahr.
Laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) erfordert die Installation von Beschneiungsanlagen umfangreiche Erdarbeiten zur Verlegung von Kabeln und Rohren sowie zur Errichtung von Pumpstationen und Speicherseen.
Ein Problem bei der Beschneiung besteht gemäss BAFU in der Wasserentnahme für die Beschneiung. «Die technische Schneeproduktion verbraucht erhebliche Wassermengen, negative Rückwirkungen auf Gewässer und deren Lebewesen sind möglich. Für Wasserlebewesen besonders kritisch sind Wasserentnahmen aus kleinen Fliessgewässern. Da die Gewässer im Winter generell eine tiefere Wasserführung aufweisen, ist das Einhalten der Restwassermenge ökologisch sehr wichtig.»
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