Die Schweiz trocknet aus
Die Landschaft ist gelb. Die Seen wärmen auf. Gletscher geben Leichen frei. Die Schweiz befindet sich 2022 im Griff einer Dauerhitze, die kaum Regen durchlässt.
Im ganzen Jahr fiel in der Schweiz vor allem im Westen und Süden gegenüber dem langjährigen Mittel deutlich zu wenig Regen, wie der Wetterdienst Meteonews schreibt. So regnete es dort gegenüber dem Klimamittel 54 Prozent weniger. Im Süden ist es gemäss Hydrologe Massimiliano Zappa wahrscheinlich die schlimmste Wasserknappheit seit Messbeginn im Jahr 1959. Und im Norden war bereits der Frühling trocken.
Laut dem Schweizer Bundesamt für Umwelt (Bafu) herrschen inzwischen schweizweit Trockenheit im Boden sowie grosse Trockenheit im Wald, tiefe Seepegel und erhöhte Wassertemperaturen. Auch die Grundwasserstände seien teilweise bereits tief.
In dieser Woche ist es Hoch «Oscar», das für weitere Trockenheit verantwortlich ist. Das Wettersystem hat sich nördlich der Schweiz eingenistet und sorgt für weiterhin stabiles Sommerwetter. An Regen ist unter seiner Herrschaft nicht zu denken.
Wasser per Helikopter
Wegen der fehlenden Niederschläge transportiert die Armee auf mehrere Alpen in verschiedenen Kantonen Wasser mit Helikoptern. Dabei geht es hauptsächlich um die Versorgung von Tieren mit Wasser.
Fast flächendeckend herrscht auch grosse Waldbrandgefahr. Die Gefahrenkarte des Bundesamtes für UmweltExterner Link ist grösstenteils rot eingefärbt. Deshalb haben inzwischen die meisten Kantone ein absolutes Feuerverbot im Freien erlassen.
Landschaft wie in der Toskana
Die Klimaerwärmung habe in der Schweiz die Landschaft in den letzten 20 Jahren sichtbar verändert, teilte die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz diese Woche mit. Im Mittelland ähnelt das Landschaftsbild nach Aussagen der Stiftung immer mehr der Toskana.
Die Dominanz des Grüns im Sommer schwinde, dafür würden helle Farbtöne in Gelb und Braun stärker hervortreten. Auffällig seien goldgelbe Stoppelfelder. Auch verfärbten sich die Laubbäume in den Wäldern überaus früh in der Jahreszeit. Dies alles ähnle dem Bild der trockenen Tallandschaften in Mittelitalien.
Hohe Wassertemperaturen
Erhitzt und teilweise ausgetrocknet sind auch die Gewässer. Fische, die auf kühlere Temperaturen angewiesen sind, leiden. Ein Massensterben wie 2018 blieb einstweilen aus, dies dank zahlreichen kühleren Nächten.
Badende hingegen spüren die Folgen der hohen Gewässertemparaturen. In den Seen breiten sich vermehrt Algen aus – und auch der Entenfloh, ein Parasit, der Pusteln auf der Haut verursacht, grassiert an manchen Badestellen.
Aussergewöhnliche Dauer
Was die Einordnung der Wetterereignisse angeht, betont Meteoschweiz, das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie, dass die erlebten Hitzewellen allein in Bezug auf die Spitzentemperaturen zwar nicht besonders aussergewöhnlich gewesen seien. Das Besondere sei vielmehr deren Dauer und Intensität gewesen.
Gletscherfunde in Serie
Aufgrund der Gletscherschmelze werden auch immer häufiger Leichen von Personen freigelegt, die seit Jahrzehnten vermisst worden waren. Am 26. Juli war unweit des Matterhorns die mumifizierten Überreste eines Bergsteigers ans Tageslicht gekommen.
Diese Woche wurde ein menschliches Skelett auf einem weiteren Walliser Gletscher gefunden. Am 4. August gab der Aletschgletscher ebenfalls im Wallis Teile eines im Juni 1968 abgestürzte Touristenflugzeugs frei – und auch eine nicht explodierte Artilleriegranate tauchte bei Zermatt aus dem Eis auf.
Flächendeckender Niederschlag sei bis auf Weiteres nicht in Sicht, sagen übereinstimmend alle Metereologen.
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