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Ein Schweizer Öko-Label für Rechenzentren

Rechenzentrum, innen
Rechenzentren machen 2% des weltweiten Stromverbrauchs aus. Keystone / Christian Beutler

Online ein Hotel buchen, einen Film streamen, ein Videotelefonat führen: Rechenzentren auf der ganzen Welt verbrauchen viel Energie und Wasser. Eine in der Schweiz eingeführte Zertifizierung soll die Umwelt- und Klimabelastung durch unsere digitalen Gewohnheiten reduzieren und die Schweiz zu einem Standort für grünere Rechenzentren machen.

Im Januar 2017 veröffentlichte der puertoricanische Sänger Luis Fonsi eine Single, die Geschichte schreiben sollte. In den ersten sechs Monaten wurde der Videoclip zu “Despacito” auf Youtube 4,6 Milliarden Mal angeklickt.

Heute ist die Acht-Milliarden-Marke überschritten, aber die erstaunlichste Zahl ist eine andere: Gemäss SchätzungenExterner Link verbrauchte das Streaming des Despacito-Videoclips mehr Strom als 10’000 Schweizer Haushalte in einem Jahr.

Der grösste Teil der Energie wird in Rechenzentren verbraucht. Das sind die Gebäude, in denen die Server und die physische Infrastruktur stehen, die unseren E-Mail-Verkehr abwickeln, unsere Fotos in der Cloud speichern oder die Daten für Plattformen wie Youtube bereitstellen.

“Rechenzentren sind zu den Grundpfeilern der digitalen Wirtschaft geworden. Wir wissen aber nicht, wie nachhaltig ihr Energieverbrauch ist”, sagt Babak Falsafi, Professor für Informatik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und Präsident der Swiss Data Centre Efficiency Association (SDEA), einer Vereinigung von Unternehmen und akademischen Institutionen.

dach eines rechenzentrums
Längst nicht alle Rechenzentren in der Schweiz nutzen ihre Abwärme. Keystone / Christian Beutler

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur verbrauchen die Tausenden von Rechenzentren und Übertragungsnetzen weltweit etwa 2% des weltweiten Stroms. Rechenzentren benötigen auch viel WasserExterner Link, um ihre Server zu kühlen.

Mit dem rasanten Wachstum der künstlichen Intelligenz, so Falsafi, steigt nicht nur die Zahl und Grösse der Rechenzentren, sondern auch ihr Energieverbrauch und CO2-Fussabdruck.

Höhere Energieeffizienzstandards könnten jedoch die Auswirkungen von Rechenzentren auf die Umwelt und das Klima verringern, sagt Falsafi.

Die SDEA hat 2020 ein neues Label vorgestellt. Aber erst seit diesem Jahr habe die Zertifizierung “internationale Sichtbarkeit” erlangt, mit Interesse in der Schweiz und anderen europäischen Ländern, sagt Falsafi.

Seit dem 16. Juli können sich alle Unternehmen, die Rechenzentren betreiben oder Platz für ihre Server mieten, registrieren und den Energieeffizienzrechner der SDEAExterner Link nutzen, mit der Option, sich anschliessend zertifizieren zu lassen.

Ein Label, das die Klimaauswirkungen von Rechenzentren genauer misst

Der traditionelle Indikator für die Energieeffizienz eines Rechenzentrums ist der so genannte PUE-Wert (Power Usage Effectiveness)Externer Link. Er misst den Stromverbrauch der IT-Infrastruktur im Verhältnis zum Gesamtenergieverbrauch des Rechenzentrums, gibt aber keinen Aufschluss darüber, wie effizient die IT-Ausrüstung diesen Strom nutzt.

Das vom Bundesamt für Energie (BFE) unterstützte SDEA-Label ermöglicht hingegen eine ganzheitliche Betrachtung der Energiebilanz eines Rechenzentrums. Es berücksichtigt beispielsweise die CO2-Emissionen der Stromquelle sowie die Energieeffizienz der Server, Speichersysteme und Netzwerkgeräte.

Ein besonderes Augenmerk legt das Label auf die Abwärmenutzung von Rechenzentren. Gemäss einer StudieExterner Link nutzte 2019 nur eines von drei Rechenzentren in der Schweiz die Abwärme.

Dabei könnte die Abwärme zum Heizen von Gebäuden in der Umgebung oder für industrielle Prozesse genutzt werden und so dazu beitragen, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu reduzieren.

Viele Kabel und Server
Rechenzentren sind das Herzstück der digitalen Infrastruktur. Keystone / Gaetan Bally

Interesse aus dem Ausland für das Schweizer Energielabel

Ein Unternehmen, das ein Rechenzentrum betreibt, kann wählen, ob es nur die Gebäudeinfrastruktur, nur die IT-Systeminfrastruktur oder beides durch ein unabhängiges Audit bewerten lassen will.

Basierend auf dem Bewertungsbericht und den festgelegten Kriterien vergibt die SDEA das Label “Bronze”, “Silber” oder “Gold”. Die Zertifizierung ist drei Jahre gültig. Eine erneute Bewertung nach dieser Zeit soll die teilnehmenden Unternehmen dazu motivieren, in Energiesparmassnahmen zu investieren.

Bisher hat die SDEA drei Rechenzentren mit dem Label ausgezeichnet: je eines von Hewlett Packard Enterprise (dem Technologieunternehmen, welches das Konsortium initiiert hat), der Finanzgruppe SIX und dem Telekommunikationsunternehmen Swisscom.

Die SIX, welche die Zertifizierung für die gesamte Anlage erhalten hat, war nicht bereit, die Massnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz und die erzielten Einsparungen offenzulegen.

Aufgrund der Ergebnisse der Pilotphase des Projekts geht die SDEA davon aus, dass durch die Umsetzung der Anforderungen des Labels bis zu 70% an Energie eingespart werden können.

Acht weitere Rechenzentren befänden sich im Zertifizierungsprozess, sagt Falsafi, ohne die Namen der beteiligten Unternehmen zu nennen. Man sei auch im Gespräch mit Betreibern von Rechenzentren in Österreich, Deutschland und den skandinavischen Ländern.

Emissionen der Chipherstellung sollten nicht unterschätzt werden

Das SDEA-Label gehe in die richtige Richtung, denn es ermögliche eine genaue Quantifizierung der Auswirkungen von Rechenzentren, einschliesslich ihrer CO2-Emissionen, sagt Marco Bettiol, Professor an der Universität Padua und Autor einer Studie über die ökologische Nachhaltigkeit von Rechenzentren.

Dieser Ansatz habe jedoch seine Grenzen, da er nur die direkten Emissionen berücksichtige.

“Wir dürfen die indirekten Emissionen nicht unterschätzen, die bei der Herstellung von Chips und allen digitalen Geräten in Rechenzentren entstehen”, sagt er.

Ein Rechenzentrum hat eine Lebensdauer von 15 bis 20 Jahren. Auch aus Sicherheitsgründen müsse der Betreiber die digitale Ausrüstung im Schnitt etwa alle fünf Jahre erneuern, gibt Bettiol zu bedenken.

Die Schweiz als internationales Zentrum für umweltfreundlichere Rechenzentren

Mit dem Label will die SDEA die Schweiz auch als Referenzland für klimafreundliche Rechenzentren positionieren. Mit ihrer dienstleistungsorientierten Wirtschaft, ihrer politischen Stabilität und ihren wettbewerbsfähigen Energiekosten gehört die Schweiz laut Datacentermap.comExterner Link zu den Ländern mit der weltweit höchsten Anzahl an Rechenzentren pro Person.

Die Region Zürich gehört zusammen mit der Genferseeregion zu den attraktivsten aufstrebenden Märkten für Cloud-DienstleisterExterner Link. Auch im Bereich der generativen künstlichen Intelligenz gehört die Schweiz zu den 20 Industrieländern mit dem grössten Wachstumspotenzial, wie eine aktuelle Studie von PricewaterhousecoopersExterner Link zeigt.

Externer Inhalt

Die Schweiz sei besonders gut geeignet, Rechenzentren möglichst umweltschonend zu betreiben, sagt Adrian Altenburger, Professor für Gebäude- und Energietechnik an der Hochschule Luzern und Mitautor einer Studie über Rechenzentren in der SchweizExterner Link.

Das liege unter anderem am bereits hohen und noch ausbaufähigen Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix. Rund 60% des in der Schweiz produzierten Stroms stammen aus Wasserkraftwerken.

Netzüberlastung durch Rechenzentren vermeiden

Diese Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen. In der Schweiz verbrauchen Rechenzentren rund 4% des StromsExterner Link. Und in den nächsten Jahren werde ihr Stromverbrauch “massiv ansteigen”, prognostiziert Altenburger.

Es sei nicht auszuschliessen, dass die Schweiz den Bau neuer Rechenzentren einschränken müsse, um das Stromnetz nicht zu überlasten.

In Irland, wo Rechenzentren fast 18% des Stroms verbrauchen, hat der nationale Stromversorger ein Moratorium bis 2028 für neue Einrichtungen im Grossraum Dublin verhängt. Auch Deutschland, Singapur und China haben in der Vergangenheit Beschränkungen für die Entwicklung neuer Rechenzentren erlassen.

Im Rechenzenter stehen Batterien für Notfälle bereit.
Im Rechenzenter stehen Batterien für Notfälle bereit. Keystone / Christian Beutler

Das SDEA-Label könne helfen, ein solches Szenario zu vermeiden und die Effizienz der Rechenzentren in der Schweiz “signifikant” zu verbessern, sagt Altenburger.

Das Sparpotenzial ist gross: Gemäss einer 2021 vom BFE in Auftrag gegebenen StudieExterner Link könnten Rechenzentren in der Schweiz ihren Stromverbrauch um 46% senken.

Altenburger hält aber fest, dass ein freiwilliges Label nicht ausreiche, um Rechenzentren ökologischer zu machen. Es seien auch Normen oder Gesetze nötig, welche die Anforderungen an die Energieeffizienz definierten.

Im Kanton Zürich werden die Betreiber von Rechenzentren beispielsweise durch das Energiegesetz von 2023 zur Wiederverwendung von Abwärme verpflichtet.

Und natürlich können wir alle einen Beitrag leisten, um den Energieverbrauch von Rechenzentren zu senken, indem wir unsere digitalen Gewohnheiten ändernExterner Link. Zum Beispiel, indem wir unseren Posteingang regelmässig leeren, digitale Inhalte auf unser Gerät herunterladen, anstatt sie online abzuspielen, oder die Übertragungsqualität eines Streamings reduzieren.

Unter dem Strich könnten die Menschen, die den Despacito-Videoclip acht Milliarden Mal gesehen haben, sich auch damit begnügen, einfach nur die Musik zu hören.

Editiert von Sabrina Weiss, Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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