Hochwasserschäden kosten immer mehr – so sorgt die Schweiz vor
Hochwasserschutzmassnahmen sind teuer, doch laut einer aktuellen Studie übersteigt ihr volkswirtschaftlicher Nutzen die Kosten für den Wiederaufbau im Katastrophenfall bei weitem. Die Schweiz gehört zu den europäischen Ländern, in denen die Menschen am stärksten von Hochwasser gefährdet sind. Sie investiert aber auch am meisten in die Prävention.
Ende Oktober 2024 gingen Bilder von Autowracks in den Strassen von Valencia, Spanien, um die Welt. Diese Szenen der Zerstörung und der Fassungslosigkeit reihten sich ein in die Bilder aus Italien, Frankreich, Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern, die in den Tagen und Wochen zuvor von heftigen Überschwemmungen heimgesucht worden waren.
Auch die Schweiz mit ihren zahlreichen Flüssen und Bächen ist mit solchen Phänomenen konfrontiert. Im Sommer 2024 haben starke Regenfälle in der Südschweiz Menschenleben gefordert und grosse Schäden angerichtet.
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Der Klimawandel verstärkt die Häufigkeit solch aussergewöhnlicher EreignisseExterner Link. Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Hochwasserschutzmassnahmen sind wirksam.
Laut einer Studie des Swiss Re InstituteExterner Link, einer internen Abteilung des Schweizer Rückversicherers Swiss Re, die sich mit Risikoanalyse und Forschung befasst, ist der volkswirtschaftliche Nutzen ihrer Umsetzung zehnmal höher als die Kosten des Wiederaufbaus.
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Hochwasserschäden um bis zu 90 Prozent reduzieren
Im Jahr 2023 werden Überschwemmungen laut dem Swiss Re Institute weltweit volkswirtschaftliche Schäden von 52 Milliarden US-Dollar (rund 45 Milliarden Franken) verursachen.
Extreme Wetterereignisse, die durch den Klimawandel und die Zersiedelung potenziell hochwassergefährdeter Gebiete verstärkt werden, dürften die Kosten in die Höhe treibenExterner Link.
Richtig gebaute Deiche und Dämme können jedoch Hochwasserschäden an der Küste in dicht besiedelten Gebieten um 60 bis 90 Prozent reduzierenExterner Link.
Nach Angaben der britischen Umweltbehörde (Environment Agency)Externer Link haben solche Massnahmen in Grossbritannien während des Sturms Babet im Oktober 2023 beispielsweise 100’000 Häuser geschützt.
Veronica Scotti, Abteilungsleiterin bei Swiss Re, erklärt in einer Stellungnahme, dass Investitionen in die Anpassung an den Klimawandel die wirtschaftliche Stabilität fördern und zur Sicherheit der Menschen beitragen würden.
Auch die Einschränkung der Landnutzung schützt die Menschen vor Überschwemmungen. Ein Wald oder ein Feuchtgebiet kann zum Beispiel viel Regenwasser aufnehmen und so die Gefahr von Überschwemmungen verringern.
Ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung von Hochwasser bedroht
Gemäss einem Bericht der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL)Externer Link sind Hochwasser jene Naturgefahr, die in der Schweiz die grössten Schäden verursacht.
In den letzten 40 Jahren waren vier von fünf Schweizer Gemeinden von Überschwemmungen betroffen. Heute ist ein Fünftel der Bevölkerung diesem Risiko ausgesetztExterner Link.
In der Schweiz liegen viele Gebäude in der gelben Hochwasserzone, sagt Olivia Romppainen, Co-Leiterin der Forschungsstelle für Naturgefahren an der Universität Bern.
In der gelben Zone gilt die Gefahr als gering, aber schwere Schäden können nicht ausgeschlossen werden. Bei Gebäuden in dieser Zone könnten lokale Schutzmassnahmen viele Schäden verhindern, sagt Romppainen. Sie nennt als Beispiel Barrieren, die verhindern, dass Hochwasser Parkplätze überschwemmt.
Weniger Todesopfer, aber mehr Schäden durch Hochwasser
In Europa lebt etwa ein Zehntel der Bevölkerung in potenziell gefährdeten Gebieten. Am höchsten ist der Anteil in den Niederlanden, wo neben Überschwemmungen durch grosse Flüsse wie den Rhein auch Überflutungen durch das Meer möglich sind.
«In den letzten Jahrzehnten haben alle europäischen Länder viel investiert, um die Auswirkungen von Überschwemmungen zu reduzieren, sowohl in bauliche Massnahmen als auch in Warnsysteme», sagt Francesco Dottori, Professor für Hydrologie an der Fachhochschule Pavia in Italien.
Gleichzeitig hat aber die bebaute Fläche in hochwassergefährdeten Gebieten stark zugenommen. Dies führe dazu, dass Hochwasserkatastrophen heute im Durchschnitt zwar deutlich weniger Opfer fordern als früher, aber höhere wirtschaftliche Schäden verursachen, sagt der Autor einer aktuellen Studie über Strategien zur Verminderung des Hochwasserrisikos in EuropaExterner Link.
Hinzu kommt, dass viele bestehende Schutzbauten möglicherweise keinen ausreichenden Schutz mehr gegen die immer häufiger auftretenden und zerstörerischen Hochwasser bieten.
Dieses Problem habe sich bei den jüngsten Überschwemmungen in der norditalienischen Region Emilia-Romagna dramatisch gezeigt. Dort wurden mehrere Gebiete innerhalb von weniger als zwei Jahren wiederholt überflutet, nachdem es jahrzehntelang keine grösseren Überschwemmungen gegeben hatte, so Dottori.
300 Millionen Franken für den Hochwasserschutz in der Schweiz
Die Europäische Umweltagentur verfügt nach eigenen Angaben über keine Statistiken zu den Investitionen der einzelnen Mitgliedländer in den Hochwasserschutz.
Die Europäische Kommission schätzt den Gesamtbetrag in den EU-Ländern auf rund drei Milliarden Euro pro Jahr, basierend auf dem Durchschnitt der Jahre 2011-2015 und unvollständigen Daten. Dies entspricht etwa sechs Euro pro Person.
Die Niederlande investierten mehr als 700 Mio. Euro pro Jahr. Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich zwischen 220 und 350 Mio. Euro, wie aus der folgenden Grafik hervorgeht:
Die Schweiz investiert jährlich rund 300 Millionen Franken (320 Millionen Euro) in den Hochwasserschutz, wie das Bundesamt für Umwelt gegenüber SWI swissinfo.ch mitteilt.
Das sind durchschnittlich 33 Franken (rund 35 Euro) pro Einwohnerin und Einwohner. Der Bund stellt rund 120 Millionen zur Verfügung, den Rest tragen Kantone und Gemeinden.
>> Was Städte in der Schweiz und weltweit tun, um das Hochwasserrisiko zu vermindern, zeigt der folgende Artikel:
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Hochwasserschutz wird für die Schweiz zur Priorität
Information der Bevölkerung und Aufbau wirksamer Warnsysteme
Für Dottori geht es nicht nur darum, neue Hochwasserschutzanlagen zu bauen und den Schutz bestehender Bauwerke im Hinblick auf den Klimawandel zu überprüfen.
«Am dringendsten ist es, die Bevölkerung über die Hochwassergefahren in ihrem Wohngebiet aufzuklären und zu informieren», sagt er.
Obwohl alle EU-Mitgliedstaaten Gefahrenkarten erstellt haben, wissen viele Menschen nicht, dass sie in hochwassergefährdeten Gebieten leben, oder sie unterschätzen das Risiko.
Eine informierte Bevölkerung kann sich richtig verhalten. Zum Beispiel, indem sie bei Starkregen oder Unwetterwarnungen ihre Reisetätigkeit so weit wie möglich einschränkt, ihre Häuser schützt und sich gegen Hochwasserschäden versichert.
Ausserdem sei es wichtig, wirksame Warnsysteme für die Bevölkerung einzurichten, sagt Dottori. «Zu wissen, dass eine Überschwemmung bevorsteht und was man dagegen tun kann, kann viele Leben retten.»
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Editiert von Sabrina Weiss, Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub
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