«JJ3» ist erlegt – Bären aber weiterhin willkommen
Der Abschuss des Risikobären "JJ3" ist ein Einzelfall: Laut Reinhard Schnidrig, Jagdverantwortlicher beim Bundesamt für Umwelt, wird sich die Bären- und Raubtierpräsenz im Land dauerhaft etablieren.
Der am Montag in Mittelbünden erlegte Bär «JJ3» stammt aus einer Familie, die immer wieder für Aufregung sorgte: Seine Mutter Jurka musste in Italien in ein Gehege, sein Bruder Bruno wurde nach mehreren Wochen Jagd in Bayern abgeschossen.
Und auch ein weiterer Bruder, der als verschollen geltende Lumpaz, hielt die Wildhüter auf Trab.
Für Reinhard Schnidrig, Chef Sektion Jagd, Wildtiere und Waldbiodiversität des Bundesamt für Umwelt (BAFU), sind das Einzelfälle. Denn er ist überzeugt, dass die Schweiz weiterhin Raubtiere beherbergen kann.
swissinfo: Ist beim Abschuss des Problembären «JJ3» alles korrekt zu- und hergegangen?
Reinhard Schnidrig: Beim Erlegen von «JJ3» konnten wir voll und ganz nach unserem Konzept vorgehen. Alles lief korrekt ab, auch weil wir sehr professionelle Leute einsetzen können.
swissinfo: Ist dieser Abschuss zukunftsweisend für die Art, wie in der Schweiz mit Raubtieren umgegangen wird?
R.S.: Grundsätzlich ist der Abschuss nicht die Regel, wie mit Raubtieren umgegangen wird.
Ein Erlegen drängt sich als letzte Option auf, wenn ein Tier sich nicht konform aufführt. Zum Beispiel beim Bären, wenn wir Risikobedenken haben und die Sicherheit des Menschen nicht mehr gewährleistet ist.
Bei Wolf und Luchs ist eine andere Problematik im Spiel. Dort geht es eher um Schäden. Wenn diese zu gross werden, dann wird es ebenfalls problematisch.
Wenn wir die Herden nicht schützen können, dann muss ab und zu auch ein einzelner Wolf oder Luchs geschossen werden.
swissinfo: Wäre es denn nicht ehrlicher zu sagen, die kleinräumige und dicht besiedelte Schweiz könne Raubtieren zu wenig Lebensraum bieten?
R.S.: In der Schweiz funktioniert das Zusammenleben relativ gut. Der Luchs wurde vor rund 30 Jahren angesiedelt, und heute haben wir zwei funktionierende Populationen.
Der Wolf wandert von Süden und Südwesten her ein. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann er sich hier zu reproduzieren beginnt. Er findet bei uns Raum und Nahrung.
Beim Bären ist es etwas komplizierter. Er ist sehr lern- und anpassungsfähig. Doch wenn ein Tier schon sehr frühkindlich fehlgeprägt wird, wie das leider bei «JJ3» der Fall war, die Scheu vor den Menschen verliert, auf Nahrungssuche bis an die Dorfränder kommt, dann entstehen Probleme. Ein Zusammenleben ist dann nicht mehr möglich.
Aber das heisst nicht, dass in der Schweiz kein Platz vorhanden wäre – im Gegenteil. Ich bin überzeugt, dass wir bald auch bei uns dauernde Bärenpräsenz feststellen werden.
swissinfo: Hätte es denn Alternativen zum Abschuss gegeben?
R.S.: Bevor ein Abschuss ins Auge gefasst wird, versucht man es ja mit anderen Mitteln. Im Fall des «JJ3» bemühte man sich über Monate, ihn umzuerziehen. Bärenmunition, Knallpetarden aufs Fell, Gummischrot… Wir hofften, das Tier würde die Scheu vor dem Menschen wieder finden.
Bei «JJ3» ist es leider nicht geschehen. Aber anderweitig können solche Vergrämungen funktionieren.
Einsperren ist keine Alternative für wildgeborene Tiere. Das ist tierethisch keine Option. Die Tiere entwickeln Verhaltens-Anomalien und vegetieren nur noch vor sich hin. Wie Jurka, die Mutter von «JJ3», die im Trentino eingesperrt werden musste.
Man übernimmt mehr Verantwortung, wenn man das Tier in der Wildbahn erlegt, als wenn man es einsperrt.
swissinfo: Es läuft ja noch ein zweiter Bär in Graubünden herum. Was passiert mit dem?
R.S.: Ja, das ist «MJ4», ein dreijähriges Männchen. Ein scheues Tier, ein Normalbär. Er sucht im Wald und am Berg Nahrung und bleibt auch dort.
Wenn Menschen auftauchen, verzieht er sich rasch. Nur selten besucht er Maiensässe und verursacht dort einen Schaden – mal ein Bienenhäuschen, mal ein Schaf.
Damit muss man leben, wenn Bären im System sind. Aber grundsätzlich macht uns «MJ4» wenig Sorgen.
swissinfo-Interview: Alexander Künzle
Der Bär «JJ3» wurde am Abend des 14. April 2008 im Raum Mittelbünden erlegt.
Der als Problembär eingestufte «JJ3» hatte in den letzten Wochen seine Nahrung systematisch in Siedlungen gesucht.
Er zeigte trotz wiederholten Vergrämungsaktionen überhaupt keine Scheu mehr.
Damit wurde er zum Sicherheitsrisiko für Menschen.
Der Abschuss erfolgte gemäss Konzept Bär Schweiz.
Der letzte wilde Bär war 1904 in Engadin abgeschossen worden. Seither galt er als ausgerottet.
2005 wanderte ein Bär («JJ2» oder «Lumpaz») aus dem italienischen Trentino ins Val Müstair ein.
Dadurch wurden neue Diskussionen über die Möglichkeit der Etablierung einer Schweizer Braunbären-Population entfacht.
Das Bundesamt für Umwelt setzt Mitte 2006 das «Konzept Bär» ein.
Darin ist eine prinzipiell positive Grundeinstellung zur Wiederansiedlung des Braunbärs festgeschrieben.
Dabei sollen besonders aggressive Tiere abgeschossen werden.
Juni 2007: «JJ3», Bruder von «Lumpaz» und dem in Bayern abgeschossenen «Bruno», sowie ein weiterer Bär wandern ins Bündnerland ein.
Juli 2007: Jurka, Mutter von «JJ3», «JJ2» und «Bruno», wird in Italien in ein Gehege gesperrt.
März 2008: «JJ3» beendet seinen Winterschlaf und wird zum «Risikobären».
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